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Die Straßen veränderten sich und waren gepflastert, als sie durch das Tor in der hohen, grauen Stadtmauer geritten waren, vorbei an den Soldaten mit ihren harten Blicken aus dunklen Augen. Sie hatten sich die Brustpanzer über rote Jacken mit weiten Ärmeln und engen, weißen Manschetten geschnallt, und auf dem Kopf trugen sie runde Helme mit Rand und Mittelrippe. Statt der Pumphosen der anderen Männer trugen sie enge Hosen, die sie in die kniehohen Stiefel gesteckt hatten. Die Soldaten runzelten die Stirn und hatten die Hände am Schwertgriff, als sie Lans Schwert sahen, und sie warfen auch kritische Blicke auf Perrins Bogen und Axt, doch auf gewisse Weise lag auch in ihren Gesichtern Niedergeschlagenheit, obwohl sie die Ankömmlinge ja so scharf gemustert hatten. Es schien, als sei ihnen im Grunde alles egal.

Innerhalb der Mauer waren die Gebäude größer und höher, wenn sie auch genauso gebaut waren wie die außerhalb. Die Dächer wirkten auf Perrin etwas eigenartig, besonders die nach oben spitz zulaufenden, aber seit er die Heimat verlassen hatte, hatte er so viele Arten von Dächern gesehen, daß er sich höchstens noch fragte, welche Art von Nägeln sie für ihre Dachplatten wohl benutzten. An manchen Orten allerdings gebrauchten die Leute überhaupt keine Nägel auf dem Dach.

Paläste und andere große Gebäude standen anscheinend planlos neben kleineren und gewöhnlicheren Gebäuden. Wenn sich auf der einen Straßenseite ein Block mit Türmen und eckigen, weißen Kuppeln befand, konnte es durchaus sein, daß gegenüber Läden und Schenken und Wohnhäuser standen. Da war zum Beispiel eine riesige Halle mit viereckigen Marmorsäulen davor, die allein schon an jeder Seite vier Schritt maßen. Man mußte fünfzig Stufen erklimmen, um zu dem fünf Spannen hohen Bronzetor zu gelangen. Doch auf der einen Seite stand eine Bäckerei, und auf der anderen hatte ein Schneider seine Werkstatt.

Hier trugen auch mehr Männer Jacken und enge Hosen wie die Soldaten, wenn auch in leuchtenderen Farben und ohne Rüstung. Ein paar hatten sogar Schwerter an der Seite. Keiner von ihnen lief barfuß, nicht einmal die in Pumphosen. Die Kleider der Frauen waren länger und tief ausgeschnitten und zeigten bloße Schultern und einiges vom Busen. Man sah nicht nur Wollstoffe, sondern auch häufig Seide. Das Meervolk handelte sehr viel mit Seide, und dieser Handel lief eben über Tear. Man sah nun auch genauso viele Sänften und Pferdekutschen wie Ochsengespanne und Planwagen. Und doch sah man auch hier auf zu vielen Gesichtern die gleiche Resignation.

Neben der Schenke, die Lan auswählte, dem ›Stern‹, stand auf der einen Seite eine Weberwerkstatt und auf der anderen eine Schmiede. Beide waren durch enge Gassen von der Schenke getrennt. Die Schmiede war aus unverputztem, grauen Stein erbaut, das Haus des Webers und die Schenke dagegen aus Holz, obwohl der ›Stern‹ vier Stockwerke hoch war und auch noch kleine Fenster im Dach hatte. Das Rasseln der Webstühle wetteiferte mit dem Klingen des Schmiedehammers nebenan. Sie übergaben ihre Pferde Stallburschen, die ihre Tiere nach hinten brachten, und traten in die Schenke ein. Aus der Küche kam der Geruch nach Fisch, der dort gebacken und vielleicht auch gekocht wurde, und der Duft von Hammelbraten. Die Männer im Schankraum trugen sämtlich die engen Jacken und weiten Hosen. Perrin glaubte auch nicht, daß reichere Männer, wie die in den bunten Jacken mit Puffärmeln, und Frauen wie die mit den bloßen Schultern und den Seidengewändern, diesen Lärm hier in Kauf nehmen würden. Vielleicht hatte Lan deshalb diese Schenke ausgewählt.

»Wie sollen wir denn bei diesem Lärm schlafen?« knurrte Zarine.

»Keine Fragen!« sagte er lächelnd. Einen Augenblick lang glaubte er, sie würde ihm die Zunge herausstrecken. Der Wirt war ein rundlicher Mann mit Halbglatze. Er trug eine lange, dunkelblaue Jacke und diese weiten Pumphosen. Beim Verbeugen faltete er die Hände über seinem vorstehenden Bauch. Sein Gesicht wirkte erschöpft und resignierend. »Das Licht leuchte Euch, gute Frauen. Willkommen«, seufzte er. »Das Licht leuchte Euch, gute Herren, und willkommen auch Euch.« Er fuhr beim Anblick von Perrins gelben Augen leicht zusammen und wandte sich dann mit müdem Blick Loial zu. »Das Licht leuchte Euch, Freund Ogier, und willkommen. Es ist ein Jahr oder länger her, daß ich einen von Euch in Tear gesehen habe. Irgendeine Arbeit am Stein. Sie wohnten natürlich im Stein, aber ich traf sie eines Tages auf der Straße.« Er schloß mit einem weiteren Seufzer. Offensichtlich brachte er nicht einmal die Neugier auf, Loial zu fragen, warum ein anderer Ogier nach Tear gekommen sei, oder überhaupt, warum sie alle sich hier aufhielten.

Der Mann mit der Halbglatze, der Jurah Haret hieß, führte sie persönlich in ihre Zimmer. Offenbar waren Moiraine mit ihrem Seidenkleid und dem verborgenen Gesicht und Lan mit seinen harten Gesichtszügen und dem Schwert für ihn eine Lady mit ihrem Leibwächter und somit seiner persönlichen Aufmerksamkeit wert. Er hielt Perrin ganz eindeutig für einen Diener, und bei Zarine war er sich ebenso eindeutig unsicher. Das paßte ihr wiederum gar nicht. Loial schließlich war doch einfach ein Ogier. Er rief Männer herbei, die für Loial zwei Betten zusammenschoben, und er bot Moiraine ein eigenes Speisezimmer an, falls sie das wünsche. Sie nahm sein Angebot dankend an.

Sie hielten sich zusammen, so daß sie eine kleine Prozession durch die oberen Räume bildeten, bis Haret sich verbeugte und seufzend ging. Er verließ sie dort, wo er begonnen hatte, nämlich vor der Tür zu Moiraines Zimmer. Die Wände waren weiß getüncht, und Loials Kopf streifte die Decke des Flurs.

»Was für ein anrüchiger Geselle«, knurrte Zarine und wischte sich zornig mit beiden Händen den Staub von ihrem Hosenrock. »Ich glaube fast, er hat mich für Eure Zofe gehalten, Aes Sedai. Das lasse ich mir nicht gefallen!«

»Hütet Eure Zunge«, sagte Lan leise. »Wenn Ihr diesen Namen in Hörweite anderer gebraucht, werdet Ihr es bereuen, Mädchen.« Sie schien etwas entgegnen zu wollen, aber sein eisigblauer Blick brachte ihre Zunge diesmal zum Schweigen und kühlte wohl sogar ihren Zorn ab.

Moiraine beachtete die beiden nicht. Sie blickte ins Nichts und verkrampfte ihre Hände dabei in ihren Umhang, als wolle sie sich die Hände daran abwischen. Perrins Meinung nach war sie sich dessen gar nicht bewußt.

»Wie wollen wir vorgehen, wenn wir Rand suchen?« fragte er, doch sie schien ihn nicht zu hören. »Moiraine?«

»Bleibt immer der Schenke nahe«, sagte sie einen Augenblick später. »Tear kann eine gefährliche Stadt sein, wenn man sich darin nicht auskennt. Hier kann das Muster zerrissen werden.« Das letzte hatte sie leise gesagt, als sei es nur für sie selbst bestimmt. Mit kräftigerer Stimme fuhr sie dann fort: »Lan, wir wollen sehen, was wir herausfinden können, ohne Aufsehen zu erregen. Ihr anderen bleibt in der Nähe der Schenke!«

»Bleibt in der Nähe der Schenke«, äffte Zarine sie nach, als die Aes Sedai und der Behüter die Treppe hinunter verschwanden. Aber sie sagte es wenigstens so leise, daß sie es nicht hören konnten. »Dieser Rand. Ist das derjenige, den Ihr... « Wenn sie in diesem Moment wie ein Falke wirkte, dann allerdings wie ein äußerst nervöser. »Und wir befinden uns in Tear, und im Herzen des Steins ist... Und die Prophezeiungen behaupten... Licht seng mich, Ta'veren, ist das eine Geschichte, an der ich beteiligt sein möchte?«

»Das ist keine Geschichte, Zarine.« Einen Augenblick lang fühlte Perrin die gleiche Hoffnungslosigkeit, wie sie im Tonfall des Wirts gelegen hatte. »Das Rad webt uns in ein Muster. Du hast dich entschieden, deinen Faden mit den unseren zu verknoten, und nun ist es zu spät, das wieder zu entwirren.«

»Licht!« grollte sie. »Jetzt klingst du schon genau wie Sie.«

Er ließ sie bei Loial und ging in sein Zimmer, um seine Sachen zu verstauen. Im Zimmer stand ein niedriges Bett, bequem, aber klein, so wie es die Stadtbewohner für einen Diener für angemessen hielten, dazu ein Waschtisch, ein Hocker und ein paar Haken hingen an der rissigen, getünchten Wand. Als er wieder herauskam, waren beide weg. Das Klingen des Hammers auf dem Amboß lockte ihn.