Выбрать главу

Gemeinsam zogen Liandrin und Rianna Nynaeve auf die Beine und stießen sie in Richtung der Vorderseite des Hauses. »Wenn du uns irgendwelche Schwierigkeiten machst«, sagte die schwarzhaarige Frau mit harter Stimme, »dann zwinge ich dich, dir selbst die Haut abzuziehen und als Knochengerüst zu tanzen.«

Nynaeve hätte beinahe gelacht. Welche Schwierigkeiten könnte ich euch denn wohl bereiten? Sie war von der Wahren Quelle abgeschnitten. Ihre Prellungen schmerzten, daß sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Was immer sie tun mochte, würde wie der Wutanfall eines Kindes unterdrückt. Aber mein Körper heilt wieder, seng Euch, und Ihr werdet auch noch einen Fehler begehen! Und wenn das geschieht...

Im vorderen Zimmer befanden sich andere Leute: zwei große Soldaten mit runden Helmen und glänzenden Brustpanzern über diesen roten Jacken mit Puffärmeln. Den beiden Männern stand der Schweiß auf der Stirn, und ihre dunklen Augen rollten, als hätten sie mindestens genauso viel Angst wie sie. Amico Nagoyin war da, schlank und hübsch mit ihrem langen Hals und der blassen Haut. Sie sah so unschuldig aus wie ein kleines Mädchen beim Blumenpflücken. Joyia Byirs Gesicht wirkte freundlich, obwohl ihre Wangen genauso glatt waren wie bei allen Frauen, die lange Zeit mit der Macht gearbeitet hatten. Sie erschien wirklich so lieb und anziehend wie eine Großmutter. Trotz ihres Alters sah man kein Grau in ihrem dunklen Haar, und ihre Haut war faltenlos. Doch ihre grauen Augen blickten drein wie die einer Stiefmutter aus dem Märchen, die gerade die Kinder ihres Mannes aus erster Ehe ermorden will. Um beide Frauen herum glühte die Macht.

Elayne stand zwischen den beiden Schwarzen Schwestern, hatte ein blaues Auge, die eine Wange war geschwollen, die Lippe aufgeplatzt, und ein Ärmel ihres Kleides war halb abgerissen. »Es tut mir leid, Nynaeve«, sagte sie mit schwerfälliger Stimme. Offensichtlich schmerzte ihr Kiefer. »Wir haben sie nicht bemerkt, bis es zu spät war.«

Egwene lag zusammengekrümmt auf dem Boden. Ihr Gesicht war fast bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. Als Nynaeve und ihre Begleiterinnen hereintraten, wuchtete gerade einer der kräftigen Soldaten Egwene auf seine Schulter. Dort hing sie so schlaff herunter wie ein halbleerer Hafersack.

»Was habt Ihr mit ihr gemacht?« wollte Nynaeve wissen. »Seng Euch, was...!« Etwas Unsichtbares schlug ihr auf den Mund, und zwar so hart, daß sie einen Moment lang fast das Bewußtsein verlor.

»Na, na«, sagte Joyia Byir mit einem Lächeln, das von ihrem Blick Lügen gestraft wurde. »Ich dulde eben keine Forderungen und keine Gossensprache.« Sie hörte sich auch an wie eine Großmutter. »Ihr sprecht nur, wenn man Euch angesprochen hat.«

»Ich habe dir doch gesagt, das Mädchen wollte nicht mit Kämpfen aufhören, klar?« sagte Liandrin. »Laß dir das eine Lehre sein. Wenn du irgendwelche Schwierigkeiten machst, werden wir dich nicht anders behandeln.«

Nynaeve hätte so gern etwas für Egwene getan, aber sie ließ sich auf die Straße hinausschieben. Immerhin mußten sie sie wirklich schieben, denn passiver Widerstand war das einzige, was ihr im Moment übrig blieb.

Auf der schlammigen Straße befanden sich nur wenige Leute, als hätten sich alle entschlossen, daß es anderswo schöner sei. Die wenigen übriggebliebenen eilten auf der anderen Seite vorbei, ohne einen Blick auf die glänzende, schwarz lackierte Kutsche zu werfen, die mit einem Gespann von sechs gleich großen Schimmeln mit hohen, weißen Federbüschen auf dem Zaumzeug dort wartete. Ein Kutscher saß auf dem Bock, der gleich angezogen war wie die Soldaten, doch ohne Panzer und Schwert, während ein weiterer ihnen die Tür öffnete, als sie im Hauseingang erschienen. Vorher konnte Nynaeve allerdings noch ganz kurz das Wappen sehen, das auf die Tür gemalt war: eine Faust in silbernem Handschuh, die mehrere gezackte Blitze hielt.

Sie dachte sich, das müsse wohl das Wappen des Hochlords Samon sein. Er muß ein Schattenfreund sein, wenn er sich mit Schwarzen Ajah einläßt. Licht, verbrenne ihn! Aber ihr Hauptinteresse galt in diesem Moment dem Mann, der bei ihrem Erscheinen neben der Kutsche im Schlamm auf die Knie sank. »Seng Euch, Sandar, warum...?« Sie fuhr zusammen, als etwas wie ein Stockschlag sie zwischen den Schultern traf.

Joyia Byir lächelte mißbilligend und streckte ihren Zeigefinger mahnend hoch. »Ihr werdet mehr Respekt zeigen, Kind. Sonst verliert Ihr vielleicht Eure vorschnelle Zunge.«

Liandrin lachte. Sie fuhr mit der Hand durch Sandars Haar und riß plötzlich seinen Kopf zurück. Er blickte wie ein treuer Hund zu ihr auf — oder wie ein Straßenköter, der einen Tritt erwartet. »Geh nicht zu hart mit diesem Mann ins Gericht.« Bei ihr klang sogar das Wort ›Mann‹ eher wie ›Hund‹. »Er mußte erst... überzeugt werden, uns zu dienen. Aber ich bin doch sehr überzeugend, oder?« Wieder lachte sie.

Sandar blickte Nynaeve verwirrt an. »Ich mußte es tun, Frau Maryim. Ich... mußte.« Liandrin zog ihn am Haar und sein Blick wanderte zu ihr zurück. Er war wieder der gefügige Schoßhund.

Licht! dachte Nynaeve. Was haben sie ihm angetan? Was werden sie uns antun?

Sie und Elayne wurden grob in die Kutsche gepackt, und Egwene setzte man zwischen sie. Ihr Kopf hing immer noch schlaff herunter. Liandrin und Rianna stiegen ein und nahmen die Sitze ihnen gegenüber, die nach vorn gewandt waren. Das Glühen Saidars umgab sie nach wie vor. Nynaeve interessierte es im Augenblick überhaupt nicht, wohin die anderen gingen. Sie wollte Egwene irgendwie erreichen, sie berühren, ihre Schmerzen lindern, aber sie konnte vom Hals abwärts keinen Muskel rühren. Höchstens winden konnte sie sich. Luftströme banden die drei wie Schichten von eng um sie gewickelten Decken. Die Kutsche ruckte an. Trotz ihrer Lederfederung schwankte sie stark bei der Fahrt über die Schlammstraße.

»Wenn Ihr sie ernsthaft verletzt habt...« Licht, es ist offensichtlich, wie sie sie verletzt haben. Warum sage ich nicht offen, was ich will? Aber es war beinahe genauso schwer, die Worte aus ihr herauszupressen, wie eine Hand zu heben. »Wenn Ihr sie getötet habt, werde ich nicht ruhen, bis man Euch alle wie tolle Hunde gejagt und getötet hat!«

Rianna funkelte sie zornig an, aber Liandrin schniefte nur. »Sei keine komplette Närrin, Wilde. Man will euch lebend. Mit einem toten Köder fängt man keinen Fisch.«

Köder? Wofür? Für wen? »Ihr seid die Närrin, Liandrin! Glaubt Ihr, daß wir allein hier sind? Nur wir drei, und noch nicht einmal ausgebildete, fertige Aes Sedai? Wir sind allerdings Köder, Liandrin. Und Ihr seid wie die fetten Moorhühner in die Falle gegangen.«

»Erzähle ihr nichts davon«, fauchte Elayne, und Nynaeve zwinkerte erschrocken, bevor ihr klar wurde, daß Elayne ihr Täuschungsmanöver unterstützen wollte. »Wenn du dich wieder von deinem Zorn hinreißen läßt, wirst du ihnen noch erzählen, was sie nicht hören sollen. Sie müssen uns in den Stein bringen. Sie müssen... «

»Halt den Mund«, fuhr Nynaeve sie an. »Du solltest die eigene Zunge besser hüten!« Elayne brachte es fertig, trotz ihres blauen Auges zerknirscht dreinzublicken. Laß sie das erst mal schlucken, dachte Nynaeve.

Aber Liandrin lächelte nur. »Wenn ihr euren Zweck als Köder erfüllt habt, werdet ihr uns alles sagen. Ihr werdet es sogar gern tun. Man sagt, daß ihr eines Tages sehr stark sein werdet, aber ich werde sichergehen, daß ihr mir gehorcht, und zwar noch bevor der Große Herr Be'lal euch in seine Pläne einbezieht. Er läßt gerade Myrddraal holen. Dreizehn.« Diese Rosenblattlippen lachten die letzten Worte heraus.

Nynaeve drehte es den Magen um. Einer der Verlorenen! Ihr Gehirn war ganz benommen von dem Schock. Der Dunkle König und alle Verlorenen sind im Shayol Ghul gefangen, vom Schöpfer im Augenblick der Schöpfung dort gebunden. Aber der Katechismus half nicht. Sie wußte nur zu gut, wieviel daran nicht stimmte. Dann drang ihr der Rest ins Bewußtsein. Dreizehn Myrddraal. Und dreizehn Schwestern von den Schwarzen Ajah. Sie hörte Elayne schreien, bevor ihr noch klar wurde, daß auch sie schrie und sich umsonst gegen diese unsichtbaren Fesseln aus Luft aufbäumte. Man konnte unmöglich feststellen, was lauter war: ihre verzweifelten Schreie oder das Lachen Liandrins und Riannas.