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Und von einem Herzschlag zum nächsten war der Sturm vorbei. Er verging nicht langsam, nein, im einen Moment noch peitschte ihn der Sturm und im nächsten herrschte absolute Stille. Der einzige Laut war das Echo klatschender Wassertropfen.

Langsam setzte sich Perrin auf und untersuchte sich. Seine Kleidung war nicht einmal versengt, und seine freiliegende Haut wies keine Brandwunde auf. Nur die Erinnerung an die Hitze ließ ihn glauben, daß es wirklich geschehen war. Die Erinnerung lag nur in seinem Geist allein; der Körper erinnerte sich an nichts.

Vorsichtig blickte er über das Geländer. Von der Brücke, auf der die Männer gestanden hatten, war auf jeder Seite nur ein kurzes Stück abgeschmolzenen Steins zu sehen. Die Männer waren verschwunden.

Seine Nackenhaare prickelten und richteten sich auf. Er blickte hoch. Auf einer Rampe über ihm und etwas rechts abgesetzt stand ein zerzauster grauer Wolf und sah ihn an.

»Nein!« Er sprang auf und rannte los. »Das ist ein Traum! Ein Alptraum! Ich will aufwachen!« Er rannte, und alles in seiner Sicht verschwamm. Die verschwommenen Schlieren verschoben sich. Ein Summen erfüllte sein Gehör und verklang wieder. Dann verfestigte sich das Bild vor seinen Augen.

Er zitterte vor Kälte und wußte vom ersten Augenblick an ganz sicher, daß dies ein Traum war. Er war sich verschwommen schattenhafter früherer Träume bewußt, aber diesen nun kannte er. Er hatte sich in anderen Nächten bereits an diesem Ort befunden, und auch wenn er ihn nicht begriff, wußte er sich doch in einem Traum. Aber das Wissen änderte diesmal nichts.

Riesige rote Sandsteinsäulen umgaben die offene Fläche, auf der er stand. Fünfzig Schritt oder höher über seinem Kopf befand sich eine Kuppeldecke. Er und ein weiterer genauso großer Mann hätten eine dieser Säulen nicht mit ihren Armen umschließen können. Der Boden war mit großen, grauen Steinplatten ausgelegt, hart, und doch von unzähligen Generationen von Füßen ausgetreten.

Und in der Mitte unter der Kuppel befand sich der Grund dafür, daß all diese Füße hierhergekommen waren: ein Schwert, das mit dem Griff nach unten in der Luft hing, offensichtlich durch nichts gehalten, wo anscheinend jedermann danach greifen und es nehmen konnte. Es drehte sich langsam, wie durch einen schwachen Lufthauch bewegt. Und doch war es eigentlich gar kein Schwert. Es schien aus Glas zu bestehen, oder vielleicht aus Kristall, sowohl die Klinge wie auch der Griff und der Querbügel. Es fing das wenige Licht auf und zersplitterte es in tausend Blitze.

Er ging darauf zu und streckte die Hand aus, so wie jedesmal zuvor. Er erinnerte sich deutlich daran, daß er das getan hatte. Der Griff hing vor seinem Gesicht, leicht zu erreichen. Doch einen Fuß vor dem glitzernden Schwert traf seine Hand in der leeren Luft auf einen Widerstand. Als habe er Stein berührt. Wie er es ja auch gewußt hatte. Er drückte stärker dagegen, aber er hätte genauso gegen eine Wand drücken können. Das Schwert drehte sich und glitzerte, einen Fuß entfernt und doch so weit außerhalb seiner Reichweite, als befände es sich auf der anderen Seite des Meeres.

Callandor. Er war nicht sicher, ob die flüsternde Stimme sich in seinem Kopf befand oder außerhalb; sie schien um die Säulen herumzuklingen, überall gleichzeitig, eindringlich und doch sanft wie eine Frühlingsbrise. Callandor. Wer mich führt, der hält das Schicksal in Händen. Nimm mich und trete die letzte Reise an. Er trat in plötzlich aufkeimender Angst einen Schritt zurück. Dieses Flüstern war noch nie zuvor erklungen.

Viermal schon hatte er diesen Traum geträumt. Daran erinnerte er sich genau: vier Nächte lang, eine nach der anderen. Und dies nun war das erste Mal, daß sich etwas verändert hatte. Die Entstellten kommen. Das war ein anderes Flüstern aus einer Quelle, die ihm bekannt war, und er fuhr zusammen, als hätte ihn ein Myrddraal berührt. Ein Wolf stand dort zwischen den Säulen, ein Bergwolf, beinahe hüfthoch, zerzaust, weiß und grau. Er blickte ihn eindringlich mit Augen an, die so gelb waren wie seine.

Die Entstellten kommen. »Nein!« keuchte Perrin. »Nein! Ich lasse dich nicht ein! Ich-will-nicht!«

Er schlug um sich und erwachte, setzte sich in der engen Hütte auf und zitterte vor Kälte und Wut. »Das lasse ich nicht zu«, flüsterte er heiser.

Die Entstellten kommen. Der Gedanke war klar und deutlich, doch es war nicht sein eigener.

Die Entstellten kommen, Bruder.

5

Wandelnde Alpträume

Perrin sprang aus seinem Bett, schnappte sich die Axt und rannte barfuß und in Unterwäsche hinaus. Die Kälte ignorierte er. Der Mond tauchte die Wolken in geisterhaftes Weiß. Mehr als genug Licht für seine Augen, mehr als genug auch, um von allen Seiten her dunkle Gestalten zwischen den Bäumen hindurchschlüpfen zu sehen, Gestalten, die fast genauso groß waren wie Loial, deren Gesichter aber durch Schnauzen und Schnäbel entstellt waren — halbmenschliche Köpfe mit Hörnern und gefiederten Kämmen; kräftige Figuren, die sowohl auf menschlichen Füßen wie auch auf Hufen oder Tatzen einherliefen.

Er öffnete den Mund, um eine Warnung in die Nacht hinauszuschreien, da schlug auch schon die Tür zu Moiraines Hütte auf, und Lan rannte mit dem Schwert in der Hand heraus. Er rief: »Trollocs! Erwacht, um eures Lebens willen! Trollocs!« Schreie antworteten ihm, als die Männer aus ihren Hütten taumelten, meist nur in Unterwäsche gekleidet, aber mit den Schwertern in der Hand. Mit tierischem Gebrüll sprangen die Trollocs vor und wurden mit Stahl und Schreien wie »Schienar!« und »Der Wiedergeborene Drache!« empfangen.

Lan war vollständig angekleidet. Perrin hätte wetten können, daß der Behüter nicht geschlafen hatte. Er warf sich zwischen die Trollocs, als sei seine Wollkleidung eine Rüstung. Er schien von einem zum anderen zu tanzen. Mann und Schwert flossen einher wie Wasser oder Wind, und wo der Behüter tanzte, da schrien und starben die Trollocs.

Auch Moiraine befand sich draußen in der Nacht und tanzte ihren eigenen Tanz zwischen den Trollocs. Ihre einzige Waffe schien eine Rute zu sein, aber wo sie damit einen Trolloc traf, wuchs aus seinem Fleisch eine Flammenspur empor. Mit ihrer freien Hand pflückte sie Feuerkugeln aus der Luft und warf sie. Die Trollocs heulten auf, während sie von den Flammen verschlungen wurden, und wälzten sich auf dem Boden.

Ein ganzer Baum flammte plötzlich von den Wurzeln bis zur Krone auf und dann ein zweiter und noch weitere. Die Trollocs kreischten ob des brennend hellen Lichtscheins, doch sie hörten nicht auf, ihre Dornenäxte und Sichelschwerter zu schwingen.

Mit einem Mal sah Perrin, wie Leya zögernd aus Moiraines Hütte trat. Sie befand sich auf der anderen Seite der Mulde von ihm, aber er konnte an nichts anderes mehr denken. Die Tuatha'an-Frau drückte sich an die Holzwand und hielt sich mit einer Hand die Kehle. Das Licht der brennenden Bäume zeigte ihm all den Schmerz und das Entsetzen und die Abscheu auf ihrem Gesicht, während sie dem Gemetzel zusah.

»Versteckt Euch!« schrie Perrin ihr zu. »Geht hinein und verbergt Euch!« Das Toben des Kampfes, die Schmerzens- und Todesschreie verschluckten seine Worte. Er rannte in ihre Richtung. »Versteckt Euch, Leya! Um des Lichts willen, versteckt Euch!«

Ein Trolloc ragte über ihm auf. Wo sich Mund und Nase befinden sollten, trug er einen grausam gekrümmten Schnabel. Schwarze Metallschuppen und Dornen schützten seinen Körper von den Schultern bis an die Knie. Er bewegte sich auf Adlerkrallen und schwang eines dieser eigenartig gekrümmten Schwerter. Er roch nach Schweiß und Schmutz und Blut.