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Einen Augenblick später waren Nynaeve und Elayne an ihrer Seite. Ihre zerschrammten Gesichter waren allerdings zu besorgt und verängstigt, als daß man den beruhigenden Lauten, die sie von sich gaben, viel Glauben hätte schenken können. Doch allein die Tatsache, daß sie bei ihr waren, reichten, um ihre Schreie verklingen zu lassen. Sie war nicht allein. Gefangen, aber nicht allein. Und ohne Halsband.

Sie versuchte, sich aufzusetzen, und die anderen waren ihr behilflich. Sie mußten ihr helfen, denn ihr tat jeder Muskel im Körper weh. Sie erinnerte sich an jeden dieser unsichtbaren Schläge, die sie beinahe zum Wahnsinn getrieben hatten, als ihr klar wurde... Ich werde nicht daran denken. Ich muß überlegen, wie wir hier wieder herauskommen. Sie rutschte ein Stück nach hinten, bis sie sich an die Wand lehnen konnte. Schmerz und Erschöpfung kämpften in ihr. Dieser Kampf, in dem sie absolut nicht nachgeben wollte, hatte sie jedes bißchen ihrer Kraft gekostet, und die blauen Flecken und Schwellungen schienen ihr noch mehr davon zu rauben.

Die Zelle war bis auf sie und die Fackel völlig leer. Der Fußboden war blank und kalt und hart. Die einzige Öffnung in den Wänden war eine aus dicken, rauhen Brettern gezimmerte Tür. Die Bretter hatten abgesplitterte Kanten, als hätten unzählige Finger umsonst daran gerissen. In den Stein der Wände waren Botschaften eingeritzt, meist sehr unsicher und krakelig. Einmal stand da: ›Licht sei mir gnädig und laß mich sterben.‹ Sie verdrängte das sofort wieder aus ihrem Bewußtsein.

»Sind wir immer noch abgeschirmt?« brachte sie zwischen wunden Lippen hervor. Selbst das Sprechen tat weh. In dem Moment, als Elayne nickte, wurde ihr klar, daß sie gar nicht hätte fragen brauchen. Die angeschwollene Wange, die geplatzte Lippe und das blaue Auge der goldhaarigen Frau waren Antwort genug, ganz abgesehen von ihren eigenen Schmerzen. Wenn Nynaeve in der Lage gewesen wäre, Kraft aus der Wahren Quelle zu ziehen, hätte sie natürlich die anderen sofort geheilt.

»Ich habe es versucht«, sagte Nynaeve resignierend. »Ich habe es immer und immer wieder versucht.« Sie riß hart an ihrem Zopf, und trotz der hoffnungslosen Furcht in ihrer Stimme kam auch wieder etwas Zorn durch. »Eine von denen sitzt draußen. Amico, diese milchgesichtige Schlampe, falls sie die Wache nicht ausgetauscht haben, seit wir hier drinnen sind. Ich denke, eine reicht, um die Abschirmung aufrecht zu erhalten, sobald sie einmal fest gewoben wurde.« Sie lachte bitter. »Und trotz all der Mühe, die sie sich gaben, und der Schmerzen, die sie uns zufügten, könnte man jetzt glauben, wir seien völlig unwichtig. Es ist schon Stunden her, daß sie die Tür hinter uns zuschlugen, und seitdem ist niemand gekommen, um uns zu befragen oder nachzusehen oder wenigstens einen Tropfen Wasser zu bringen. Vielleicht wollen sie uns hierlassen, bis wir verdurstet sind.«

»Köder.« Elaynes Stimme schwankte, obwohl sie sich ganz offensichtlich bemühte, ihre Angst nicht zu zeigen. Und wie schlecht sie sich fühlte. »Liandrin sagte, wir seien ein Köder.«

»Für wen denn?« fragte Nynaeve mit ebenfalls zittriger Stimme. »Für wen sollen wir als Köder herhalten? Wenn ich ein Köder sein soll, möchte ich mich am liebsten denen in den Hals schieben, bis sie an mir ersticken.«

»Rand.« Egwene mußte erst einmal schlucken. Selbst ein einziger Tropfen Wasser hätte ihr schon gut getan. »Ich habe von Rand geträumt und von Callandor. Ich glaube, er kommt hierher.« Aber warum habe ich von Mat geträumt? Und Perrin? Es war wohl ein Wolf, aber ich bin sicher, daß dahinter Perrin steckte. »Habt nicht soviel Angst«, sagte sie im Bemühen, sicher zu erscheinen. »Wir entkommen ihnen schon irgendwie. Wenn wir mit den Seanchan fertig wurden, dann werden wir auch mit Liandrin fertig.«

Nynaeve und Elayne tauschten über ihr einen Blick. Dann sagte Nynaeve: »Liandrin sagte, daß dreizehn Myrddraal kämen, Egwene.«

Sie ertappte sich dabei, daß sie wieder diese Botschaft an der Wand anblickte: ›Licht sei mir gnädig und laß mich sterben.‹ Ihre Hände verkrampften sich zu Fäusten. Ihr Kiefer schmerzte, so heftig biß sie die Zähne aufeinander, um die Worte nicht herauszuschreien. Lieber sterben! Lieber der Tod, als zum Schatten bekehrt zu werden und dem Dunklen König zu dienen!

Ihr wurde bewußt, daß sich ihre eine Hand um den Beutel an ihrem Gürtel geschlossen hatte. Sie fühlte die beiden Ringe darin, den kleineren mit der Großen Schlange und den größeren verdrehten Steinring.

»Sie haben mir den Ter'Angreal nicht abgenommen«, sagte sie erstaunt. Sie zog ihn aus dem Beutel. Er lag schwer auf ihrer Handfläche mit all seinen Streifen und Farbflecken — ein Ring mit einer einzigen Oberfläche.

»Wir waren noch nicht einmal wichtig genug, uns zu durchsuchen«, seufzte Elayne. »Egwene, bist du sicher, daß Rand hierherkommt? Ich würde uns viel lieber selbst befreien, als darauf zu warten, daß er es tut, aber wenn es überhaupt jemanden gibt, der Liandrin und die anderen besiegt, dann eben nur ihn. Der Wiedergeborene Drache ist dazu bestimmt, Callandor zu führen. Er muß einfach in der Lage sein, mit ihnen fertigzuwerden.«

»Nicht, wenn wir ihn auch noch unfreiwillig in solch einen Käfig locken«, knurrte Nynaeve. »Nicht, wenn sie für ihn eine Falle aufgebaut haben, die er nicht sieht. Warum starrst du diesen Ring so an, Egwene? Tel'aran'rhiod kann uns jetzt nicht helfen. Außer, du träumst uns einen Weg hier heraus.«

»Vielleicht kann ich das«, sagte sie bedächtig. »In Tel'aran'rhiod konnte ich die Macht benützen. Und ihre Abschirmung wird mich nicht daran hindern, es zu erreichen. Alles, was ich tun muß, ist, zu schlafen, aber nicht, die Macht hier zu benützen. Und ich bin ganz sicher müde genug, um einzuschlafen.«

Elayne runzelte die Stirn und zog scharf die Luft ein, doch selbst diese Bewegung schmerzte. »Ich will ja gerne alles tun, aber wie kannst du selbst in einem Traum die Macht gebrauchen, obwohl du von der Wahren Quelle abgeschnitten bist? Und falls doch, wie kann uns das dann hier helfen?«

»Ich weiß es nicht, Elayne. Doch nur, weil ich hier abgeschirmt bin, muß ich in der Welt der Träume noch lange nicht abgeschirmt sein. Es ist zumindest einen Versuch wert.«

»Vielleicht«, sagte Nynaeve besorgt. »Ich würde auch alles tun, aber beim letztenmal, als du den Ring benützt hast, bist du doch auf Liandrin und die anderen getroffen. Und du hast gesagt, sie hätten dich auch bemerkt. Was wird, wenn sie wieder dort sind?«

»Hoffentlich sind sie das«, sagte Egwene grimmig. »Hoffentlich sind sie das.«

Sie schloß ihre Hand um den Ter'Angreal und dann ihre Augen. Sie spürte, wie ihr Elayne über das Haar strich und wie sie ihr ganz sanft etwas ins Ohr murmelte. Nynaeve begann, wieder dieses Schlaflied aus ihrer Kindheit zu summen. Diesmal ärgerte sie das überhaupt nicht. Die leisen Töne und die Berührungen beruhigten sie. Sie ergab sich der Erschöpfung und fühlte den Schlaf kommen.

Diesmal trug sie blaue Seide, aber mehr bemerkte sie auch nicht. Eine sanfte Brise streichelte ihr unverletztes Gesicht und wirbelte die Schmetterlinge über den Blüten hoch. Ihr Durst und ihre Schmerzen waren verschwunden. Sie fühlte mit dem Geist hinaus und spürte Saidar und wurde erfüllt von der Einen Macht. Doch selbst der Triumph, den sie ob dieses Erfolgs empfand, ging unter in dem Rausch der sie durchdringenden Macht.

Zögernd brachte sie sich dazu, Saidar wieder loszulassen. Sie schloß die Augen und füllte die Leere mit einem vollkommenen Abbild des Herz des Steins. Das war der einzige Raum im Stein, von ihrer Zelle abgesehen, den sie bisher gesehen hatte. Als sie die Augen öffnete, befand sie sich dort. Doch sie war nicht allein.

Die Gestalt Joyia Byirs stand vor Callandor. Sie war so geisterhaft, daß das strahlende Licht des Schwerts durch ihren Körper hindurchleuchtete. Das Kristallschwert glitzerte nicht mehr nur durch reflektiertes Licht. Nein, es glühte und pulsierte, als werde ein inneres Licht enthüllt, abgeschirmt und wieder enthüllt. Die Schwarze Schwester fuhr überrascht zusammen und wirbelte zu Egwene herum. »Wie? Ihr seid abgeschirmt! Eure Träume sind beendet!«