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Sie wußte, es war möglich, eine Frau von der Wahren Quelle abzuschneiden, auch wenn sie bereits Saidar berührt hatte, aber ein bereits geschaffenes Gewebe wieder aufzutrennen mußte viel schwieriger sein, als den Strom aufzuhalten, bevor er richtig floß. Sie schuf die Muster, die sie weben wollte, hielt sie bereit, machte aber die Stränge des Elements Geist diesmal viel dicker und schwerer, so daß ein dichteres Gewebe entstand, das jedoch eine Kante wie eine Messerschneide aufwies.

Die flackernde Gestalt der Schwarzen Schwester erschien wieder, und Egwene ließ die Ströme aus Luft und Geist auf sie los. Einen Augenblick lang schien etwas dem Gewebe des Geistes zu widerstehen, doch sie drückte mit aller Macht nach. Da gab es nach.

Amico Nagoyin schrie. Es war ein dünner Laut, kaum hörbar, so schwach wie sie selbst, und sie erschien beinahe wie ein Schatten dessen, was Joyia Byir gewesen war. Doch die aus Luft gewobenen Bande hielten sie fest. Sie verschwand nicht mehr. Angst verzerrte das hübsche Gesicht der Schwarzen Ajah. Sie schien etwas zu plappern, aber selbst ihre Schreie waren ein Flüstern, so leise, daß Egwene es nicht verstand.

Sie verknotete die Gewebe, nachdem sie die Schwarze Schwester ganz darin eingehüllt hatte, und wandte ihre Aufmerksamkeit der Zellentür zu. Ungeduldig sandte sie einen Strom aus dem Element Erde in das Eisenschloß. Es zerfiel zu schwarzem Staub, so fein, daß er sich aufgelöst hatte, bevor er den Boden erreichte. Sie öffnete die Tür und war nicht überrascht, die Zelle leer vorzufinden. Nur eine Schilffackel brannte darin.

Aber Amico ist gebunden und die Tür steht offen.

Einen Moment lang überlegte sie, was sie als nächstes tun solle. Dann trat sie aus dem Traum heraus...

... und erwachte unter Schmerzen und durstig, die Zellenwand am Rücken. Sie blickte direkt auf die verschlossene Zellentür. Natürlich. Was mit lebendigen Dingen dort geschieht, ist Wirklichkeit, wenn sie erwachen. Was ich jedoch mit Stein und Eisen oder Holz dort anstellte, hat in der Welt des Erwachens keine Wirkung.

Nynaeve und Elayne knieten noch immer neben ihr. »Wer auch dort draußen ist«, sagte Nynaeve, »hat vor ein paar Augenblicken geschrien, aber sonst ist nichts geschehen. Hast du einen Fluchtweg gefunden?«

»Wir sollten eigentlich hinausmarschieren können«, sagte Egwene. »Helft mir auf die Beine und ich werde dieses Schloß entfernen. Amico wird uns keine Schwierigkeiten machen. Das war sie, die geschrien hat.«

Elayne schüttelte den Kopf. »Ich habe versucht, Saidar zu erreichen, seit du eingeschlafen warst. Es ist jetzt etwas anders geworden, aber ich bin immer noch davon abgeschnitten.«

Egwene bildete die Leere in sich und wurde zu der Rosenknospe, die sich Saidar öffnete. Die unsichtbare Wand war immer noch da. Jetzt schimmerte sie. Es gab Augenblicke, da sie glaubte, beinahe spüren zu können, wie die Wahre Quelle sie mit Macht zu füllen begann. Beinahe. Die Abschirmung flackerte schneller, als sie nachvollziehen konnte. Sie hätte genausogut immer noch fest sein können.

Sie blickte die anderen beiden Frauen an. »Ich habe sie gebunden. Ich habe sie abgeschirmt. Sie ist ein mit Leben erfülltes Wesen, kein lebloses Eisen. Sie muß immer noch abgeschirmt sein.«

»Es ist auch etwas mit der Abschirmung um uns geschehen«, sagte Elayne. »Aber Amico bringt es immer noch fertig, sie aufrecht zu erhalten.«

Egwene ließ den Kopf an die Wand sacken. »Ich muß es wieder versuchen.«

»Bist du stark genug?« Elayne verzog das Gesicht. »Um es geradeheraus zu sagen, du klingst noch schwächer als zuvor. Dieser Versuch hat dir einiges abverlangt, Egwene.«

»Dort bin ich stark genug.« Sie fühlte sich auch erschöpfter, schwächer, aber es war eben die einzige Möglichkeit, die ihr einfiel. Das sagte sie ihnen, und ihre Gesichter sagten, daß sie ihr zustimmten, wenn auch zögernd.

»Kannst du so bald wieder einschlafen?« fragte Nynaeve schließlich.

»Sing mir was vor.« Egwene brachte ein Lächeln zustande. »So wie damals, als ich ein kleines Mädchen war. Bitte!« Sie hielt eine Hand Nynaeves in ihrer, den Steinring in der anderen, schloß die Augen und versuchte, in der wortlosen gesummten Melodie Schlaf zu finden.

Das breite eiserne Gittertor stand offen, und der Raum dahinter schien leer. Doch Mat ging nur vorsichtig hinein. Sandar war noch draußen im Gang und versuchte, nach allen Seiten gleichzeitig Ausschau zu halten, sicher, daß jeden Moment ein Hochlord oder vielleicht hundert Verteidiger auftauchen würden.

Es befanden sich jetzt keine Menschen in dem Raum. Das hatten sie zweifellos dem Kampf oben zu verdanken, wie er an den halbgegessenen Speisen auf einem langen Tisch sah, von dem sie offensichtlich hastig aufgesprungen waren. Wenn er die Dinge betrachtete, die an den Wänden hingen, war er durchaus froh, ihnen nicht begegnen zu müssen. Peitschen verschiedener Größen und Längen, unterschiedlicher Stärke und mit unterschiedlicher Zahl von Schnüren. Zangen und Klammern und Handschellen. Gerätschaften, die wie Metallstiefel aussahen, und Handschuhe und Helme, auf denen sich große Schrauben befanden, die man wohl anziehen konnte, um diese Stücke zu verengen. Andere Dinge waren da, deren Zweck er nicht einmal ahnte. Wäre er den Männern begegnet, die so etwas benützten, hätte er wohl zuallererst dafür gesorgt, daß sie ihr Leben ließen, bevor er weiterging.

»Sandar!« zischte er. »Wollt Ihr die ganze verdammte Nacht lang dort draußen herumstehen?« Er eilte zur Innentür — wie die äußere verschlossen, aber kleiner — und ging hinein, ohne auf eine Antwort zu warten. Im Korridor dahinter befanden sich viele grobe Holztüren. Die Beleuchtung kam genau wie draußen von qualmenden Schilffackeln. Nicht mehr als zwanzig Schritt vor ihm saß eine Frau auf einer Bank neben einer der Türen. Sie hatte sich eigenartig steif an die Wand gelehnt. Sie drehte den Kopf ganz langsam in seine Richtung, als sie das Knirschen seiner Stiefel auf dem Steinboden hörte. Eine hübsche junge Frau. Er fragte sich, warum sie nur ihren Kopf bewegte und selbst den wie im Halbschlaf.

War sie eine Gefangene? Draußen im Gang? Aber jemand mit einem solchen Gesicht kann nicht zu denen gehören, die solche Sachen wie dort draußen an den Wänden benützen. Sie wirkte wirklich, als schliefe sie.

Ihre Augen waren nur ein wenig geöffnet. Und die Qual, die sich auf diesem lieblichen Gesicht abzeichnete, machte sie wohl eher zu einer der Gefolterten als einem Folterknecht.

»Halt!« schrie Sandar hinter ihm. »Das ist eine Aes Sedai! Sie ist eine von denen, die diese Frauen gefangennahmen, die Ihr sucht!«

Mat verharrte mitten im Schritt und starrte die Frau an. Er erinnerte sich daran, wie Moiraine Feuerkugeln geschleudert hatte. Er fragte sich, ob er eine solche Feuerkugel mit dem Bauernspieß ablenken könne. Er fragte sich auch, ob sein Glück je ausreichen würde, den Aes Sedai zu entkommen.

»Hilf mir«, sagte sie mit schwacher Stimme. Ihre Augen wirkten nach wie vor wie im Halbschlaf, aber der bittende Tonfall ihrer Stimme war wohl hellwach. »Helft mir, bitte!«

Mat zwinkerte. Sie hatte unterhalb ihres Halses noch immer keinen Muskel bewegt. Vorsichtig trat er näher heran und gab Sandar einen Wink, sein Gejammere über die Aes Sedai einzustellen. Sie bewegte den Kopf gerade noch, um ihm mit Blicken folgen zu können, aber auch nicht mehr.

An ihrem Gürtel hing ein großer eiserner Schlüssel. Einen Augenblick lang zögerte er. Eine Aes Sedai, hatte Sandar gesagt. Warum bewegt sie sich nicht? Er schluckte, und dann zog er den Schlüssel so vorsichtig aus der Schlinge, als versuche er, einem Wolf ein Stück Fleisch aus den Zähnen zu ziehen. Sie rollte mit den Augen in Richtung auf die Tür neben ihr und stieß einen Laut aus ähnlich dem einer Katze, die gerade gesehen hat, wie ein riesiger Hund knurrend zu ihr in einen Raum kam, der keinen zweiten Ausgang hat.