Callandor kampfbereit in der Hand, eilte Rand hinter Ba'alzamon her.
Der hohe Torbogen, der aus dem Herzen hinausführte, brach zusammen, als er ihn gerade erreichte. Die gesamte Wand stürzte in Staubwolken und einem Regen von Steinbrocken zusammen, der drohte, ihn zu begraben. Er lenkte die Macht darauf, und alles wurde zu in der Luft schwebendem Staub. Er lief weiter. Er wußte nicht genau, was er gemacht hatte und wie, aber er hatte keine Zeit zum Nachdenken. Er jagte Ba'alzamons sich entfernenden Schritten hinter her, deren Echo in den Gängen des Steins ertönte.
Myrddraal und Trollocs erschienen plötzlich aus dem Nichts heraus, riesige, bestialische Gestalten mit haßverzerrten Gesichtern, Hunderte, und so füllten sie den Gang vor ihm und hinter ihm. Sichelähnliche Schwerter und solche aus tödlichschwarzem Stahl verlangten nach seinem Blut. Ohne zu wissen, wie, verwandelte er sie in Dunst, der sich vor ihm teilte und verschwand. Die ihn umgebende Luft wurde zu stickigem Ruß, der seine Nase verstopfte, ihm den Atem raubte, aber er ließ die Luft wieder frisch und kühl werden. Flammen loderten aus dem Boden unter seinen Füßen empor, brachen aus Wänden und Decke, wütende Feuerzungen, die Gobelins und Läufer verzehrten, Tische und Truhen zu Aschehaufen verbrannten, Zierrat und Lampen vor sich zu Tropfen geschmolzenen, brennenden Goldes reduzierten. Er zerschlug die Feuer, verfestigte sie zu einer roten Glasur auf dem Steinboden.
Die ihn umgebenden Steine wurden durchscheinend wie Nebel; der Stein verblaßte. Die Wirklichkeit erbebte. Er konnte spüren, wie sie sich abwickelte, wie er selbst seinen Lebensfaden abwickelte. Er wurde aus dem Hier herausgestoßen an irgendeinen anderen Ort, wo überhaupt nichts existierte. Callandor flammte in seinen Händen wie die Sonne, bis er glaubte, es werde schmelzen. Er glaubte auch, er selbst werde im Strom der Einen Macht schmelzen, der ihn durchfloß. Diese Flut lenkte er irgendwie dorthin, wo er das Loch wieder verschloß, das sich um ihn herum geöffnet hatte, so daß er sich auf der Seite des Seins halten konnte. Der Stein wurde wieder fest und undurchsichtig.
Er konnte sich nicht einmal vorstellen, was er da eigentlich tat. Die Eine Macht wütete in ihm, bis er sich selbst kaum mehr kannte, bis er kaum noch er selbst war, bis das, was er selbst war, kaum noch existierte. Sein unsicheres Gleichgewicht wankte.
Zu beiden Seiten drohte ein endloser Absturz, das Ausgelöschtwerden durch die Macht, die aus ihm in das Schwert floß. Nur in dem Tanz auf der Schneide der Rasierklinge lag noch etwas wie Sicherheit, wenn auch nicht viel. Callandor leuchtete in seiner Faust, bis es ihm schien, als trüge er die Sonne selbst. Undeutlich flackerte in ihm wie die Flamme einer Kerze im Sturm das sichere Gefühl, daß er alles vollbringen könne, solange er Callandor hielt. Alles.
Er jagte durch endlose Korridore, tanzte auf der Rasierklinge entlang, jagte denjenigen, der ihn töten wollte, den er töten mußte. Diesmal konnte es keinen anderen Ausgang geben. Diesmal mußte einer von ihnen beiden sterben. Daß das auch Ba'alzamon wußte, war klar. Immer weiter floh er, immer befand er sich gerade noch außer Sicht, so daß nur die Geräusche seiner Flucht Rand weiterlockten, doch selbst auf der Flucht verwandte er diesen Stein von Tear, der nicht der echte Stein von Tear war, gegen Rand, und Rand kämpfte instinktiv, vorausahnend und mit der Hilfe des Zufalls dagegen an, kämpfte und rannte diese Messerschneide in vollkommenem Gleichklang mit der Macht entlang, dem Werkzeug und der Waffe, die ihn verschlingen würde, sollte er versagen.
Wasser füllte die Säle von oben bis unten, dick und schwarz wie am Grund des Meeres, und nahm ihm die Luft. Er verwandelte es wieder in Luft, ganz unbewußt, und jagte weiter. Plötzlich gewann die Luft an Gewicht, bis es ihm schien, als drücke ein ganzer Berg auf jede Stelle seines Körpers, als werde er von allen Richtungen gleichzeitig zerquetscht. In jenem Moment, bevor er vollkommen zu nichts zermalmt wurde, wählte er bestimmte Fluten aus dem Strom der Macht aus, der in ihm wütete, und der Druck verschwand augenblicklich, ohne daß ihm bewußt gewesen wäre, wie oder warum und welchen Strang er erwählt hatte; dazu war alles zu schnell gegangen. Er verfolgte Ba'alzamon, und die Luft selbst wurde mit einemmal zu festem Stein, der ihn einschloß. Dann schmolz der Stein, und schließlich war überhaupt nichts mehr da, was seine Lunge füllte. Der Boden unter seinen Füßen zog ihn an, als wöge ein Pfund plötzlich tausend, und dann verflog alles Gewicht so schnell, daß ein einziger Schritt ihn in die Luft hinauf wirbelte. Ein unsichtbarer Schlund öffnete sich und wollte ihm den Verstand aus dem Körper zerren, ihm die Seele selbst entreißen. Er überwand jede Falle und rannte weiter. Was Ba'alzamon auch verformte, um ihn zu vernichten, das heilte er, ohne sich dessen bewußt zu sein. Irgendwie war ihm schon klar, daß er vieles wieder ins natürliche Gleichgewicht brachte, Dinge durch seinen Tanz auf der unmöglich feinen Trennlinie zwischen Existenz und dem Nichts wieder richtete, aber dieses Bewußtsein war nur ganz schwach ausgeprägt. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Verfolgung, der Jagd, dem Tod, der an ihrem Ende stehen mußte.
Und dann befand er sich wieder im Herzen des Steins und schritt durch die mit Trümmern übersäte Bresche, wo einst eine Wand gestanden hatte. Einige Säulen hingen jetzt schief wie abgebrochene Zähne in der Halle. Und Ba'alzamon zog sich vor ihm zurück. Seine Augen flammten, und Schatten hüllten ihn ein. Schwarze Linien wie Stahldrähte zogen sich von Ba'alzamon ausgehend in die Dunkelheit hinein, die sich dort aufbaute, und verschwanden in unvorstellbare Höhen und Entfernungen innerhalb dieser Schwärze.
»Ich lasse mich nicht auflösen!« schrie Ba'alzamon. Sein Mund war Feuer; sein Schrei warf Echos zwischen den Säulen. »Ich kann nicht besiegt werden! Kommt mir zur Hilfe!« Einiges von der ihn einhüllenden Dunkelheit waberte in seine Hände, und er formte daraus eine so schwarze Kugel, daß sie sogar das von Callandor ausgehende Licht aufsaugte. Plötzlicher Triumph erglühte aus den Flammen seiner Augen.
»Du wirst vernichtet!« rief Rand. Callandor wirbelte in seinen Händen. Sein Licht drückte die Dunkelheit zurück, zerschnitt die stahlschwarzen Fäden um Ba'alzamon, und der wand sich in Krämpfen. Als existierten zwei Ba'alzamons gleichzeitig, schien er zu schrumpfen und im gleichen Moment zu wachsen. »Du wirst aufgelöst!« Rand stieß die leuchtende Klinge in Ba'alzamons Brust.
Ba'alzamon schrie, und die Feuer seines Gesichts flammten wild. »Narr!« heulte er. »Den Großen Herrn der Dunkelheit kann niemand jemals besiegen!«
Rand zog Callandors Klinge aus Ba'alzamons Körper heraus, und er sackte herunter und begann zu fallen. Der ihn umgebende Schatten verschwand.
Und plötzlich befand sich Rand in einem anderen Herzen des Steins, umgeben von unbeschädigten Säulen und Männern, die schrien und starben, verschleierten Männern und gerüsteten mit Brustpanzern und Helmen. Moiraine lag immer noch zusammengebrochen am Sockel einer Sandsteinsäule. Und zu Rands Füßen lag die Leiche eines Mannes, der mit einem durch die Brust gebrannten Loch auf dem Rücken lag. Es wäre vielleicht ein gutaussehender Mann von mittleren Jahren gewesen, aber wo sich Augen und Mund befinden sollten, klafften bei ihm nur Löcher, aus denen sich schwarze Rauchwölkchen erhoben.
Ich habe es geschafft, dachte er. Ich habe Ba'alzamon getötet, Shai'tan getötet. Ich habe die Letzte Schlacht gewonnen. Licht, ich bin wirklich der Wiedergeborene Drache! Der Zerstörer ganzer Nationen, der Zerstörer der Welt! Nein! Ich will das Zerstören und das Töten beenden! Ich WERDE es beenden!