Die um die Talmulde herum verstreuten Bäume brannten wie Fackeln. Gerade, als der Junge Bulle ins Getümmel eintauchte, brach eine hohe Kiefer in Flammen aus. Die Nachtluft flimmerte in fahlem Blau wie unter Nordlichtern, als Lan auf einen weiteren Myrddraal traf. Die uralte, von Aes Sedai hergestellte Klinge prallte auf den schwarzen Stahl, der in Thakan'dar, im Schatten des Shayol Ghul, hergestellt wird. Loial benützte einen Kampfstock von der Größe eines Zaunpfahls. Der herumwirbelnde Balken schuf einen Freiraum um ihn, den kein Trolloc betreten konnte, ohne getroffen niederzustürzen. In den tanzenden Schatten fochten Männer einen verzweifelten Kampf, aber der Junge Bulle — Perrin — nahm verschwommen wahr, daß bereits zu viele der schienarischen Zweibeiner auf dem Boden lagen.
Die Brüder und Schwestern kämpften in kleinen Rudeln zu dritt oder zu viert, duckten sich unter Sichelschwertern und Dornenäxten hinweg, zerfetzten mit ihren mächtigen Kiefern Kniekehlen und sprangen hoch, wenn ihre Beute stürzte, um ihnen die Kehlen durchzubeißen. Es lag keine Ehre in dieser Art zu kämpfen, kein Ruhm, keine Gnade. Sie waren nicht zum Kämpfen gekommen, sondern um zu töten. Der Junge Bulle schloß sich einem der kleineren Rudel an, und die Schneide seiner Axt ersetzte ihm die Zähne.
Er hatte nicht mehr den gesamten Kampf im Auge. Es gab nur den Trolloc, ihn und die Wölfe — die Brüder —, und der Trolloc wurde von seinen Genossen abgeschnitten und zur Strecke gebracht. Dann gab es einen neuen und wieder einen und noch einen, bis keine mehr übrig waren. Keiner in ihrer Nähe; überhaupt keiner mehr zu sehen. Er fühlte in sich den Drang, seine Axt wegzuschleudern, die Zähne zu benützen und auf allen vieren zu rennen wie seine Brüder. Über die hohen Pässe in den verschneiten Bergen rennen. Bis zum Bauch im pulvrigen Schnee rennen und einen Hirsch verfolgen. Mit dem kalten Wind rennen, der einem das Fell zerzauste. Er knurrte wie seine Brüder, und die Trollocs heulten vor Furcht, wenn der Blick aus seinen gelben Augen sie traf. Sie fürchteten ihn mehr als die anderen Wölfe.
Mit einem Mal wurde ihm bewußt, daß sich in der gesamten Mulde keine Trollocs mehr befanden, obwohl er fühlen konnte, daß seine Brüder noch einige auf der Flucht verfolgten. Ein Rudel von sieben hatte eine andere Beute im Auge, irgendwo dort draußen in der Dunkelheit. Einer der Ungeborenen rannte zu seinem hartfüßigen Vierbein — etwas in seinem Innern gab ihm den Namen Pferd —, und seine Brüder folgten ihm, seine Witterung in der Nase: den Geruch des Todes. Im Geist war er bei ihnen und sah durch ihre Augen. Als sie ihn einkreisten, wandte sich der Ungeborene ihnen fluchend zu. Die schwarze Klinge und der schwarzgekleidete Ungeborene waren wie ein Teil der Nacht. Aber seine Brüder und Schwestern waren die Jäger der Nacht.
Der Junge Bulle knurrte, als der erste Bruder starb. Sein Todesschmerz durchfuhr auch ihn. Aber die anderen zogen den Kreis enger. Mehr und mehr Brüder und Schwestern starben, doch ihre zuschnappenden Gebisse zerrten den Ungeborenen zu Boden. Er biß jetzt selbst zurück, zerriß Wolfskehlen, kratzte mit Fingernägeln, die durch Haut und Fleisch fetzten wie die harten Klauen, die die Zweibeiner trugen, doch die Brüder zerrissen ihn selbst im Todeskampf. Schließlich erhob sich eine einsame Schwester aus dem zuckenden Haufen und taumelte zur Seite. Morgennebel nannte man sie, doch wie bei all ihren Namen schloß das noch weitere Bedeutungen mit ein: ein eisiger Morgen, der den kommenden Schnee bereits fühlen ließ, Nebel, der das Tal in dichten Schwaden verhüllte, und eine scharfe Brise, die gute Jagd versprach. Morgennebel hob den Kopf und heulte den von Wolken verdeckten Mond an, heulte ihm ihre Totenklage entgegen.
Der Junge Bulle legte den Kopf in den Nacken und heulte mit ihr, trauerte mit ihr.
Als er den Kopf wieder senkte, starrte ihn Min mit großen Augen an. »Geht es dir gut, Perrin?« fragte sie zögernd. Sie hatte eine Schramme auf der Wange, und ein Ärmel ihres Mantels hing halb ausgerissen herunter. In einer Hand trug sie einen Knüppel und in der anderen einen Dolch. Auf beiden bemerkte er Blut und Haare.
Er sah, daß sie ihn alle anblickten, jedenfalls alle, die noch auf den Beinen waren. Loial stützte sich erschöpft auf seinen langen Stock. Schienarer hatten kurz ihre Arbeit unterbrochen, die Gefallenen hinunter zu Moiraine zu tragen, die mit Lan zur Seite über einen von ihnen gebeugt dastand. Selbst die Aes Sedai blickte zu ihm herüber. Die brennenden Bäume warfen wie riesige Fackeln ein unruhig flackerndes Licht über die Szenerie. Überall lagen tote Trollocs. Mehr Schienarer lagen auf dem Boden als noch auf den Beinen waren, und zwischen ihnen verstreut lagen die Körper seiner Brüder. So viele...
Perrin fühlte erneut den Drang zu heulen. Verzweifelt schottete er sich von den Wölfen ab. Bilder sickerten trotzdem noch durch, Gefühle, die er von sich abzuhalten versuchte. Schließlich aber konnte er sie nicht mehr spüren, keinen Schmerz mehr, keinen Zorn, keinen Drang, die Entstellten weiter zu jagen oder einfach zu rennen... Er schüttelte sich. Die Wunde an seinem Rücken brannte wie Feuer, und seine verletzte Schulter fühlte sich an, als sei sie mit einem Hammer auf dem Amboß weichgeklopft worden. Seine bloßen Füße, verkratzt und verschrammt, pulsierten vor Schmerz. Überall lag der Geruch nach Blut in der Luft, nach Trollocs und Tod.
»Mir... mir geht's schon wieder gut, Min.«
»Du hast gut gekämpft, Schmied«, sagte Lan. Der Behüter erhob sein bluttriefendes Schwert und rief: »Tai'shar Manetheren! Tai'shar Andor!« Das wahre Blut von Manetheren. Das wahre Blut von Andor.
Die Schienarer, die noch auf den Beinen waren — so wenige —, hoben ihre Schwerter und schlossen sich ihm an: »Tai'shar Manetheren! Tai'shar Andor!« Loial nickte. »Ta'veren«, fügte er hinzu.
Perrin schlug verlegen die Augen nieder. Lan hatte ihn vor den Fragen bewahrt, die er nicht beantworten wollte, aber dafür hatte er ihm eine unverdiente Ehre zuteil werden lassen. Die anderen verstanden das nicht. Er fragte sich, was sie wohl sagen würden, wenn sie die Wahrheit wüßten. Min schob sich näher heran, und er murmelte: »Leya ist tot. Ich konnte nicht... ich hätte sie beinahe noch rechtzeitig erreicht.«
»Es hätte keinen Unterschied gemacht«, sagte sie leise. »Das weißt du doch.« Sie beugte sich vor und betrachtete seinen Rücken. Selbst sie zuckte dabei zusammen. »Moiraine wird sich darum kümmern. Sie heilt alle, denen sie noch helfen kann.«
Perrin nickte. Sein Rücken starrte bis zur Taille hinunter vor angetrocknetem Blut, doch trotz der Schmerzen bemerkte er das alles kaum. Licht, diesmal wäre ich beinahe nicht mehr zurückgekommen. Das darf nicht mehr passieren. Nie mehr! Aber wenn er im Geist bei den Wölfen war, war alles so anders. Er mußte sich keine Gedanken mehr über Fremde machen, die vor ihm Angst hatten, weil er so groß und kräftig war. Man glaubte nicht, er sei dumm, weil er sich Zeit zum Überlegen nahm. Die Wölfe kannten einander, auch wenn sie sich noch nie zuvor gesehen hatten, und für sie war er lediglich ein anderer Wolf.
Nein! Seine Hände verkrampften sich um den Schaft der Axt. Nein! Er fuhr zusammen, als Masema plötzlich etwas sagte: »Es war ein Zeichen«, stellte der Schienarer fest. Er drehte sich im Kreis herum, weil er alle ansprechen wollte. Auf seinen Armen und seiner Brust klebte ebenfalls Blut — er hatte nur Hosen angehabt —, und er hinkte, doch seine Augen leuchteten so leidenschaftlich wie immer. Noch leidenschaftlicher. »Ein Zeichen, um unseren Glauben zu bestätigen. Selbst die Wölfe kamen, um für den Wiedergeborenen Drachen zu kämpfen. In der Letzten Schlacht wird der Drache sogar die Tiere des Waldes herbeirufen, um an unserer Seite zu streiten. Es ist ein Zeichen für uns, auszureiten. Nur Schattenfreunde werden sich uns nicht anschließen.« Zwei der Schienarer nickten.
»Halt dein blutiges Maul, Masema!« schimpfte Uno. Er schien völlig unverletzt, aber Uno hatte schließlich auch schon gegen Trollocs gekämpft, bevor Perrin geboren wurde. Doch man sah, daß er vor Erschöpfung wankte. Nur das aufgemalte Auge auf seiner Augenklappe schien frisch. »Wir werden verdammt noch mal ausreiten, wenn der Drache uns das verflucht noch mal sagt, und nicht eher! Ihr schafsköpfigen Bauern werdet euch, Licht noch mal, daran erinnern!« Der Einäugige blickte die wachsende Reihe von Männern an, die sich von Moiraine behandeln lassen wollten. Nur wenige konnten sich überhaupt aufsetzen, selbst nach ihrer Behandlung. Er schüttelte den Kopf. »Wenigstens haben wir verdammt genug Wolfspelze, um die Verwundeten warmzuhalten.«