Perrin zögerte einen Moment und ging dann ein Stück am Ufer entlang bachaufwärts zu einem anderen Überhang. Sie hatte etwas vor, aber er konnte sich nicht vorstellen, was es war. Das beunruhigte ihn. Er legte sich auf den Bauch, achtete sorgfältig darauf, daß sein Schatten nicht auf das Wasser fiel, und spähte über den Uferrand hinunter. Ein halbes Dutzend eleganter Fischkörper schwebte im Wasser, und sie bewegten kaum eine Flosse, um an ihrem Platz zu bleiben. Alle zusammen wogen bestimmt nicht soviel wie Moiraines Fisch, stellte er seufzend fest. Falls sie Glück hatten, konnten Loial und er vielleicht jeder zwei davon fangen, aber der Schatten der Bäume am gegenüberliegenden Ufer erstreckte sich bereits über das Wasser. Was sie jetzt auch fingen, würde für heute ihr letzter Fang sein, und Loials Appetit reichte schon aus, diese vier allein aufzuessen und noch einen Teil des größeren Fisches dazu. Loials Hände bewegten sich schon langsam von hinten auf eine der größeren Forellen zu.
Bevor Perrin auch nur die Hand ins Wasser stecken konnte, rief Moiraine ihnen zu: »Drei sollten reichen, glaube ich. Die letzten beiden sind größer als der erste.«
Perrin sah Loial überrascht an. »Das kann doch nicht wahr sein!«
Der Ogier richtete sich auf. Die kleinen Forellen schossen davon. »Sie ist eben eine Aes Sedai«, sagte er einfach.
Und tatsächlich lagen, als sie zu Moiraine zurückkehrten, drei große Forellen am Ufer. Sie knöpfte sich bereits die Ärmel wieder zu.
Perrin hätte sie am liebsten an die alte Regel erinnert, daß derjenige, der einen Fisch fing, ihn auch putzen und ausnehmen mußte, aber gerade in diesem Moment sah sie ihm direkt in die Augen. Ihr ebenmäßiges Gesicht zeigte keinen besonderen Ausdruck. Der Blick aus ihren dunklen Augen war fest und schien ihm zu sagen, sie wisse, was er vorhabe, und sie lehne das ab. Als sie sich dann abwandte, schien es irgendwie zu spät, um noch etwas zu sagen.
Knurrend zog Perrin sein Messer und machte sich daran, die Fische zu putzen und auszunehmen. »Plötzlich denkt sie nicht mehr daran, ihren Teil der Arbeit zu tun, wie es scheint. Ich schätze, sie läßt uns auch noch kochen und hinterher spülen.«
»Zweifellos«, sagte Loial, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. »Sie ist eben eine Aes Sedai.«
»Das habe ich doch irgendwann schon mal gehört.« Die Schuppen spritzten von Perrins Messer. »Den Schienarern hat es vielleicht nichts ausgemacht, für sie die Laufburschen zu spielen, aber jetzt sind wir nur noch zu viert. Wir sollten alle an die Reihe kommen. Das wäre nur fair.«
Loial schnaubte und lachte in einem. »Ich bezweifle, daß sie gleicher Meinung ist. Zuerst streitet sich Rand die ganze Zeit mit ihr, und nun bist anscheinend du dabei, seinen Platz einzunehmen. In der Regel läßt keine Aes Sedai überhaupt mit sich streiten. Ich schätze, sie will uns wieder brav in der Reihe haben, wenn wir mal das erste Dorf erreichen.«
»Eine gute Angewohnheit«, sagte Lan und öffnete seinen Umhang. Im Dämmerlicht war er wie aus dem Nichts aufgetaucht.
Perrin wäre vor Überraschung beinahe umgekippt, und Loials Ohren wurden vor Schreck steif. Keiner von beiden hatte den Schritt des Behüters gehört.
»Ihr hättet diese Angewohnheit gar nicht erst aufgeben sollen«, fügte Lan hinzu. Dann schritt er in Richtung auf Moiraine und die Pferde weiter. Man hörte selbst auf diesem steinigen Boden kaum etwas von seinen Stiefeln, und sobald er ein paar Schritt entfernt war, verlieh ihm der über seinen Rücken gehängte Umhang das Aussehen eines vom Bach heraufschwebenden Gespensts, von dem man nur Kopf und Arme sehen konnte.
»Wir brauchen sie, um Rand zu finden«, sagte Perrin leise, »aber ich lasse mir von ihr nicht mehr vorschreiben, wie mein Leben auszusehen hat.« Er schabte noch wilder an dem Fisch herum.
Dieses Versprechen gedachte er einzuhalten — wirklich und wahrhaftig —, doch während der nächsten Tage geschah es irgendwie, ohne daß er sagen konnte, warum, daß Loial und er kochten, spülten und alle anderen Arbeiten verrichteten, die Moiraine einfielen. Er bemerkte sogar zu seiner eigenen Überraschung, daß er, ohne weiter nachzudenken, die Aufgabe übernommen hatte, Aldieb jeden Abend zu versorgen, die Stute abzusatteln und abzureiben, während Moiraine sich — offensichtlich gedankenverloren — hinsetzte.
Loial sah es als unvermeidlich an und fügte sich in die Situation. Perrin nicht. Er bemühte sich, zu widerstehen, zu verweigern, aber es war so schwer, einen vernünftigen Vorschlag von ihr abzulehnen, und noch dazu so etwas Geringfügiges. Ihre beherrschende Persönlichkeit, ihr strenger Blick machten es schwer, zu protestieren. Der Blick aus ihren dunklen Augen traf ihn, sobald er nur den Mund aufmachte. Eine leicht angehobene Augenbraue deutete ihm an, er sei unhöflich. Wenn sie die Augen aufriß, zeigte sie ihm, wie überrascht sie sei, daß er eine so geringfügige Bitte abschlug. Ansonsten enthielt ihr fester Blick alles, was eine Aes Sedai ausmachte, und so zögerte er immer wieder. Sobald er aber zögerte, konnte er nicht mehr zurück. Er beschuldigte sie, sie gebrauche die Macht gegen ihn, obwohl er das selbst nicht glaubte, und sie sagte ihm, er solle sich nicht lächerlich machen. Er fühlte sich so langsam wie ein Stück Eisen, das versucht, den Schmied davon abzuhalten, es zu einer Sichel zu hämmern.
Die Verschleierten Berge machten schlagartig den Hügeln von Ghealdan Platz. Es ging ständig auf und ab, doch niemals sehr hoch. Hirsche, die sie in den Bergen oftmals mißtrauisch beobachtet hatten, als seien sie nicht sicher, was ein Mensch war, rannten hier vor ihnen mit weiß auf und nieder hüpfender Blume davon, sobald sie nur der Pferde gewahr wurden. Selbst Perrin konnte hier nur manchmal einen Blick auf eine der grau gestreiften Bergkatzen erhaschen, die sich wie Rauch vor den Felsen aufzulösen schienen. Sie betraten die Welt der Menschen.
Lan trug seinen farbverändernden Umhang nicht mehr und ritt öfter zu den anderen zurück als zuvor, um ihnen zu berichten, was vor ihnen lag. An vielen Stellen hatte man die Bäume gefällt. Bald gewöhnten sie sich wieder an den Anblick der von grob aufgeschichteten Steinwällen umrahmten Felder und der an den sanfteren Hügelabhängen pflügenden Bauern. Sie sahen nun auch gelegentlich Leute, die sich in einer Reihe über die Felder bewegten und die Saat aus umgehängten Säcken verstreuten. Auf den Hügelspitzen und — kämmen wurden vereinzelt Bauernhäuser und aus grauem Stein erbaute Scheunen sichtbar.
An sich sollte es hier keine Wölfe geben. Wölfe mieden gewöhnlich die Umgebung des Menschen, doch Perrin fühlte sie immer noch in der Nähe. Sie schirmten ungesehen die kleine, berittene Gruppe ab und begleiteten sie. Ihn erfüllte deshalb Ungeduld; er wollte endlich ein Dorf oder eine Stadt erreichen, wo es genug Menschen gab, so daß die Wölfe sie verlassen würden.
Einen Tag nachdem sie das erste Feld gesehen hatten, gerade als die Sonne den Horizont hinter ihnen küßte, erreichten sie das Dorf Jarra, das ein wenig nördlich von der Grenze nach Amadicia lag.
8
Jarra
Graue Steingebäude mit Schieferdächern umgaben die wenigen, engen Straßen von Jarra, das an den Abhang eines Hügels geklebt schien. Unterhalb floß ein kleines Flüßchen, über das sich eine niedrige Holzbrücke schwang. Die schlammigen Straßen waren leer, genau wie der am Abhang gelegene Dorfanger. Nur ein Mann war zu sehen, der die Treppe vor der einzigen Schenke des Dorfs fegte. Daneben stand das aus Stein gemauerte Stallgebäude. Es sah aber so aus, als hätten sich noch kurz zuvor viele Menschen auf dem Anger getummelt Ein halbes Dutzend aus grünen Zweigen zusammengebundener und mit Frühlingsblumen bekränzter Torbögen stand im Kreis in der Mitte. Das Gras sah niedergetrampelt aus, und es gab noch weitere Anzeichen für ein Fest: einen roten Frauenschal, der an einem der Bögen unten hängengeblieben war, die Wollmütze eines Kindes, einen umgekippten Krug und ein paar Speisereste.