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Auf der anderen Seite der Wand schwieg Elayne lange. »Wie kannst du das verhindern? Du bist nun vielleicht ebenso stark wie jede von ihnen, aber keine von uns weiß bisher genug darüber, wie man auch nur eine Aes Sedai daran hindert, uns von der Wahren Quelle abzuschirmen. Und hier sind ja nun Dutzende davon.«

Egwene überlegte. Schließlich sagte sie: »Ich könnte wegrennen. Diesmal wirklich wegrennen.«

»Sie würden uns verfolgen, Egwene. Ganz sicher.

Wenn du einmal etwas Talent gezeigt hast, lassen sie dich nicht mehr gehen, bis du genug gelernt hast, daß du dich nicht selber umbringst oder einfach daran stirbst.«

»Ich bin keine einfache Dorfpomeranze mehr. Ich habe etwas von der Welt gesehen. Ich kann mich von den Aes Sedai fernhalten, wenn ich will.« Sie bemühte sich, nicht nur Elayne, sondern auch sich selbst zu überzeugen. Und was ist, wenn ich doch noch nicht genug weiß? Über die Welt und über die Macht? Was ist, wenn mich der Gebrauch der Macht trotzdem noch umbringen kann? Sie weigerte sich, überhaupt daran zu denken. Ich muß noch soviel lernen. Ich lasse mich nicht von ihnen aufhalten.

»Vielleicht würde meine Mutter uns beschützen« meinte Elayne, »falls es stimmt, was die Weißmäntel gesagt haben. Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal hoffte, so etwas würde sich als die Wahrheit herausstellen. Aber falls es nicht stimmt, wird Mutter uns vielleicht in Ketten zurückschicken. Bringst du mir bei, wie man in einem Dorf lebt?«

Egwene blinzelte überrascht die Wand an. »Kommst du mit mir? Falls es dazu kommt, meine ich?«

Längeres Schweigen folgte und dann ein schwaches Flüstern: »Ich will nicht einer Dämpfung unterzogen werden, Egwene. Ich will nicht. Ich werde nicht!«

Die Tür öffnete sich und schlug mit einem Krachen gegen die Wand. Egwene fuhr vom Bett hoch. Sie hörte von der anderen Seite der Wand her ebenfalls die Tür aufschlagen. Faolain trat in Egwenes Zimmer und lächelte, als ihr Blick das kleine Loch fand. Ähnliche Löcher verbanden die meisten Zimmer der Novizinnen. Jede Frau, die selbst einmal Novizin gewesen war, wußte davon.

»Hast mit deiner Freundin geflüstert, was?« sagte die lockenköpfige Aufgenommene in überraschend warmem Tonfall. »Es wird halt schon einsam, wenn man allein warten muß. Habt ihr euch nett unterhalten?«

Egwene öffnete den Mund und schloß ihn dann wieder hastig. Sie konnte einer Aes Sedai antworten, hatte Sheriam gesagt. Niemandem sonst. Sie sah die Aufgenommene gelassen an und wartete.

Die falsche Zuneigung rann vom Gesicht Faolains wie Wasser von einem Dach. »Auf die Beine. Die Amyrlin darf nicht auf eine wie dich warten. Du hattest Glück, daß ich nicht rechtzeitig kam, um dich zu erwischen. Beweg dich!«

Von Novizinnen erwartete man, daß sie den Aufgenommenen beinahe genauso prompt gehorchten wie einer Aes Sedai, aber Egwene stand aufreizend langsam auf und nahm sich Zeit, ihr Kleid glattzustreichen. Sie machte einen leichten Knicks vor Faolain und lächelte ein wenig. Als die Aufgenommene ein finsteres Gesicht machte, lächelte Egwene noch mehr, bevor sie sich zusammennahm. Es wäre nicht gut, Faolain zu sehr zu reizen. So stolzierte sie vor der Aufgenommenen aus dem Zimmer und verbarg, daß ihre Knie zitterten.

Elayne wartete bereits draußen neben der Aufgenommenen mit den Apfelbäckchen. Sie wirkte wild entschlossen. Irgendwie erweckte sie den Eindruck, die Aufgenommene sei ihre Zofe und habe ihre Handschuhe zu tragen. Egwene hoffte, daß sie wenigstens halb so souverän wirkte wie Elayne.

Über ihnen erhoben sich die Galerien der NovizinnenQuartiere Stockwerk über Stockwerk. Unter ihnen dasselbe. Das Gebäude war wie eine hohle Säule, die über dem Hof der Novizinnen aufragte. Es waren keine anderen Frauen in Sicht. Aber selbst wenn jede Novizin in der Burg dagewesen wäre, hätten sie kaum ein Viertel aller Zimmer benötigt. Die vier gingen auf dem leeren Balkon ein Stück um den Bau herum und stiegen dann schweigend die Wendeltreppe hinunter. Keine von ihnen hätte es ertragen, wenn der Klang von Stimmen die Leere auch noch unterstrichen hätte.

Egwene war noch nie in dem Teil der Burg gewesen, in dem die Amyrlin ihre Gemächer hatte. Die Korridore waren so breit, daß ein ganzer Wagen hindurchgepaßt hätte, und sogar noch höher. Farbige Gobelins hingen an den Wänden, Gobelins in einem Dutzend Stilrichtungen, mit Blumenmustern, Waldszenen, zeigten Heldentaten oder verschlungene Ornamente, und manche von ihnen waren so alt, daß man glauben mußte, sie würden zerbröckeln, falls man sie berührte. Ihre Schuhe klapperten laut auf den diamantförmigen Fußbodenplatten, die in den Farben der sieben Ajahs gehalten waren.

Nur wenige andere Frauen waren zu sehen. Hier und da schritt majestätisch eine Aes Sedai durch die Gänge und hatte keine Zeit, Aufgenommene oder Novizinnen überhaupt zu bemerken. Fünf oder sechs Aufgenommene gingen wichtigtuerisch ihren Beschäftigungen oder Studien nach. Eine kleine Anzahl von Dienerinnen huschte mit Tabletts oder Besen oder mit ganzen Armladungen von Papieren oder Handtüchern vorbei. Ein paar Novizinnen eilten noch schneller als die Dienerinnen einher, um ihre Aufgaben zu erledigen.

Nynaeve und ihre Begleiterin mit dem schlanken, langen Hals — Theodrin — schlossen sich ihnen an. Keine sprach ein Wort. Nynaeve trug wieder das Kleid einer Aufgenommenen mit den sieben farbigen Bändern am Saum, aber Gürtel und Gürteltasche waren ihre eigenen. Sie lächelte Egwene und Elayne beruhigend zu und umarmte sie kurz. Egwene war so froh, ein anderes freundliches Gesicht zu sehen, daß sie die Umarmung erwiderte, ohne auf die Idee zu kommen, daß Nynaeve sich verhielt, als müsse sie Kinder beruhigen. Doch beim Weitergehen zupfte Nynaeve von Zeit zu Zeit hart an ihrem dicken Zopf.

In diesen Teil der Burg verirrten sich nur wenige Männer. Egwene sah lediglich zwei: Behüter, die ins Gespräch vertieft Seite an Seite den Gang hinunterschritten. Der eine trug sein Schwert an der Hüfte, der andere auf dem Rücken. Einer war klein und schlank, sogar beinahe zierlich, während der andere fast so breit wie groß war. Doch beide bewegten sich mit einer tödlichen Eleganz. Durch ihre farbverändernden Umhänge war es schwer, sie längere Zeit über zu beobachten. Teile ihrer Gestalten verschwammen gelegentlich mit den Wänden, vor denen sie entlangkamen. Sie sah, wie Nynaeve ihnen nachblickte, und schüttelte den Kopf. Sie muß etwas in bezug auf Lan unternehmen. Falls eine von uns nach dem heutigen Tag in der Lage ist, irgend etwas in bezug auf irgend jemanden zu unternehmen.

Das Foyer, durch das man zum Arbeitszimmer der Amyrlin gehen mußte, war prächtig genug für einen Palast, obwohl die im Raum verteilten Stühle für die Wartenden ganz einfach waren. Doch Egwene hatte nur Augen für Leane Sedai. Die Behüterin trug die schmale Stola, die ihrem Amt zustand — blau, weil sie der Blauen Ajah entstammte —, und ihr Gesicht schien wie aus glattem, braunem Stein gemeißelt. Sonst befand sich niemand im Foyer.

»Haben sie irgendwelche Schwierigkeiten gemacht?« Aus dem abgehackten Tonfall der Behüterin konnte man weder Zorn noch Anteilnahme entnehmen.

»Nein, Aes Sedai«, sagten Theodrin und die Aufgenommene mit den Apfelbäckchen wie aus einem Munde.

»Die hier mußte ich beinahe an den Haaren herbeizerren, Aes Sedai«, sagte Faolain und deutete auf Egwene. Die Aufgenommene klang erzürnt. »Sie ziert sich, als habe sie alle Disziplin vergessen, die in der Weißen Burg gelehrt wird.«

»Menschen zu führen«, sagte Leane, »bedeutet, sie weder zu schubsen noch zu zerren. Geht zu Marris Sedai, Faolain, und bittet sie um Erlaubnis, darüber nachzudenken, während Ihr die Wege im Frühlingsgarten mit dem Rechen glättet.« Damit entließ sie Faolain und die beiden anderen Aufgenommenen, die vor ihr tief knicksten. Von unten her warf Faolain Egwene einen haßerfüllten Blick zu.