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»Aber ich will weiter lernen, Mutter.« In Elaynes Stimme war die eiserne Entschlossenheit zurückgekehrt. »Ich will Aes Sedai werden.«

Das Lächeln der Amyrlin wirkte noch grimmiger als zuvor. »Das solltet Ihr auch besser, Kind, denn ich habe nicht die Absicht, Euch Morgase zu überlassen. Ihr habt das Potential, stärker zu werden als jede andere Aes Sedai in den letzten tausend Jahren, und ich lasse Euch nicht eher gehen, bis Ihr zu dem Ring auch die Stola tragt. Und wenn ich Euch dabei zu Wurst verarbeiten muß. Ich lasse Euch nicht gehen! Ist das klar?«

»Ja, Mutter.« Elayne klang unsicher, und Egwene konnte ihr das nicht verdenken. Zwischen Morgase und der Weißen Burg zu stehen war so, als würde man zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben. Die Königin von Andor und der Amyrlin-Sitz als Gegner! Falls Egwene Elayne jemals um ihren Reichtum und den Thron beneidet hatte, den sie einmal erben würde, dann tat sie es jetzt ganz gewiß nicht.

Die Amyrlin sagte knapp: »Leane, bringt Elayne hinunter zu Sheriams Arbeitszimmer. Ich muß mit den anderen beiden hier noch ein Wörtchen reden. Sie werden aber bestimmt wenig Freude daran haben.«

Egwene und Nynaeve sahen sich erstaunt an. Einen Augenblick lang ließ die Sorge die Anspannung zwischen ihnen verschwinden. Was will sie uns sagen, aber Elayne nicht? fragte sich Egwene. Aber es ist gleich, solange sie mich nicht vom Lernen abhält. Doch warum kann sie es Elayne nicht auch sagen?

Elayne schnitt eine Grimasse, als das Arbeitszimmer der Rektorin erwähnt wurde, aber sie richtete sich stolz auf. Leane trat an ihre Seite. »Wie Ihr befehlt, Mutter«, sagte Elayne höflich, knickste tief, so daß ihr Rock den Boden fegte, und fuhr fort: »So werde ich also gehorchen.« Sie folgte Leane mit hoch erhobenem Kopf hinaus.

14

Dornenstiche

Die Amyrlin sagte zunächst nichts. Sie ging zu den hohen Bogenfenstern hinüber und blickte über den Balkon hinweg in den darunterliegenden Garten. Die Hände hatte sie auf dem Rücken gefaltet. Minuten vergingen, bevor sie wieder etwas sagte, wobei sie den beiden immer noch den Rücken zuwandte.

»Ich habe dafür gesorgt, daß die schlimmsten Dinge nicht bekannt wurden, doch wie lange kann man das geheimhalten? Die Dienerinnen wissen nichts von den gestohlenen TerAngreal, und sie bringen auch die Toten nicht mit der Abreise oder Flucht Liandrins und der anderen in Verbindung. Das war nicht leicht zu erreichen bei dem Klatsch unter der Dienerschaft. Sie glauben, Schattenfreunde hätten die Morde begangen. Und das stimmt ja sogar. Aber die Gerüchte erreichen auch die Stadt. Daß Schattenfreunde in die Burg eindringen und Morde begehen konnten. Das war nicht zu verhindern. Es verbessert unseren Ruf nicht gerade, ist aber immer noch besser als die Wahrheit. Wenigstens weiß niemand außerhalb der Burg, und auch nur wenige innerhalb, daß Aes Sedai getötet wurden. Schattenfreunde in der Weißen Burg. Pah! Ich habe mein ganzes bisheriges Leben damit verbracht, das abzuleugnen. Ich lasse das nicht zu. Ich werde sie ködern und ausnehmen und zum Trocknen an die Sonne hängen!«

Nynaeve sah Egwene unsicher an. Die fühlte sich aber noch viel weniger wohl in ihrer Haut. Dann holte Nynaeve tief Luft. »Mutter, sollen wir noch weiter bestraft werden, außer dem, was Ihr uns bereits gesagt habt?«

Die Amyrlin blickte sie über die Schulter hinweg an. Ihre Augen lagen im Schatten verborgen. »Euch noch weiter bestrafen? Das könnte man beinahe sagen. Einige werden meinen, ich hätte euch etwas geschenkt, euch erhoben. Jetzt werdet ihr bei dieser Rose den Stich der Dornen erst wirklich zu spüren bekommen.«

Sie ging mit schnellen Schritten zu ihrem Stuhl hinüber und setzte sich. Dann schien ihre Eile wieder verflogen zu sein. Und ihre Unsicherheit hatte wohl zugenommen.

Die Amyrlin unsicher dreinblicken zu sehen ließ Egwenes Magen brennen. Die Amyrlin war immer ruhig und ging voller Sicherheit ihren Weg. Die Amyrlin war die menschgewordene Stärke. Gegenüber all ihrer noch ungeschulten Macht besaß die Frau auf der anderen Seite des Tisches ein Wissen und eine Erfahrung, die ihr erlaubt hätten, sie um eine Spindel zu wickeln. Sie so plötzlich schwankend zu erleben — wie ein Mädchen, das wußte, sie mußte mit einem Kopfsprung in einen Teich eintauchen, von dem sie aber nicht wissen konnte, wie tief er war und ob auf seinem Grund Steine lagen — sie so zu erleben trieb Egwene einen eisigen Schreck bis ins Herz. Was meint sie mit dem Stich der Dornen? Licht, was will sie mit uns machen?

Die Amyrlin befühlte ein geschnitztes, schwarzes Holzkästchen, das vor ihr auf dem Tisch stand, und blickte darauf, als sehe sie durch es hindurch etwas ganz anderes. »Es fragt sich, wem ich vertrauen kann«, sagte sie leise. »Ich sollte eigentlich wenigstens Leane und Sheriam vertrauen können. Aber kann ich mich darauf verlassen? Verin?« Ihre Schultern bebten in einem kurzen, lautlosen Lachen. »Ich vertraue Verin bereits mehr als mein Leben an, aber wie weit kann ich das noch treiben? Moiraine?« Sie schwieg einen Moment lang. »Ich habe immer geglaubt, daß ich Moiraine vertrauen kann.«

Egwene war es unbehaglich. Wieviel wußte die Amyrlin? Sie konnte sie schlecht fragen — nicht den Amyrlin-Sitz. Wißt Ihr, daß ein junger Mann aus meinem Dorf, ein Mann, von dem ich annahm, daß ich ihn eines Tages heiraten würde, der Wiedergeborene Drache ist? Wißt Ihr, daß zwei Eurer Aes Sedai ihm helfen? Wenigstens war sie sicher, daß die Amyrlin nichts von ihrem Traum letzte Nacht wußte, als sie von ihm geträumt hatte, wie er vor Moiraine weglief. Sie glaubte jedenfalls darin sicher zu sein. Sie hielt weiter den Mund.

»Wovon sprecht Ihr?« wollte Nynaeve wissen. Die Amyrlin blickte zu ihr auf, und sie mäßigte ihren Ton und fügte hinzu: »Verzeiht mir, Mutter, aber sollen wir noch mehr bestraft werden? Ich verstehe nicht, was Ihr da über Vertrauen sagt. Falls Ihr auf meine Meinung Wert legt, dann kann man Moiraine nicht vertrauen.«

»So, das glaubt Ihr also?« sagte die Amyrlin. »Ein Jahr aus Eurem Dorf draußen, und Ihr glaubt schon, Ihr wüßtet genug, um zu entscheiden, welche Aes Sedai vertrauenswürdig ist und welche nicht? Ein Kapitän, der kaum gelernt hat, ein Segel zu reffen?«

»Sie hat es nicht so gemeint, Mutter«, sagte Egwene, wohl wissend, daß Nynaeve genau das gemeint hatte, was sie sagte. Sie warf Nynaeve einen warnenden Blick zu. Nynaeve riß hart an ihrem Zopf, hielt aber doch den Mund.

»Tja, wer kann so was schon mit letzter Genauigkeit sagen«, dachte die Amyrlin laut nach. »Vertrauen ist manchmal schlüpfrig wie ein Korb Aale. Wichtig ist, daß ich mit euch beiden arbeiten muß, auch wenn ihr nur dünne Halme im Schilf seid.«

Nynaeves Mund verzog sich, aber ihre Stimme klang ruhig. »Dünne Halme, Mutter?«

Die Amyrlin fuhr fort, als habe Nynaeve nichts gesagt. »Liandrin hat versucht, euch mit dem Kopf voraus in ein Wehr zu stecken, und es kann gut sein, daß sie floh, weil sie hörte, daß ihr zurückkommt und sie demaskieren würdet. Also muß ich glauben, daß ihr keine... Schwarzen Ajah seid. Ich würde eher Schuppen und Innereien essen«, murmelte sie noch, »aber ich schätze, ich muß mich daran gewöhnen, diese Bezeichnung in den Mund zu nehmen.«

Egwene schnappte vor Schreck nach Luft. Wir? Schwarze Ajah? Licht! Doch Nynaeve fauchte: »Das sind wir allerdings nicht! Wie könnt Ihr so etwas sagen? Wie könnt Ihr auch nur daran denken?«

»Wenn Ihr an mir zweifelt, Kind, dann sprecht es aus!« sagte die Amyrlin mit harter Stimme. »Ihr habt vielleicht manchmal die Kräfte einer Aes Sedai, aber Ihr seid es noch nicht, noch lange nicht. Also? Sprecht, wenn Ihr mehr zu sagen habt. Ich verspreche Euch, daß Ihr um Vergebung betteln werdet. ›Dünne Halme‹? Ich werde Euch wie einen Schilfhalm zerbrechen! Ich habe keine Geduld mehr.«