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»Verin... « Die Amyrlin zögerte und murmelte dann mehr in sich hinein: »Wenn ich schon jemandem trauen muß, warum dann nicht ihr? Sie weiß bereits genauso viel wie ich und vielleicht sogar mehr.« Ihre Stimme wurde wieder lauter. »Verin wird euch alles berichten, was über Liandrin und die anderen bekannt ist. Sie wird euch auch eine Liste der gestohlenen TerAngreal geben und was man mit ihrer Hilfe tun kann. Soweit wir das eben wissen. Was mögliche in der Burg verbliebene Schwarze Ajah betrifft... Haltet die Augen und Ohren auf und seid vorsichtig mit euren Fragen. Verhaltet euch wie die Mäuse. Wenn ihr auch nur einen Verdacht habt, dann berichtet mir davon. Ich werde mich selbst ein wenig um euch kümmern. Keiner wird das für eigenartig halten, da ich euch ja derart bestraft habe. Ihr könnt mir berichten, wenn ich euch besuche. Denkt aber daran: Sie haben bereits Menschen getötet. Sie werden das vielleicht auch wieder tun!«

»Das ist ja schön und gut«, sagte Nynaeve, »aber wir sind immer noch nur Aufgenommene, sollen jedoch Aes Sedai jagen. Jede Schwester kann uns befehlen, uns um unsere eigenen Aufgaben zu kümmern, oder uns wegschicken, ihre Wäsche zu waschen. Wir haben dann keine andere Wahl, als zu gehorchen. Es gibt Orte, an die eine Aufgenommene nicht gehen darf, und Dinge, die sie nicht tun darf. Licht, wenn wir sicher wären, daß eine Schwester zu den Schwarzen Ajah gehört, könnte sie den Wachen ohne weiteres befehlen, uns in unseren Zimmern einzusperren und dort gefangenzuhalten. Sie würden gehorchen. Sie würden doch das Wort einer Aufgenommenen nicht über das einer Aes Sedai stellen.«

»Im allgemeinen«, erwiderte die Amyrlin, »müßt ihr euch an die Regeln für die Aufgenommenen halten. Es soll ja schließlich niemand Verdacht schöpfen. Aber...« Sie öffnete den schwarzen Kasten auf ihrem Schreibtisch, zögerte dann aber und sah die beiden Frauen an, als sei sie immer noch nicht sicher, ob sie es wirklich tun solle. Dann nahm sie einige feste, gefaltete Blätter heraus. Sie sah sie kurz durch, zögerte nochmals und wählte schließlich zwei davon aus. Die anderen legte sie in den Kasten zurück. Die beiden Dokumente übergab sie Egwene und Nynaeve. »Versteckt sie gut. Sie sind nur für den Notfall bestimmt.«

Egwene entfaltete den starken Papierbogen. Die Schrift darauf war gestochen sauber und abgerundet, und unten befand sich das Siegel mit der Weißen Flamme von Tar Valon.

Was die Trägerin tut, geschieht auf meinen Befehl hin, und ich trage dafür die Verantwortung.

Gehorcht und schweigt gemäß meinem Befehl.

Siuan Sanche Wächterin über die Siegel Flamme von Tar Valon Der Amyrlin-Sitz »Damit könnte ich ja so ziemlich alles tun«, sagte Nynaeve staunend. »Den Wachen den Marschbefehl erteilen. Die Behüter kommandieren.« Sie lachte ein wenig dabei. »Damit könnte ich einen Behüter tanzen lassen.«

»Bis ich es herausfände«, stimmte die Amyrlin trocken zu. »Wenn Ihr keinen äußerst überzeugenden Grund dafür nachweisen könntet, würde ich dafür sorgen, daß Ihr euch wünscht, Liandrin hätte Euch gefangen.«

»Ich habe nicht gesagt, daß ich so etwas tun werde«, sagte Nynaeve schnell. »Ich meine damit, es verleiht mir mehr Autorität, als ich mir vorgestellt hatte.«

»Ihr werdet sie möglicherweise brauchen. Aber denkt daran, Kind: Ein Schattenfreund gibt genausowenig auf dieses Papier wie irgendein Weißmantel. Beide würden Euch vermutlich schon deshalb töten, weil Ihr dieses Papier besitzt. Wenn dieses Dokument ein Schild wäre... Doch Papierschilde sind dünn, und auf diesem ist vielleicht eine Zielscheibe aufgemalt.«

»Ja, Mutter«, sagten Egwene und Nynaeve wie aus einem Munde. Egwene faltete ihr Dokument wieder und steckte es in ihre Gürteltasche. Sie beschloß, es nur dann wieder herauszunehmen, wenn es absolut notwendig war. Und woher weiß ich, wann das der Fall ist?

»Was ist mit Mat?« fragte Nynaeve. »Er ist sehr krank, Mutter, und es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit.«

»Ich werde euch benachrichtigen«, antwortete die Amyrlin knapp.

»Aber, Mutter... «

»Ich werde euch schon benachrichtigen! Jetzt aber weg mit euch, Kinder. Die Hoffnung der Burg ruht auf euren Schultern. Geht jetzt in eure Zimmer und ruht euch ein wenig aus. Denkt daran: Ihr habt beide eine Verabredung mit Sheriam und den Kochtöpfen.«

15

Der Graue Mann

Außerhalb des Arbeitszimmers der Amyrlin waren die Gänge leer bis auf ein paar Dienerinnen, die auf weichen Hausschuhen flink und leise ihren Geschäften nachgingen. Egwene war dankbar für ihre Gegenwart. Die Säle erschienen ihr mit einem Mal wie Höhlen, trotz all der Wandbehänge und Steinfriese. Gefährliche Höhlen.

Nynaeve schritt zielbewußt voran. Sie zupfte immer wieder an ihrem Zopf. Egwene mußte sich beeilen, um Schritt zu halten. Sie wollte nicht allein zurückbleiben.

»Falls immer noch Schwarze Ajah hier sind, Nynaeve, und sie auch nur ahnen, was wir tun... Ich hoffe, du hast es nicht ernst gemeint, als du sagtest, wir sollten uns verhalten, als hätten wir schon die Drei Eide abgelegt. Ich habe nicht die Absicht, mich von ihnen umbringen zu lassen, wenn ich das mit Hilfe der Macht verhindern kann.«

»Falls noch welche von ihnen hier sind, Egwene, werden sie wissen, was wir vorhaben, sobald sie uns sehen.« Trotz ihrer Worte schien Nynaeve nicht ganz bei der Sache zu sein. »Oder sie werden uns zumindest als Bedrohung ansehen, und das bedeutet für uns die gleiche Gefahr.«

»Wieso werden sie uns als Bedrohung ansehen? Niemand bedroht jemanden, der ihn letzten Endes herumkommandieren kann. Niemand fühlt sich von Frauen bedroht, die Töpfe schrubben und dreimal am Tag die Spucknäpfe ausleeren müssen. Deshalb schickt uns die Amyrlin in die Küche zum Arbeiten. Zumindest ist das ein Teil ihrer Gründe.«

»Vielleicht hat die Amyrlin das nicht gründlich genug durchdacht«, sagte Nynaeve abwesend. »Oder sie plant etwas anderes, als sie uns wissen läßt! Denk nach, Egwene. Liandrin hätte gar nicht versucht, uns aus dem Weg zu schaffen, wenn wir nicht eine Bedrohung für sie dargestellt hätten. Ich weiß wohl nicht, wie und warum, aber das ändert sowieso nichts. Falls noch eine Schwarze Ajah hier ist, wird sie uns auf die gleiche Weise sehen, ob sie uns nun im Verdacht hat oder nicht.«

Egwene schluckte. »Daran hatte ich nicht gedacht. Licht, ich wünschte, ich wäre unsichtbar. Nynaeve, wenn sie immer noch hinter uns her sind, riskiere ich lieber eine Dämpfung, als daß ich mich von Schattenfreunden umbringen lasse oder noch Schlimmeres! Und ich kann nicht glauben, daß du dich von ihnen erwischen läßt, gleich, was du der Amyrlin gesagt hast.«

»Ich habe es ernst gemeint.« Einen Augenblick lang schien Nynaeve aus ihrer Nachdenklichkeit zu erwachen. Ihre Schritte wurden langsamer. Eine weißblonde Novizin huschte mit einem Tablett an ihnen vorbei. »Ich habe wirklich jedes Wort ernst gemeint, Egwene.« Nynaeve fuhr fort, als die Novizin außer Hörweite war: »Es gibt andere Möglichkeiten, uns zu verteidigen. Wenn nicht, würden jedesmal Aes Sedai getötet, kaum daß sie die Burg verlassen. Wir müssen nur herausfinden, wie das geht, und es genauso machen.«

»Ich kenne bereits mehrere Möglichkeiten, genau wie du.«

»Sie sind zu gefährlich.« Egwene öffnete den Mund, um zu erwidern, sie seien nur für den gefährlich, der sie angreife, doch Nynaeve ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Es kann sein, daß es dir zu gut gefällt. Als ich heute morgen meine Wut an den Weißmänteln ausließ... habe ich mich verlockend gut gefühlt. Es ist zu gefährlich!« Sie schauderte und beschleunigte ihre Schritte wieder, worauf auch Egwene schneller gehen mußte, um nicht zurückzubleiben.

»Du hörst dich an wie Sheriam. Das war früher nicht so. Da hast du den Bogen fast immer überspannt. Warum akzeptierst du jetzt solche Einschränkungen, wenn wir sie vielleicht doch ignorieren müssen, um zu überleben?«