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»Ich versuche jedenfalls, sie zu vergessen«, sagte Egwene erhitzt. »Eine Weile lang wenigstens. Ich versuche auch, zu vergessen, daß wir gerade einen toten Mann zurückgelassen haben. Ich versuche, zu vergessen, daß er mich beinahe getötet hätte und daß er einen Gefährten hat, der das vielleicht noch einmal versuchen wird.« Sie berührte ihr Ohr. Der Blutstropfen war getrocknet, aber die Schramme schmerzte noch. »Wir hatten Glück, daß wir nicht beide jetzt tot sind.«

Nynaeves Gesichtsausdruck besänftigte sich, und als sie weitersprach, klang es ein wenig wie bei der Seherin von Emondsfeld, wenn sie jemanden beruhigen mußte. »Behalte diese Leiche gut in Erinnerung, Egwene. Denke daran, daß er dich töten wollte. Uns töten wollte. Denke auch immer an die Schwarzen Ajah. Die ganze Zeit über mußt du das im Hinterkopf behalten. Denn wenn du nur einmal nicht daran denkst, kann es bereits im nächsten Moment zu spät sein, und du bist tot.«

»Ich weiß«, seufzte Egwene. »Aber es muß mir ja nicht auch noch gefallen.«

»Hast du bemerkt, was Sheriam nicht erwähnt hat?«

»Nein. Was?«

»Sie hat überhaupt nicht danach gefragt, wer ihn wohl erdolcht hat. Also, komm jetzt. Mein Zimmer ist gleich dort drüben, und wenn wir uns drinnen weiter unterhalten, kannst du wenigstens die Füße hochlegen.«

16

Drei Jägerinnen

Nynaeves Zimmer war um einiges größer als die Zimmer der Novizinnen. Sie hatte ein richtiges Bett darin und nicht eine in die Wand eingebaute Koje, zwei Lehnstühle statt eines Hockers und einen Kleiderschrank. Die Möbel waren schlicht wie in einem besseren Bauernhaus, aber verglichen mit der Einrichtung bei den Novizinnen waren die Aufgenommenen von Luxus umgeben. Es gab sogar einen kleinen Teppich, der auf blauem Untergrund gelbe und rote Runenmuster aufwies. Das Zimmer war aber nicht leer, als Egwene und Nynaeve eintraten.

Elayne stand vor dem Kamin und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Augen waren gerötet, und das offensichtlich zumindest teilweise vor Zorn. Zwei hochgewachsene junge Männer saßen auf den Lehnstühlen. Einer hatte seinen dunkelgrünen Mantel geöffnet, so daß sein schneeweißes Hemd sichtbar war. Seine Augen waren genauso blau wie die Elaynes und sein Haar genauso rotblond. Auch sein grinsendes Gesicht wies ihn ganz klar als Elaynes Bruder aus. Der andere, etwa gleich alt wie Nynaeve und mit einem grauen, ordentlich zugeknöpften Mantel angetan, war gertenschlank und hatte dunkles Haar und ebenso dunkle Augen. Er erhob sich mit einer fließend eleganten Bewegung und offensichtlich großem Selbstvertrauen, als Egwene und Nynaeve eintraten. Egwene konnte sich nicht helfen, aber sie hielt ihn für den bestaussehenden Mann, den sie jemals kennengelernt hatte. Er hieß Galad.

»Es ist schön, Euch wiederzusehen«, sagte er und nahm ihre Hand in die seine. »Ich habe mir Euretwegen Sorgen gemacht. Wir waren sehr besorgt.«

Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, und sie zog schnell ihre Hand zurück, bevor er es bemerkte. »Danke, Galad«, murmelte sie. Licht, sieht der gut aus! Sie sagte sich, daß sie aufhören müsse, an ihn zu denken. Das war nicht leicht. Statt dessen ertappte sie sich dabei, wie sie ihr Kleid glattstrich und sich wünschte, es wäre aus Seide anstelle dieser einfachen Wolle — vielleicht eines dieser Domani-Kleider, von denen Min ihr erzählt hatte, die so dünn und anschmiegsam waren, daß man glaubte, sie seien durchsichtig, auch wenn das gar nicht der Fall war. Sie errötete heftig und verbannte die Vorstellung aus ihrem Geist. Sie hoffte, er werde ihr Erröten nicht bemerken. Es half nichts, daß die Hälfte aller Frauen in der Burg — von den Küchenmädchen bis hin zu den Aes Sedai selbst — ihn auf genau die gleiche Weise angafften. Es half auch nichts, daß sein Lächeln wirkte, als sei es nur für sie allein bestimmt. Das machte die Dinge nur noch schlimmer. Licht, wenn er auch nur ahnt, was ich denke, sterbe ich auf der Stelle!

Der goldhaarige junge Mann beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Die Frage ist nur, wo habt ihr gesteckt? Elayne weicht meinen Fragen aus, als habe sie die Taschen voller Feigen und wolle mir keine abgeben.«

»Ich habe es dir doch gesagt, Gawyn«, sagte Elayne genervt. »Es geht dich nichts an. Ich bin hierhergekommen«, fuhr sie zu Nynaeve gewandt fort, »weil ich nicht allein sein wollte. Sie sahen mich und folgten mir einfach. Sie akzeptieren einfach kein Nein.«

»Anscheinend nicht«, bemerkte Nynaeve trocken.

»Aber es geht uns etwas an, Schwester«, sagte Galad.

»Deine Sicherheit geht uns sogar sehr viel an.« Er sah Egwene dabei an, und sie fühlte, wie ihr Herz höher schlug. »Eure Sicherheit ist für mich sehr wichtig. Für uns.«

»Ich bin nicht deine Schwester«, fauchte ihn Elayne an.

»Wenn ihr Gesellschaft braucht«, sagte Gawyn lächelnd zu Elayne, »sind wir ja wohl gut genug. Und nach allem, was wir durchgemacht haben, um überhaupt hier sein zu können, verdienen wir auch eine Erklärung, wo ihr gewesen seid. Ich lasse mich lieber den ganzen Tag lang von Galad über das Übungsgelände scheuchen, als Mutter eine einzige Sekunde lang gegenüberzustehen. Mir ist noch lieber, wenn Coulin wütend auf mich ist.« Coulin war der Waffenmeister und brachte den jungen Männern, die in die Burg kamen, um sich von ihm ausbilden zu lassen, strengste Disziplin bei, gleich, ob sie nun Behüter werden wollten oder nur von ihnen lernen.

»Du kannst unsere Familienbande verleugnen, soviel du willst«, sagte Galad ernst zu Elayne, »aber sie existieren deshalb immer noch. Und Mutter hat uns für deine Sicherheit verantwortlich gemacht.«

Gawyn schnitt eine Grimasse. »Sie zieht uns das Fell über die Ohren, Elayne, wenn dir irgend etwas zustößt. Wir mußten uns den Mund fußlig reden, sonst hätte sie uns gleich mit nach Hause geschleppt. Ich habe noch nie davon gehört, daß eine Königin ihre eigenen Söhne zum Henker geschickt hat, aber bei Mutter klang es danach, als werde sie die erste sein, die das tut, wenn wir dich nicht sicher nach Hause bringen.«

»Ich bin sicher«, meinte Elayne, »daß ihr euch ganz gewiß nur meinetwegen den Mund fußlig geredet habt, und überhaupt nicht, weil ihr hierbleiben wolltet, um von den Behütern zu lernen.« Gawyn war nun mit dem Erröten an der Reihe.

»Deine Sicherheit war unser Hauptanliegen.« Es klang durchaus ernst gemeint bei Galad, und Egwene war auch davon überzeugt. »Wir brachten es fertig, Mutter davon zu überzeugen, daß ihr bei eurer Rückkehr jemanden braucht, der auf euch aufpaßt.«

»Auf mich aufpassen!« rief Elayne, doch Galad sprach einfach weiter.

»Die Weiße Burg ist zu einem gefährlichen Ort geworden. Es hat Todesfälle gegeben — Morde —, die nicht richtig geklärt worden sind. Sogar ein paar Aes Sedai sind getötet worden, obwohl man versucht hat, das zu vertuschen. Und ich habe gerüchteweise von Schwarzen Ajah gehört, und das sogar in der Burg selbst. Mutter hat befohlen, dich nach Caemlyn zurückzubringen, sobald deine Ausbildung so weit fortgeschritten ist, daß du in Sicherheit zurückkehren kannst.«

Anstatt einer Antwort hob Elayne nur die Nase noch ein wenig höher und wandte sich von ihm ab.

Gawyn fuhr sich entmutigt mit der Hand durch das Haar. »Licht, Nynaeve, Galad und ich sind doch keine Verbrecher. Alles, was wir wollen, ist doch zu helfen! Wir würden das sowieso tun, aber Mutter hat es befohlen, also könnt ihr uns das auch nicht ausreden.«

»Morgases Befehle haben in Tar Valon keine Gültigkeit«, sagte Nynaeve gelassen. »Was euer Angebot betrifft, uns zu helfen, so werde ich mich daran erinnern. Sollten wir Hilfe benötigen, werdet ihr unter den ersten sein, die davon erfahren. Aber jetzt wünsche ich, daß ihr geht.« Sie deutete entschlossen auf die Tür, doch er ignorierte sie.

»Das ist alles schön und gut, aber Mutter wird wissen wollen, ob Elayne zurückgekommen ist. Und warum sie, ohne ein Wort zu sagen, fortgelaufen ist und was sie all diese Monate über getan hat. Licht, Elayne! Die ganze Burg war in Aufruhr. Mutter war halb verrückt vor Angst. Ich glaubte schon, sie wolle die ganze Burg mit den Händen niederreißen.« Elaynes Gesicht nahm einen leicht schuldbewußten Ausdruck an und Gawyn nützte das aus. »Das bist du ihr schuldig, Elayne. Und das bist du auch mir schuldig. Seng mich, aber du bist so stur wie ein Maulesel. Du warst monatelang weg, und alles, was ich vor dir weiß, ist, daß du dich mit Sheriam angelegt hast. Und das weiß ich auch nur, weil du geheult hast und dich nicht hinsetzen willst.« Elaynes beleidigter Blick zeigte, daß er den errungenen Vorteil wieder verspielt hatte.