Выбрать главу

Mit einem lauten Knall barst das Leder, und der Dolch in seiner goldenen Scheide schwebte von Mats Gürtel hoch. Er hing einen Fuß über seinem verkrampften Körper in der Luft. Der Rubin strahlte und schien beinahe feuerrote Funken zu versprühen, als ob auch er gegen die Heilung ankämpfe.

Mat öffnete die Augen und er funkelte die Frauen an, die um ihn herum standen. »Mia ayende, Aes Sedai! Caballein misain ye! Inde muagdhe Aes Sedai misain ye! Mia ayende!« Und er begann zu schreien. Dieser Aufschrei der Wut wollte fast nicht mehr aufhören, bis Egwene sich fragte, woher er die Luft dazu nahm.

Hastig beugte sich Anaiya hinunter und zog einen Kasten aus dunklem Metall unter dem Tisch hervor. Ihren Bewegungen nach zu schließen war er schwer. Als sie ihn neben Mat stellte und den Deckel öffnete, sah Egwene, daß innen nur sehr wenig Platz war, denn die Wände waren mehr als drei Finger dick. Wieder bückte sich Anaiya und hob eine Küchenzange auf. Damit packte sie den schwebenden Dolch so vorsichtig, als sei er eine Giftschlange.

Mats Schreie klangen nun immer verzweifelter. Der Rubin strahlte blutrot.

Die Aes Sedai drückte den Dolch in den Kasten hinein und klappte schnell den Deckel zu. Sie seufzte erleichtert, als das Schloß hörbar einschnappte. »Ein schmutziges Ding«, sagte sie.

Sobald der Dolch verschwunden war, brachen Mats Schreie ab, und er sackte auf dem Tisch zusammen, als seien seine Muskeln und Knochen mit einem Mal erschlafft. Einen Moment später verschwand auch das Glühen, das die Aes Sedai und den Tisch umgeben hatte.

»Geschafft«, sagte die Amyrlin heiser, als habe sie geschrien und nicht Mat. »Es ist vollbracht.«

Einige der Aes Sedai sackten erschöpft in sich zusammen, und Schweiß stand allen auf der Stirn. Anaiya zog ein schmuckloses Leinentaschentuch aus dem Ärmel und wischte sich das Gesicht ab. Die Weiße mit dem kühlen Blick tupfte sich mit einem Spitzentuch aus Lugard die Wangen ab.

»Faszinierend«, stellte Verin fest. »Daß heute noch das Alte Blut in einem Menschen so stark fließen kann!« Sie und Serafelle steckten die Köpfe zusammen und sprachen leise und gestenreich miteinander.

»Ist er geheilt?« fragte Nynaeve. »Wird er es... überleben?«

Mat lag wie schlafend da, doch sein Gesicht war immer noch hager und ausgezehrt. Egwene hatte noch nie von einer Heilung mit Hilfe der Macht gehört, die nicht alles heilte. Vielleicht hat die Trennung von dem Dolch ihnen alle Energie abgefordert, die sie hatten? Licht!

»Brendas«, sagte die Amyrlin, »würdest du dafür sorgen, daß er auf sein Zimmer zurückgebracht wird?«

»Wie Ihr wünscht, Mutter«, sagte die Frau mit dem kühlen Blick. Ihr Knicks wirkte genauso gefühllos wie sie selbst. Als sie ging, um Träger zu holen, gingen auch einige der anderen Aes Sedai, darunter Anaiya. Verin und Serafelle folgten ihnen. Sie unterhielten sich immer noch so leise, daß Egwene nichts von dem verstehen konnte, was sie sagten.

»Geht es Mat wieder gut?« wollte Nynaeve wissen. Sheriam zog die Augenbrauen hoch.

Die Amyrlin wandte sich ihnen zu. »Es geht ihm den Umständen entsprechend«, sagte sie kalt. »Alles andere wird sich mit der Zeit erweisen. Wenn man etwas so lange trägt, das aus Shadar Logoth stammt... wer weiß dann, welche Auswirkung das auf die Dauer haben wird? Vielleicht keine, vielleicht aber... Wir werden sehen. Aber die Verbindung zu dem Dolch ist abgerissen. Jetzt braucht er Ruhe und soviel zu essen, wie es nur geht. Er dürfte es überstehen.«

»Was hat er da geschrien, Mutter?« fragte Elayne. Schnell fügte sie hinzu: »Wenn ich fragen darf.«

»Er hat Soldaten befehligt.« Die Amyrlin blickte den jungen Mann auf dem Tisch fragend an. Er hatte sich seit dem Zusammenbruch nicht mehr bewegt, aber Egwene glaubte zu bemerken, daß sein Atmen jetzt leichter klinge und das Heben und Senken seines Brustkorbs gleichmäßiger käme. »In einer Schlacht, die, glaube ich, vor zweitausend Jahren stattgefunden hat. Das Alte Blut kehrt wieder.«

»Es ging nicht nur um die Schlacht«, sagte Nynaeve. »Ich hörte, wie er die Aes Sedai erwähnte. Das hatte nichts mit einer Schlacht zu tun. Mutter«, fügte sie dann etwas zu spät hinzu.

Einen Augenblick lang schien die Amyrlin zu überlegen, was sie sagen solle oder ob sie überhaupt antworten wolle. »Eine Zeitlang«, meinte sie schließlich, »waren für ihn wohl Vergangenheit und Gegenwart eins. Er war dort, und gleichzeitig war er hier, und er wußte, wer wir waren. Er befahl uns, ihn freizulassen.« Sie schwieg wieder kurze Zeit. »›Ich bin ein freier Mann, Aes Sedai. Ich gehöre den Aes Sedai nicht.‹ Das hat er gesagt.«

Leane schnaubte laut, und einige der anderen Aes Sedai grollten vernehmlich.

»Aber, Mutter«, sagte Egwene. »Er kann das nicht so gemeint haben, wie es herauskam. Manetheren war doch mit Tar Valon verbündet.«

»Manetheren war ein Verbündeter, das stimmt, Kind«, erwiderte die Amyrlin. »Aber wer kennt schon das Herz eines Mannes? Ich vermute, nicht einmal er selbst. Von allen Tieren ist der Mann am leichtesten an die Leine zu legen, doch am schwersten daran zu halten. Sogar, wenn er das selbst wünscht.«

»Mutter«, sagte Sheriam, »es ist schon spät. Die Köchinnen warten auf diese Helfer.«

»Mutter«, fragte Egwene ängstlich, »können wir nicht bei Mat bleiben? Wenn es immer noch sein kann, daß er stirbt... «

Der Blick der Amyrlin war ruhig und ihr Gesicht ausdruckslos. »Ihr habt Aufgaben zu erfüllen, Kind.«

Sie meinte sicherlich nicht nur das Schrubben von Böden und Auskratzen von Töpfen damit. Das war Egwene klar. »Ja, Mutter.« Sie knickste, und ihr Rock streifte die von Nynaeve und Elayne, als sie ebenfalls knicksten. Sie sah Mat ein letztes Mal an und folgte dann Sheriam hinaus. Mat hatte sich immer noch nicht bewegt.

19

Erwachen

Mat öffnete langsam die Augen und blickte zu der weißgetünchten Decke hoch. Er fragte sich, wo er sei und wie er hierher gekommen war. Die Stuckdecke wies einen Rand aus fein gearbeiteten, vergoldeten Blättern auf, und die Matratze unter ihm fühlte sich an, als sei sie gut mit Federn ausgestopft. Also bei irgendwelchen reichen Leuten vermutlich. Aber in seinem Kopf fehlte alles Wissen über das Wo und Wie und über eine Menge mehr.

Er hatte geträumt, und in seinem Kopf herrschte noch ein Durcheinander von Träumen und Erinnerungen. Er konnte eins noch nicht vom anderen unterscheiden. Eine wilde Flucht und Kämpfe, seltsame Leute von jenseits des Ozeans, Kurze Wege und Portalsteine und Bruchstücke anderer Leben, Sachen wie aus den Erzählungen eines Gauklers: das alles mußten Träume gewesen sein. Zumindest war er dieser Überzeugung. Aber Loial war kein Traum, und er war ein Ogier. Fragmente von Unterhaltungen spukten in seinen Gedanken herum — mit seinem Vater, mit Freunden, mit Moiraine und einer wunderschönen Frau, mit dem Kapitän eines Schiffes und mit einem gut angezogenen Mann, der mit ihm sprach wie ein Vater und ihm weise Ratschläge erteilte. Das war möglicherweise alles die Wahrheit. Doch alles war eben nur bruchstückhaft und durcheinander. Auf seinem Verstand treibende Eisschollen.

»Muaddrin tia dar allende caba'drin rhadiem«, murmelte er. Die Worte waren für ihn unverständlich, und doch klang etwas Bekanntes darin an.

Die engen Reihen der Lanzenträger erstreckten sich eine Meile und weiter nach beiden Seiten unter ihm. Aus ihnen erhoben sich die Wimpel und Flaggen der Städte und der kleineren Adelsfamilien. Zu seiner Linken diente ihm der Fluß als Absicherung seiner Flanke, und zur Rechten des Heeres befanden sich Sumpflöcher und Moore. Vom Hügel aus beobachtete er, wie sich seine Lanzenträger gegen die Mengen von Trollocs zur Wehr setzten, die immer wieder versuchten, durchzubrechen. Es waren bestimmt zehnmal soviel wie Menschen. Lanzen durchbohrten schwarze Trolloc-Panzer, während deren Dornenäxte große Lücken in die Reihen der Menschen hieben. Die Luft war von Schreien erfüllt. Über allem brannte eine heiße Sonne aus einem wolkenlosen Himmel, und Hitzeflimmern erhob sich über dem Schlachtfeld. Immer noch regnete es vom Feind her Pfeile, die sowohl Menschen wie auch Trollocs töteten. Er hatte seine Bogenschützen zurückgerufen, aber den Schattenlords war alles gleich, wenn sie nur seine Kampflinie durchbrechen konnten. Auf dem Kamm hinter ihm wartete die Herzgarde auf seine Befehle. Ihre Pferde tänzelten nervös. Die Panzerschuppen auf Menschen und Pferden glänzten wie Silber im Sonnenschein. Weder Menschen noch Tiere würden die Hitze noch viel länger ertragen können.