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Sie mußten die Schlacht gewinnen oder sterben. Er war als Spieler bekannt, und nun war es Zeit, die Würfel rollen zu lassen. Mit einer Stimme, die den Tumult unten noch übertönte, gab er den Befehl, während er sich in den Sattel schwang: »Fußsoldaten Gassen bilden, damit die Kavallerie an die Front kann!« Sein Bannerträger ritt gleich neben ihm. Das Banner des Roten Adlers flatterte über seinem Kopf und gleichzeitig wurde sein Befehl nach allen Seiten hin von einem zum anderen weitergegeben.

Unten kamen die Lanzenträger mit einem Mal in Bewegung, traten diszipliniert zur Seite, zogen ihre Formationen enger zusammen und machten Gassen frei. Gassen, in die sofort die Trollocs strömten. Mit tierischem Geschrei ergossen sie sich wie eine schwarze Todesflut hinein.

Er zog sein Schwert und erhob es. »Die Herzgarde vorrücken!« Er grob seine Fersen in die Flanken des Pferdes und galoppierte den Hang hinunter. Hinter ihm donnerten die Hufe ihr Angriffslied. »Vorwärts!« Er war der erste, der auf Trollocs traf. Sein Schwert blitzte auf und fuhr hernieder, immer wieder. Sein Bannerträger blieb gleich hinter ihm. »Zur Ehre des Roten Adlers!« Die Herzgarde stürzte sich in die Lücken zwischen den Lanzenträgern, zerschmetterte die Trolloc-Flut und trieb sie zurück. »Der Rote Adler!« Halbmenschliche Mäuler knurrten ihn an, gekrümmte Schwerter suchten ihn, aber er hieb sich immer tiefer in ihre Reihen hinein. Gewinnen oder sterben. »Manetheren!«

Mats Hand zitterte, als er sich an die Stirn faßte. »Los Valdar Cuebiyari«, murmelte er. Er war sich beinahe sicher, daß er wußte, was die Worte bedeuteten — ›Herzgarde vorrücken‹, oder vielleicht ›Die Herzgarde wird jetzt vorrücken‹ —, aber das konnte doch wohl nicht sein. Moiraine hatte ihn ein paar Worte der Alten Sprache gelehrt, und mehr kannte er nicht. Der Rest war für ihn nur unverständliches Geschwätz.

»Verrückt«, sagte er mit rauher Stimme. »Es ist vielleicht noch nicht einmal in der Alten Sprache. Nur Geschwätz. Diese Aes Sedai spinnt. Es war nur ein Traum.«

Aes Sedai. Moiraine. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß sein Handgelenk viel zu dünn war und seine Hand knochig. Er blickte sie an. Er war krank gewesen. Es hatte etwas mit einem Dolch zu tun gehabt. Einem Dolch mit einem Rubin im Griff und mit einer schon lange toten und für immer verfluchten Stadt namens Shadar Logoth. Das war alles verschwommen und fern und ergab eigentlich keinen Sinn, doch er wußte, daß es kein Traum war. Egwene und Nynaeve hatten ihn nach Tar Valon gebracht, damit er dort geheilt wurde. Soviel wußte er noch.

Er versuchte, sich aufzusetzen, aber er war so schwach wie ein neugeborenes Lamm und fiel wieder in das Kissen zurück. Doch mit viel Mühe gelang es ihm dann, sich hochzurappeln und die Wolldecke beiseite zu schieben. Seine Kleider waren weg. Vielleicht steckten sie in dem rankenbeschnitzten Kleiderschrank an der Wand. Im Augenblick waren ihm Kleider gleichgültig. Er mühte sich auf die Beine, torkelte über den blumigen Teppich und hielt sich an der hohen Lehne eines Stuhls fest. Dann torkelte er weiter vom Stuhl zum Tisch, der an den Beinen und Ecken vergoldete Runen aufwies.

Das Zimmer war hell erleuchtet. Hinter den jeweils vier Bienenwachskerzen auf jedem Leuchter hing ein kleiner Spiegel, der den Kerzenschein reflektierte und vervielfachte. Aus einem großen Spiegel über dem glänzenden Waschtischchen blickte ihn sein hageres, hohlwangiges Spiegelbild an. Die Wangen waren eingefallen und die Augen tief eingesunken, das Haar mit Schweiß verklebt. Er stand krumm wie ein alter Mann da und wankte wie Gras im Wind. So zwang er sich, gerade dazustehen, aber viel besser war das auch nicht.

Auf dem Tisch vor seinen Händen stand ein großes, mit einem Tuch bedecktes Tablett, von dem es nach Essen roch. Er zog das Tuch beiseite. Zum Vorschein kamen zwei große Silberkrüge und Schüsseln und Platten aus dünnem, grünen Porzellan. Er hatte gehört, daß die Meerleute solches Porzellan in Silber aufwogen. Er hatte Tee erwartet und Zwieback — Dinge eben, die man einem Invaliden vorsetzte. Statt dessen lagen auf der einen Platte hoch aufgeschichtete Rindfleischscheiben mit braunem Senf und Rettichstücken. Dazu gab es Bratkartoffeln, Bohnen mit Zwiebeln, Grünkohl und Buttererbsen, Gurken und eine Ecke Käse. Dicke, knusprige Brotscheiben lagen daneben und ein Schüsselchen mit Butter. Ein Krug war mit Milch gefüllt, und außen rannen noch Tropfen von Kondenswasser herunter, während sich in dem anderen etwas befand, das nach Glühwein roch. Es war genug da für mindestens vier Männer. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und sein Magen knurrte vernehmlich.

Zuerst finde ich heraus, wo ich bin. Doch er nahm sich schnell eine Scheibe Rindfleisch, rollte sie zusammen, stippte sie in den Senf, und dann erst stieß er sich vom Tisch ab und torkelte in Richtung der drei hohen, engen Fenster.

Hölzerne Fensterläden, in einem hübschen, durchbrochenen Spitzenmuster ausgeschnitzt, verdeckten die Sicht, aber durch die Öffnungen konnte er sehen, daß es draußen Nacht war. Lichter aus anderen Fenstern waren wie Lichtpunkte in der Dunkelheit zu sehen. Einen Augenblick lang ließ er sich entmutigt gegen das weiße, steinerne Fensterbrett sacken, doch dann begann er, nachzudenken.

Wenn du richtig darüber nachdenkst, kannst du auch noch das Schlimmste zu deinem Vorteil hindrehen, hatte sein Vater immer gesagt, und Abell Cauthon war der beste Pferdehändler der Zwei Flüsse. Wenn es schien, daß ihn jemand übers Ohr gehauen hatte, stellte sich später doch immer heraus, daß am Ende er der Gewinner war. Nicht, daß Abell Cauthon jemals etwas Unehrliches tat. Doch selbst die Leute aus Taren Fähre konnten ihn nicht hinters Licht führen, obwohl man ja weiß, wie gern die jedem das Fell über die Ohren ziehen. Alles nur, weil er alle Seiten der Dinge in Betracht zog.

Tar Valon. Das mußte Tar Valon sein. Dieses Zimmer paßte in einen Palast. Der blumige Teppich aus Arad Doman allein hatte möglicherweise soviel gekostet wie ein ganzer Bauernhof. Darüber hinaus fühlte er sich wohl schwach, aber nicht mehr krank. Und wie man ihm gesagt hatte, war Tar Valon der einzige Ort, an dem man ihn hätte heilen können. Er hatte sich wohl niemals wirklich in dem Sinne krank gefühlt, nicht einmal, als Verin — ein weiterer Name, der aus dem Nebel seiner Erinnerung auftauchte — jemandem erklärt hatte, daß er im Sterben liege. Jetzt war er so schwach wie ein Neugeborenes und hungrig wie ein Wolf, aber irgendwie war er sicher, daß die Heilung erfolgt war. Ich fühle mich — einfach gesund, das ist alles. Ich bin geheilt. Er schnitt den Fensterläden eine Grimasse.

Geheilt. Das bedeutete, sie hatten die Eine Macht bei ihm angewandt. Dieser Gedanke bereitete ihm eine Gänsehaut, aber was vorbei war, war vorbei. »Besser als Sterben«, sagte er sich. Nun fielen ihm ein paar der Geschichten über die Aes Sedai ein, die er einmal gehört hatte. »Es muß halt besser sein, als zu sterben. Selbst Nynaeve glaubte, ich würde es nicht überstehen. Auf jeden Fall ist es geschehen, und es lohnt sich nicht mehr, sich darüber viele Gedanken zu machen.« Ihm wurde klar, daß er mittlerweile die Scheibe Rindfleisch gegessen hatte und sich den Saft von den Fingern leckte.