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»Er?« fragte Mat scharf. Mich töten? Licht, sie sind doch hinter Rand her und nicht hinter mir. Woher weiß sie das mit dem Dolch? Ich glaube fast, die ganze Burg weiß Bescheid. »Wer will mich töten?«

Selene verzog den Mund, als habe sie schon zuviel gesagt. »Ihr wißt, was Ihr wollt, Mat, und ich weiß das genausogut wie Ihr. Ihr müßt wählen, wem Ihr zutraut, alles für Euch zu tun. Ich gebe zu, daß ich Euch benützen werde. Diese Aes Sedai werden das nicht zugeben. Ich werde Euch zu Ruhm und Reichtum führen. Sie werden Euch an die Leine legen, bis Ihr sterbt.«

»Ihr sagt viel«, stellte Mat fest, »aber woher weiß ich, daß es stimmt? Wie kann ich Euch mehr trauen als ihnen?«

»Indem Ihr darauf hört, was sie Euch sagen und was sie Euch verschweigen. Werden sie Euch sagen, daß Euer Vater nach Tar Valon kam?«

»Mein Pa war hier?«

»Ein Mann namens Abell Cauthon und ein anderer namens Tam al'Thor. Sie machten soviel Ärger, sagt man, daß man ihnen schließlich eine Audienz gewährte. Sie wollten wissen, wo Ihr und Eure Freunde seid. Und Siuan Sanche schickte sie mit leeren Händen zu den Zwei Flüssen zurück und ließ sie noch nicht einmal wissen, daß Ihr am Leben seid. Werden sie Euch das erzählen, falls Ihr nicht direkt danach fragt? Vielleicht noch nicht einmal dann, denn es könnte sein, daß Ihr nach Hause zurücklauft.«

»Mein Pa glaubt, daß ich tot bin?« fragte Mat bedächtig.

»Man kann ihm sagen, daß Ihr lebt. Ich kann dafür sorgen. Überlegt gut, wem Ihr trauen könnt, Mat Cauthon. Werden sie Euch sagen, daß gerade jetzt Rand versucht, ihnen zu entkommen und daß diejenige namens Moiraine ihn verfolgt? Werden sie Euch sagen, daß die Schwarzen Ajah in ihrer kostbaren Weißen Burg umgehen? Werden sie Euch überhaupt sagen, auf welche Weise sie Euch benützen wollen?«

»Rand versucht, zu entkommen? Aber... « Vielleicht wußte sie, daß Rand sich zum Wiedergeborenen Drachen ausgerufen hatte, vielleicht wußte sie es auch nicht. Er würde es ihr sicherlich nicht sagen. Die Schwarzen Ajah! Blut und blutige Asche! »Wer seid Ihr, Selene? Wenn Ihr keine Aes Sedai seid, was seid Ihr dann?«

Ihr Lächeln ließ Geheimnisse ahnen. »Denkt nur daran, daß Ihr eine Wahl habt. Ihr braucht keine Marionette der Weißen Burg sein und keine Beute für Ba'alzamons Schattenfreunde. Die Welt ist komplizierter, als Ihr glaubt. Tut im Moment das, was die Aes Sedai von Euch wollen, aber denkt auch an die anderen Möglichkeiten. Wollt Ihr das tun?«

»Ich habe wohl kaum eine andere Wahl«, sagte er niedergeschlagen. »Ich denke, ich werde mich daran halten.«

Selene sah ihn scharf an. Die Freundlichkeit fiel von ihrer Stimme ab wie eine abgelegte Schlangenhaut. »Ihr denkt? Ich kam nicht so zu Euch und sprach nicht so zu Euch, nur um zu hören: Ihr denkt, Ihr würdet es so halten, Matrim Cauthon.« Sie streckte eine schmale Hand aus.

Ihre Hand war leer, und sie stand einen halben Raum weit von ihm entfernt, doch er wich vor ihrer Hand zurück, als hielte sie einen Dolch an seine Kehle. Er wußte nicht einmal genau, warum, doch in ihrem Blick lag eine ganz reale Drohung. Seine Haut begann zu jucken und die Kopfschmerzen kehrten zurück.

Mit einem Mal war jedoch sowohl das Jucken wie auch der Kopfschmerz weg, und Selenes Kopf fuhr herum. Es schien, als lausche sie nach etwas jenseits der Wand. Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich ein wenig und sie ließ die Hand sinken. Dann wirkte sie wieder wie vorher. »Wir werden uns wieder unterhalten, Mat. Ich habe Euch viel zu sagen. Denkt an die Wahl, die Ihr habt. Denkt daran, daß es viele Hände gibt, die Euch meucheln möchten. Ich allein kann Euch das Überleben garantieren und alles, wonach Ihr strebt, wenn Ihr tut, was ich sage.« Sie schlüpfte genauso leise und graziös aus dem Zimmer, wie sie gekommen war.

Mat stieß erleichtert die Luft aus. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Wer im Licht ist sie? Vielleicht ein Schattenfreund. Aber sie hatte, was Ba'alzamon betraf, genauso verächtlich geklungen wie den Aes Sedai gegenüber. Schattenfreunde sprachen sonst über Ba'alzamon so, wie andere über den Schöpfer. Und sie hatte ihn nicht einmal gebeten, ihren Besuch vor den Aes Sedai geheimzuhalten.

Richtig, dachte er mürrisch. Verzeihung, Aes Sedai, aber diese Frau kam mich besuchen. Sie war keine Aes Sedai, aber ich glaube, daß sie gerade dabei war, die Eine Macht bei mir anzuwenden, und sie sagte, sie sei kein Schattenfreund, aber sie behauptete, Ihr wolltet mich benützen und daß sich Schwarze Ajah in Eurer Burg befanden. Oh, und sie meinte, ich sei wichtig. Ich weiß nicht, warum. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich jetzt gehe, oder?

Einfach wegzugehen erschien ihm von Minute zu Minute besser. Er glitt ungeschickt vom Bett herunter und schlich mühsam zum Kleiderschrank. Dabei hielt er immer noch die Decke um sich geschlossen. Seine Stiefel standen auf dem Schrankboden, und sein Umhang hing an einem Haken unter seinem Gürtel, komplett mit Gürteltasche und dem Messer in der Scheide. Es war ein einfaches Messer mit kräftiger Klinge, aber es würde genauso viel ausrichten wie ein feiner Dolch. Der Rest seiner Kleider — zwei dicke Wollmäntel, drei Hosen, ein halbes Dutzend Leinenhemden und Unterwäsche — war ausgebürstet und gewaschen worden und lag sauber gefaltet auf den Wäschebrettern in der anderen Schrankhälfte. Er tastete in die Gürteltasche hinein, doch sie war leer. Der Inhalt lag zusammen mit dem Inhalt seiner Taschen auf einem anderen Brett.

Er schob die Feder eines Rotfalken beiseite, dazu einen glatten, gestreiften Stein, dessen Farben ihm gefallen hatten, seine Rasierklinge und sein Taschenmesser mit dem Knochengriff. Dann befreite er seinen waschledernen Geldbeutel von den Schlingen einer Ersatz-Bogensehne. Als er ihn öffnete, merkte er, daß sein Gedächtnis in dieser Hinsicht nur zu gut funktioniert hatte.

»Zwei Silbermark und eine Handvoll Kupfermünzen«, knurrte er. »Damit komme ich nicht weit.« Einst wäre ihm das wie ein kleines Vermögen vorgekommen, aber das war gewesen, bevor er Emondsfeld verlassen hatte.

Er bückte sich und sah noch einmal in den Schrank hinein. Wo sind sie? Er fürchtete schon, die Aes Sedai hätten sie weggeworfen, so wie seine Mutter, wenn sie sie jemals gefunden hätte. Wo...? Erleichterung überkam ihn. Ganz hinten, hinter seiner Zunderschachtel und der Fadenrolle für Fangschlingen und ähnlichem, lagen seine beiden ledernen Würfelbecher.

Sie rasselten, als er sie hervorzog, aber trotzdem öffnete er sicherheitshalber die engen Lederdeckel. Alles war so, wie es sein sollte. Fünf Würfel mit eingeschnitzten Symbolen für Kronen und fünf mit den üblichen Punkten darauf. Die waren geeignet für eine ganze Reihe von Spielen, aber noch mehr Männer schienen sich auf das Kronenspiel verlegt zu haben. Jedenfalls würden ihm diese Würfel helfen, aus seinen zwei Mark genug zu machen, um ihn weit weg von Tar Valon zu bringen. Weg sowohl von den Aes Sedai, wie auch von Selene.

Auf ein energisches Klopfen hin öffnete sich sofort die Tür. Er fuhr herum. Die Amyrlin und die Behüterin der Chronik traten ein. Er hätte sie auch ohne die breite, gestreifte Stola der Amyrlin und die schmalere, blaue der Behüterin erkannt. Er hatte sie nur ein einziges Mal zuvor gesehen, weit weg von Tar Valon, aber die beiden mächtigsten Frauen unter den Aes Sedai konnte er nicht vergessen.

Die Amyrlin zog die Augenbrauen hoch, als sie ihn so dastehen sah mit der Decke, die von seinen Schultern hing und seinem Geldbeutel sowie den beiden Würfelbechern in der Hand. »Ich glaube nicht, daß Ihr die in der nächsten Zeit schon gebrauchen könnt, mein Sohn«, sagte sie trocken. »Legt sie weg und geht ins Bett zurück, bevor Ihr umfallt.«