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Die hochgewachsene Aes Sedai ging mit einem gemurmelten: »Wie Ihr wünscht, Mutter.«

Als sich die Amyrlin wieder Mat zuwandte, lächelte sie, doch ihre Augen waren wie blaues Eis. »Es gibt Dinge, die zu gefährlich für Euch sind, um vor anderen, selbst vor Leane, darüber zu sprechen. Eine lose Zunge hat schon mehr Männer umgebracht als plötzliche Gewitterstürme.«

»Gefährlich, Mutter?« Sein Mund war plötzlich wie ausgetrocknet, doch er widerstand dem Drang, sich die Lippen zu lecken. Licht, wieviel weiß sie von Rand? Wenn nur Moiraine nicht um alles solche Geheimnisse machte! »Mutter, ich weiß nichts Gefährliches. Ich kann mich kaum an die Hälfte dessen erinnern, was ich einmal wußte.«

»Erinnert Ihr euch an das Horn?«

»Welches Horn soll das sein, Mutter?«

Sie war so schnell auf den Beinen und ragte plötzlich drohend über ihm auf, daß er gar nicht so schnell schalten konnte. »Wenn Ihr Spielchen mit mir spielt, Junge, werde ich dafür sorgen, daß Ihr Euch nach Eurer Mutter Rockzipfel zurücksehnt. Ich habe keine Zeit für Spiele und Ihr genausowenig. Also, erinnert-Ihr-Euch-jetzt?«

Er hielt sich erschrocken an der Decke fest und schluckte, bevor er zugab: »Ich erinnere mich daran, Mutter.«

Sie schien sich ein wenig zu entspannen, und Mat rollte die Schultern, um die Verkrampfung zu lösen. Er hatte das Gefühl, er habe gerade den Kopf vom Richtklotz des Henkers weggezogen.

»Gut. Das ist gut, Mat.« Sie setzte sich betont langsam wieder hin und musterte ihn. »Wißt Ihr, daß Ihr an das Horn gebunden seid?« Er formte lautlos das Wort ›gebunden‹ mit den Lippen, so überrascht und erschrocken war er. Sie nickte. »Ich glaubte auch nicht, daß Ihr das wußtet. Ihr wart der erste, der das Horn von Valere blies, nachdem es gefunden worden war. Für Euch wird es nun tote Helden aus den Gräbern zurückholen. Für jeden anderen ist es nur ein Horn — solange Ihr am Leben seid.«

Er atmete tief ein. »Solange ich am Leben bin«, sagte er mit tonloser Stimme, und die Amyrlin nickte. »Ihr hättet mich sterben lassen können.« Sie nickte erneut. »Dann hättet Ihr jeden in das Horn stoßen lassen können, der Euch recht ist, und es hätte ihm gedient.« Wieder ein Nicken. »Blut und Asche! Ihr wollt, daß ich es für Euch benütze! Wenn die Letzte Schlacht kommt, dann wollt Ihr, daß ich für Euch die toten Helden aus den Gräbern rufe, um gegen den Dunklen König zu kämpfen. Blut und blutige Asche!«

Sie stützte einen Ellbogen auf die Stuhllehne und ihren Kopf wiederum auf diese Hand. Ihr Blick ruhte die ganze Zeit über auf ihm. »Zieht Ihr die Alternative vor?«

Er runzelte die Stirn, und dann wurde ihm klar, was die Alternative war. Wenn jemand anders das Horn blasen mußte... »Ihr wollt, daß ich das Horn blase? Dann werde ich es tun. Ich habe nie gesagt, daß ich es nicht tue, oder?«

Die Amyrlin seufzte ergeben. »Ihr erinnert mich an meinen Onkel Huan. Keiner konnte ihn jemals irgendwie festnageln. Er spielte auch gern, und er vergnügte sich lieber, als zu arbeiten. Er starb, als er Kinder aus einem brennenden Haus rettete. Er ging immer wieder zurück, solange noch eines darin war. Seid Ihr genauso, Mat? Werdet Ihr da sein, wenn die Flammen hochschlagen?«

Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Er betrachtete seine Finger, die ungeduldig an der Decke zupften. »Ich bin kein Held. Ich tue, was sein muß, aber ein Held bin ich nicht.«

»Die meisten derer, die wir Helden nennen, taten auch nur das, was sein mußte. Ich denke, das muß genügen. Für den Augenblick. Ihr dürft mit niemandem außer mir über das Horn sprechen, mein Sohn. Oder davon, daß Ihr daran gebunden seid.«

Für den Augenblick? dachte er. Mehr werdet Ihr nie zu hören bekommen, weder jetzt noch später. »Ich habe nicht vor, jedem verdammten...« Sie zog die Augenbrauen hoch, und er beherrschte sich. »Ich will es ja niemandem erzählen. Ich wünschte, niemand wüßte davon. Warum wollt Ihr es so geheim halten? Traut Ihr euren Aes Sedai nicht?«

Einen sehr langen Augenblick über glaubte er, er sei zu weit gegangen. Ihr Gesicht verhärtete sich, und mit ihrem Blick hätte man Axtstiele schneiden können.

»Wenn ich dafür sorgen könnte, daß nur Ihr und ich davon wissen«, sagte sie kalt, »dann würde ich es tun. Je mehr Leute von einer Sache wissen, desto schneller verbreitet sich die Kunde davon. Das ist sogar bei den Besten so. Der größte Teil der Welt hält das Horn von Valere für eine bloße Legende, und diejenigen, die es besser wissen, glauben, es müsse erst von einem der Jäger gefunden werden. Aber Shayol Ghul weiß, daß es gefunden wurde, und das bedeutet, daß auch zumindest ein paar Schattenfreunde davon wissen. Doch sie wissen nicht, wo es ist, und falls uns das Licht gnädig ist, wissen sie auch nicht, daß Ihr es geblasen habt. Möchtet Ihr wirklich die Schattenfreunde hinter Euch her haben? Halbmenschen oder andere Abkömmlinge des Schattens? Sie wollen das Horn haben. Das müßt Ihr wissen. Es wirkt genauso für den Schatten wie für das Licht. Aber wenn es auf ihrer Seite sein soll, müssen sie Euch finden oder Euch töten. Wollt Ihr das riskieren?«

Mat wünschte sich eine zweite Decke oder vielleicht sogar ein Federbett. Im Raum war es mit einem Mal sehr kalt. »Wollt Ihr damit sagen, daß mich die Schattenfreunde sogar hier jagen könnten? Ich glaubte, in der Weißen Burg gebe es keine Schattenfreunde.« Er dachte daran, was Selene über die Schwarzen Ajah gesagt hatte, und fragte sich, was die Amyrlin wohl antworten werde.

»Ein guter Grund hierzubleiben, ja?« Sie stand auf und strich ihren Rock glatt. »Ruht Euch aus, mein Sohn. Bald fühlt Ihr euch viel besser. Ruht.« Sie schloß die Tür leise hinter sich.

Lange Zeit lag Mat nur da und starrte die Decke an. Er bemerkte kaum, daß eine Dienerin mit seinem Auflauf kam und einem weiteren Krug Milch. Sie nahm das geleerte Tablett wieder mit. Sein Bauch knurrte wieder vernehmlich, als es so gut nach warmen Äpfeln und Gewürzen duftete, aber auch das beachtete er nicht. Die Amyrlin glaubte, sie habe ihn wie ein Schaf im Pferch gefangen. Und Selene... Wer zum Licht noch mal ist sie? Was will sie eigentlich? Selene hatte in mancher Hinsicht recht gehabt. Aber die Amyrlin hatte ihm gegenüber zugegeben, daß sie ihn benützen wolle und auch, wie. Auf gewisse Weise. Es gab in dem, was sie gesagt hatte, zu viele Lücken, durch die etwas Tödliches schlüpfen konnte. Die Amyrlin wollte etwas von ihm, und Selene wollte etwas von ihm. Er war das Tau, an dem sie beide zogen. Er hätte lieber Trollocs gegenübergestanden, als zwischen diesen beiden aufgerieben zu werden.

Es mußte einen Weg aus Tar Valon heraus geben, um beiden zu entkommen. Wenn er einmal auf der anderen Seite des Flusses war, konnte er sich von den Aes Sedai fernhalten und auch von Selene und den Schattenfreunden. Da war er sicher. Es mußte einen Weg geben. Alles, was er zu tun hatte, war eben, die Dinge von allen Seiten zu betrachten.

Der Auflauf auf dem Tisch wurde kalt.

21

Eine Welt im Traum

Egwene rieb sich die Hände mit einem Handtuch ab, während sie den trüb beleuchteten Korridor hinuntereilte. Sie hatte sie schon zweimal gewaschen, aber sie fühlten sich immer noch schmierig an. Sie hatte nicht geglaubt, daß es auf der ganzen Welt so viele Töpfe gäbe. Und heute war auch noch Backtag gewesen. Also mußten viele Eimer voll Asche aus den Öfen entfernt werden. Und die Ofen wurden natürlich auch geputzt. Und die Tische mußten mit feinem Sand gescheuert werden, bis sie knochenweiß schimmerten. Und die Böden mußte man auf Knien schrubben. Ihr weißes Kleid war mit Asche und Schmutz verschmiert. Ihr Rücken schmerzte, und sie wollte nur ins Bett, doch dann war Verin in die Küche gekommen, angeblich, damit sie sich etwas zu Essen hochholen konnte, doch sie hatte ihr im Vorbeigehen etwas zugeflüstert, und so mußte sie nun zu ihr kommen.