»Kommen wir so nahe heran, ohne dass er merkt, was wir vorhaben?«, warf einer der Krieger ein. Tungdil lächelte finster. »Wir bringen ihn zu euch. Seid vorbereitet.«
»Hussa, das ist nach meinem Geschmack«, lachte Boindil und schwang den Krähenschnabel zur Probe. »Klopfen wir mal. Vielleicht macht uns das Ding darin ja auf und freut sich über unseren Besuch.« »Reizt ihn und bringt ihn dazu, dass er uns folgt. Aber gebt Acht. Wir wissen nicht, ob das, was uns Ortger erzählt hat, alles ist, was die Maschine vermag«, schärfte Tungdil ihnen ein. »Wir wechseln uns mit den Angriffen ab.«
»Ich übernehme den ersten«, verlangte Ingrimmsch auf der Stelle und rannte los, die Hälfte der Zwerge folgte ihm. Angespannt verfolgten die Zurückgelassenen, wie die erste Scheinattacke ablief.
Die Kreatur war für ihre gewaltigen Ausmaße erstaunlich wendig. Tödlich wendig.
Einen Angreifer kostete die Unvorsicht sein Leben. Der Tritt des Eisenstiefels beförderte ihn weit durch die Luft, und er kollidierte hart mit der Tunnelwand; sein Genick war gebrochen.
Öffnungen über der Brust wurden sichtbar, das Monstrum neigte sich nach vorne und sandte einen Hagel Geschosse gegen die Zwerge. Glücklicherweise trafen sie nicht.
Ingrimmsch machte seine Sache gut. Obwohl die Kampfglut durch seine Adern raste und er mit leuchtenden Augen auf die Stiefel und die Gelenke eindrosch, behielt er genügend Übersicht, um sich gelegentlich zurückzuziehen und die lebendig gewordene Rüstung hinter sich her zu locken.
»Wir sind an der Reihe«, rief Tungdil und hob die Feuerklinge. Es würde sich zeigen, was sie gegen diesen Gegner ausrichtete oder ob die Legierung auch vor ihrer Wirkung schützte.
Sirka neigte den Kopf und küsste Tungdil ohne nähere Erklärung, danach lächelte sie ihn an. »Nur, falls einer von uns beiden diese Höhlen nicht verlassen sollte«, meinte sie, ihren Kampfstab wirbelnd. »Können wir?« Er nickte und stürmte voran. Die wenigen Worte von Sirka hallten in seinen Gedanken nach und drohten, die Aufmerksamkeit auf den Kampf zu verdrängen. Mühsam riss er sich zusammen und entging knapp den zuschnappenden Fingern der Maschine. Er duckte sich, spürte den Luftzug und schlug mit der Feuerklinge zu. Zu seiner großen Erleichterung leuchtete der Axtkopf auf und sammelte Kraft, um sie beim Zusammenprall mit dem Feind abzugeben.
Die Klinge traf oberhalb des eisernen Knöchels, es blitzte grell, und die Runen auf der Rüstung erstrahlten in dunklem Grün. Ein Ruck lief durch die Maschine, und ein neues Geräusch erklang aus dem Innern, das an das Zerreißen einer Bogensehne erinnerte.
»Es lebt noch, Gelehrter!«, schrie ihm Ingrimmsch aus der Entfernung zu. »Das Ding in dem Glaskasten lebt. Und ich glaube, es lacht!«
Wütend riss Tungdil seine Waffe zurück, aber wenigstens haftete dunkelgrünes, fast schwarzes Blut an der Schneide. Also war er sehr wohl in der Lage, das Wesen mit der Feuerklinge zu verletzen. Da sah er die Elbenrune. Sie prangte auf der rechten Brust und verkündete Tode, wenn er sich recht an die Bedeutung entsann. »Vorsicht«, warnte ihn Sirka, allerdings ein Blinzeln zu spät.
Die flache Eisenhand traf ihn und katapultierte ihn davon. Er verlor durch den Zusammenprall seinen Helm, und auch sein Gürtel lockerte sich, sodass er sich um die Stiefel wickelte. Wie ein gefesselter Gugul lag er kopfüber im Gang und sah das Monstrum heranstampfen. Aus dieser Perspektive erkannte er die vielen kleinen Eisenspitzen auf der Unterseite der eisernen Stiefel, zwischen denen Knochensplitter und Rüstungsfragmente aus früheren Begegnungen mit Feinden hingen.
»Komm her und ich zerschneide dir dein Blech!«, schrie er dem Koloss entgegen und hob die Axt. Dann war Sirka neben ihm, packte ihn am Gürtel und zerrte ihn hinter sich her. Ihr riesiger Gegner folgte ihnen - und tappte in die Falle.
Kaum waren Sirka und Tungdil vorbei, wurde das Seil gespannt und die Enden um die Felsen geschlungen. Der eiserne Fuß des Monstrums verfing sich darin, sein Schritt verzögerte sich. Zwar riss das Seil mit einem lauten Knall, aber es gelang der Bestie nicht mehr, das verlorene Gleichgewicht wiederzuerlangen. Gerade noch bekam sie die beiden Arme nach vorn, um den Sturz abzufangen und zu verhindern, dass sie auf das Bullauge fiel.
»Jetzt!«, brüllte Ingrimmsch, sprintete los und nutzte den dadurch entstehenden Schwung, um den Krähenschnabel mit brachialer Gewalt nach oben zu dreschen.
Die stumpfe Spitze traf gegen das schützende Glas, hinter dem das Gesicht des Ungeheuers zu sehen war. Es klirrte leise, und vier dicke Sprünge entstanden. Godas Treffer mit dem Nachtstern machte die Zerstörung vollkommen. Die drei klingenbewehrten Eisenbälle zertrümmerten die gewölbte Scheibe, Splitter fielen auf sie und Ingrimmsch herab.
Sirka hatte in der Zwischenzeit Tungdil von seiner ungewollten Fessel befreit. »Alles in Ordnung? Oder habe ich dir die Haut von den Knochen geschürft?«
»Nein. Du hast mein Herz geraubt.« Dieses Mal stahl er sich einen Kuss von ihren Lippen, bevor er aufsprang und Boindil beistand, vor dessen wütenden Augen sich die Maschine aufrichtete.
»Wirst du wohl unten bleiben, Eisenkübel?«, tobte Ingrimmsch und schlug gegen die Eisenarme, um sie zum Brechen oder Einknicken zu bringen, ungeachtet der Tatsache, dass er sich unter dem schweren Körper befand. »Du hast heute deinen letzten Zwerg getötet!« Er traf eines der Ellbogengelenke.
Zusammen mit dem enormen Gewicht und dem wohl gezielten Schlag gab das Material nach. Ein Haltebolzen brach, und der rechte eiserne Unterarm riss ab. Die Maschine geriet in Schieflage und würde sich aus eigener Kraft nicht mehr aufrichten können.
»Du Wahnsinniger!«, rief Tungdil. »Komm unter dem Ding hervor.«
Aber Ingrimmsch hörte ihn in seinem Kampfrausch nicht. »Ich behandele deine hässliche Nase und den Rest dazu«, versprach er dem Scheusal und schlug ihm den Krähenschnabel ins Gesicht. Das Blut spritzte, die verformten Züge des Wesens verschwanden in einem Meer aus schwarzer Flüssigkeit. Die Maschine erzitterte und weckte den Eindruck, das Leid der Kreatur in ihrem Inneren zu teilen. »Hussa! Jetzt hat es sich ausge...« Der linke Arm gab nach, der drei Schritt lange Oberkörper raste nach unten. Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Tungdil sah seinen Freund unter der riesenhaften schwarzen Rüstung verschwinden. Sein Entsetzensschrei wurde von dem dröhnenden Scheppern verschluckt, der Lärm jagte nach allen Seiten durch die Tunnel davon. Er wagte nicht, den Blick auf den Boden zu senken und nach einer Blutlache Ausschau zu halten. »Wir müssen es anheben, um...«
»Das war knapp«, hörten sie Boindil lachen. Gleich darauf erschien sein Helm auf dem Rücken der Riesenrüstung, dann stand er oben und schwang den Krähenschnabel. »Ho, das sieht Vraccas gern!«, rief er glücklich. »Jetzt haben die Unauslöschlichen schon zwei ihrer Bestien verloren.« Er stampfte auf den eisernen Rücken. »Es war zwar nicht die eingezeichnete Schwachstelle des Magisters, die ihn zu Fall gebracht hat, aber es ging auch so, oder?«
Tungdil deutete neben sich. »Komm da oben runter, bevor dir die Höhenluft weiter zu Kopf steigt und du noch mehr selbstmörderische Dinge tust.« Er verbarg seine Erleichterung hinter den harsch klingenden Worten. »Ich eile, Gelehrter.« Ingrimmsch tätschelte seine Waffe. »Krähenschnabel und ich sind gerade in bester Stimmung, um noch eines von diesen Monstren zu fällen.« Er schaute zwischen seine Füße. »Hier ist so etwas wie ein Schloss«, sagte er. »Sollen wir es aufbrechen? Es führt bestimmt zu den Innereien aus Zahnrädern.« Mit einem schrillen Pfeifen entwich heißer Dampf aus einem Ventil knapp neben Ingrimmsch. »Nein, wir gehen weiter.« Tungdil gefiel der Ton gar nicht. Die Dampfmaschinen seines Volkes besaßen Überdruckventile, falls sich die Kraft des Dampfes zu sehr staute. Ob diese Gebilde welche hatten, wusste er nicht. »Wenn der Kessel hochgeht, möchte ich nicht daneben stehen.«