Das Gefährt vollführte eine abrupte Drehung und überschlug sich mehrmals; dabei wurde der Speer zunächst tiefer in den Körper gedrückt, bevor er nach dem zweiten Aufprall auf dem Boden abbrach. Tungdil hechtete zur Seite, um dem schweren Wagen auszuweichen. Das Gefährt rumpelte an ihm vorbei, zerschellte an der Höhlenwand und spickte das Scheusal in seinem Innern mit allerlei Bruchstücken von Zahnrädern und Gestänge, die zum Antrieb gedient hatten. Blut schwappte in Strömen auf den Fels. Undeutlich sah Tungdil, dass man dem Wesen die Beine oberhalb der Knie amputiert und die Stummel mit zahlreichen Haken und kleinen Ketten versehen hatte. Mit dieser Vorrichtung war das Gefährt gesteuert worden. Ihn schauderte.
Drei Zwerge stützten Tungdil und gingen mit ihm zum Altar. Ingrimmsch stand davor und hielt die Rechte mit dem Diamanten in die Höhe. »Hier, Gelehrter«, rief er. »Wir haben ihn! Vraccas sei Dank! Komm her und hack dem Spitzohr den Kopf ab, damit wir gehen und unsere Verwundeten versorgen können.« Er holte zum Wurf aus. »Fang!«
Es sirrte, und plötzlich ragte ein Pfeil aus seiner linken Seite. Dann wurde seine Hand nach links geschlagen, die Finger öffneten sich und gaben den Stein frei. Er fiel zurück auf die Brust der Albin, rollte auf deren Bauch und blieb an ihren gefalteten Händen liegen.
Ingrimmsch starrte auf den zweiten Pfeil, der in seinem Unterarm steckte. »Heimtückische Spitzohren«, ächzte er und wurde von drei weiteren Geschossen in die Brust getroffen, ehe er einknickte und auf die Albin fiel. Aus dem zweiten Eingang strömten drei Dutzend Elben und schössen ihre Pfeile nach den Zwergen. »Boindil!«, schrie Tungdil wie von Sinnen und stürmte den Elben mit erhobener Axt entgegen. Es war nicht die Zeit, wie ein Gelehrter zu handeln.
Bis sich die übrigen Zwerge von ihrer Überraschung erholt hatten, starben fünfzehn von ihnen durch die Geschosse. Die Überlebenden von Tungdils Truppe folgten ihrem Anführer brüllend, um sich auf die verhassten Feinde zu stürzen und sie am Raub des Steins zu hindern.
Es wurden die längsten siebenunddreißig Schritte, die Tungdil jemals in seinem Leben getan hatte. Um ihn herum erklangen die Todesschreie der Zwerge, die zu ihm aufgeschlossen hatten. Die meisterhaften Bogenschützen fanden Lücke um Lücke in dem Schildwall, durch die sie ihre tödlichen Pfeile sandten. Manche der Geschosse durchschlugen sogar die Schilde der Zwerge, nagelten ihre Unterarme daran fest oder flogen weiter und raubten das Leben eines Kriegers.
Das Geräusch von eilenden Stiefeln und rasselnden Kettenhemden sowie die Kampfrufe wurden leiser, bis Tungdil drei Schritte vor den Elben bemerkte, dass er als Einziger übrig geblieben war. Hinter ihm zog sich eine Spur von Zwergenleichen.
Mit Tränen der Wut und des Hasses hob er die Axt und schwang sie gegen den erstbesten Elben, den er vor sich sah. Da bekam er einen furchtbaren Schlag gegen den Kopf und einen Stich ins linke Auge. Der Schmerz verbreitete sich grell wie ein Gewittersturm in seinem Verstand.
Die Kraft wich ihm aus sämtlichen Muskeln. Alles an ihm wog plötzlich Zentner, die Feuerklinge schien das Gewicht eines Berges zu haben. Tungdil ging vor dem Elb zu Boden und rutschte vor seine Füße. Ein Stiefel drehte ihn auf den Rücken, und er sah Rejalins Gesicht über sich schweben. »Die Zeit des Friedens zwischen unseren Völkern, Tungdil Goldhand, ist vorüber«, sagte sie eisig. »Ich bin sicher, dass keiner von den Unterirdischen unsere Prüfung überstehen wird. Ihr seid verdorben.« Sie langte an ihm vorbei, dann hob sie die Feuerklinge auf. »Schwer. Aber eine Besonderheit, die für das Gute kämpft. Sie wird uns bessere Dienste leisten als deinem Volk.« Sie richtete sich auf. »Wir, die Eoil Atär, führen das Geborgene Land in eine Zeit der Makellosigkeit. Die Ära der Schwachheit, des Verfalls und der Zügellosigkeit ist vorüber.« Tungdil wollte etwas erwidern, doch seine Sinne schwanden. Der Tod klopfte bei ihm an und wollte ihn in die Ewige Schmiede führen.
Bevor er mit unwiderstehlichem Zwang beide Augen schloss, meinte Tungdil, eine Gestalt in einer schwarzen Albaerüstung aus dem Schatten treten zu sehen. Sie näherte sich den Reihen der Elben von hinten und hob die Hände, die schlanke Schwerter führten.
Als ein warmer Regen auf ihn niederging, wusste er nicht, ob er es sich einbildete oder nicht. Wo sollte dieser warme Regen in der Höhle herrühren?
Dann zerstoben seine Gedanken...
»Warum hast du mir das angetan?«
Der Unauslöschliche schrak aus seinem Schlummer und schaute in das wunderschöne Gesicht seines Sohnes. Er kauerte neben seinem Bett, die linke gepanzerte Hand hielt den Speer, die rechte fuhr über die mit dem makellosen Fleisch vernähten Metallplatten.
»Ich habe dir nichts angetan. Ich habe dich mächtiger als alle übrigen Wesen des Geborgenen Landes machen lassen.« Er setzte sich auf, schwang sich von seinem Lager und griff nach dem Helm, der auf dem Ständer ruhte. Er hatte sich nur einen Augenblick der Rast gönnen wollen, bevor er in die Schlacht zurückkehrte, die mehr und mehr zu ihren Ungunsten verlief. Die Untergründigen und Unterirdischen kämpften verbissen in den Tunneln, und aus irgendeinem Grund hatten sich die Elben ebenfalls aufgemacht, den Diamanten zu sichern. Die Rivalität verschaffte ihm und Nagsar Inäste keinerlei Vorteil.
»Mächtiger als du, Schöpfer?«
»Wieso bist du nicht in dem Gang, den ich dir zugewiesen habe?«, erteilte er seinem Sohn eine Rüge. »Ich wollte mir dir sprechen, Schöpfer.« Sein Sohn erhob sich. »Ich möchte nicht länger das Blut der Elben vergießen.«
Der Unauslöschliche verharrte in der Bewegung. »Geh sofort auf deinen Posten«, sagte er eiskalt. »Du wirst jeden Elben töten, der dir begegnet.«
»Aber wir sind wie sie! Wir töten Wesen, die aussehen wie wir. Es sind gewiss Freunde...« »Wir sind niemals wie sie! Kommen Freunde in ein Haus und trachten danach, die Bewohner zu vernichten und ihren Schmuck zu stehlen?« Er setzte den Helm auf. »Du tust, was ich dir sage, Sohn. Du trägst die Verantwortung für deine Schöpferin.« Abrupt wandte er sich zu ihm. »Möchtest du, dass sie stirbt, bevor sie dich mit ihren eigenen Augen erblickt hat?«
»Warum sehen meine Brüder anders aus als ich?«
»Es sind nicht deine Brüder.«
»Aber sie sagten, dass die Schöpferin auch ihre Schöpferin sei.«
»Das ist eine Lüge. Gib dich nicht mit ihnen ab.« Er wollte ihn aus der Kammer auf den Gang hinausstoßen. Doch der junge Alb unterlief seinen Arm und wich nicht zurück.
»Nimm mir die Platten aus dem Leib«, verlangte er harsch. »Sie tun mir weh. Allein vermag ich es nicht zu tun.« »Nein. Du wirst sie brauchen. Sie schützen dich im Kampf.«
»Du trägst eine Rüstung um dich herum und nicht in dir. Warum darf ich es nicht ebenso tun?«, erwiderte der Alb hartnäckig, die schwarzen Augen wandten sich nicht ab.
Der Unauslöschliche hasste dieses unentwegte Widersprechen. »Es ist besonderes Metall, das die Kräfte in dir wirken lässt.«
»Ich will es trotzdem nicht.«
»Es ist mir gleichgültig, was du willst. Du bist mein Sohn und wirst tun, was ich von dir verlange.« »Ich...«
Der Unauslöschliche packte ihn bei der Kehle. »Hüte deine Zunge! Wir haben keine Zeit, über diesen Unsinn zu diskutieren. Die Sicherheit deiner Schöpferin ist wichtiger als deine Wünsche. Hast du verstanden, mein Sohn?« Die schwarzen Augenhöhlen des Albs versprühten Wut. »Aber es tut so weh!«
»Ertrage es.« Der Unauslöschliche schleuderte ihn brutal hinaus. »Du weißt, wohin du zu gehen hast.« Er wollte sich nicht weiter damit aufhalten.
Der Alb prallte gegen die Wand, knurrte und hob seinen Speer; augenblicklich entflammten die Runen darauf dunkelgrün. »Nimm mir das Eisen. Das ist keine Bitte mehr.«
Der Unauslöschliche blieb stehen. »Runter mit der Waffe!«, flüsterte er erbost und zückte seine beiden Schwerter. »Es war kein kluger Einfall, deinen Schöpfer zu bedrohen.«