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Abwegig war es nicht. Er erinnerte sich, dass Djerün seinen Nahrungsbedarf mit allen möglichen Scheusalen Tions gedeckt hatte. Die Acronta und die Ubariu besaßen wohl einige Gemeinsamkeiten.

Er schaute auf das Antlitz der schlummernden Sirka und fragte sich, ob die Untergründigen auch einige Gerichte hatten, die auf einer mehr als zweifelhaften Fleischgrundlage beruhten. Wenn sie sich schon auf denselben Gott beriefen...

Die Vorstellung fand er widerlich. Zugegebenermaßen aß sein Volk Kreaturen, die nichts anderes als große Insekten waren, was wiederum bei den Menschen für Unverständnis sorgte. Trotzdem blieb ein Unterschied zwischen einer Made und einem Ork. Nicht nur geschmacklich.

Rodario seufzte. »Was machen wir denn nun, Tungdil? Können wir es wagen, Flagur zu trauen, oder trägt er den Keim des Bösen in sich? Vielleicht ohne es zu wissen?«

Der Zwerg hob den Kopf ein wenig, um den Ubari zu betrachten. Er saß mit dem Rücken zu ihnen vor den Flammen, der schwarze Schemen war breit und beeindruckend. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht«, antwortete er dem Schauspieler. »Behalte ihn im Auge und sage es mir, sobald du den Eindruck gewinnst, dass er sich nicht mehr wie ein Verbündeter benimmt.« Er legte den Kopf auf seinen angewinkelten Arm. »Aber ich vertraue ihm, bis wir das Gegenteil beweisen können.« Er lächelte. »Lass ein paar Dinge in den Händen der Götter, Unglaublicher. Sie sollen auch etwas zu tun haben und nicht nur alles den Sterblichen überlassen.« »Wenn du es sagst, Held des Geborgenen Landes«, seufzte Rodario und schloss die Augen. »Hoffen wir, dass die Götter alles sehen.« Er dachte nach. »Nein, alles müssen sie nicht sehen«, schränkte er gleich darauf ein. »Sonst wird der Einzug meiner Seele in den Garten der Schöpferin nicht eben einfach werden.« »Wieso? Hat sie den Menschen verboten, sich so zu benehmen, wie du es tust?«, fragte Tungdil mit geschlossenem Auge.

Rodario lachte leise. »Es kommt auf die Auslegung an. Aber sie findet es nicht gut, wenn man die Liebeskraft Frauen spendet, die eigentlich in die Arme eines anderen gehören.«

Und wieder war er da, der Gedanke an Balyndis.

Frei von ihr, dachte Tungdil nun beinahe öfter an sie als zu der Zeit, in der sie noch ein Paar gewesen waren. Die Schuld nagte an ihm, weil er wusste, wie hintergangen sie sich fühlen musste. Wie feige er sich verhalten hatte. Ein Brief. Mehr nicht.

Da besiegte er die schrecklichsten Ungeheuer des Geborgenen Landes und wagte es nicht, einer Zwergin gegenüberzutreten und ihr zu gestehen, dass er mit ihr nicht mehr zusammenleben wollte. Konnte.

Er öffnete sein gesundes Auge und drehte sich zu Sirka, betrachtete ihre Züge, die im Sternenlicht schwarz aussahen, hörte ihr gleichmäßiges Atmen, roch sie und bildete sich ein, die Wärme zu fühlen, die von ihr ausging.

Jedenfalls würde Sirka weniger leiden, wenn er sie eines Tages verließ. Anscheinend waren die Untergründigen eine ähnlich rastlose Gemeinschaft, wenn es um die Beständigkeit der Gefühle ging. Vielleicht verließ sie auch ihn zuerst.

Und das machte ihm das Herz wieder etwas leichter.

XVI

Das Geborgene Land, Königinnenreich Weyurn, Südostgrenze, Hafenstadt Untief, 6241. Sonnenzyklus, Spätsommer.

Die Befüns hatten ihre Unerschöpflichkeit unter Beweis gestellt. In gerade einmal einer Hand voll Umläufe legten sie die Strecke nach Weyurn zurück, für die ein Reiter auf einem Pferd die dreifache Zeit benötigt hätte. Als Tungdil und seinen Begleitern unterwegs Menschen begegneten, die ihnen von seltsamen Wesen auf der Straße nach Untief erzählten - oder besser gesagt, noch seltsameren Wesen als denen, aus denen ihre Gruppe bestand -, erhöhten sie die Geschwindigkeit.

Aber die Natur machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Kurz vor Untief brachen die Nacht und dicker Nebel herein, und die Befüns legten sich eisern wie sonst auch zur Ruhe. So blieb Tungdil und seinen Begleitern nichts anderes übrig, als die Reittiere zusammen mit einem Ubari zurückzulassen und die letzten vier Meilen im Laufschritt zurückzulegen. Lot-Ionan, der die Geschwindigkeit nicht hätte aufbringen können, wurde von Flagur getragen.

Schwitzend und keuchend, was zumindest Tungdil und Rodario anging, erreichten sie die Stadttore von Untief und wurden dank der Vollmacht von Königin Wey eingelassen. Die Gardisten senkten die Waffen nicht, ihnen waren die gefährlich aussehenden Orks nicht geheuer. Wie sollten sie auch wissen, dass die Ubariu nicht deren Hunger auf Menschenfleisch teilten?

Der Hauptmann gab ihnen eine Eskorte mit und befahl, dass der Gruppe alles überlassen werden sollte, was sie für ihren Auftrag benötigte.

»Zum Hafen«, rief Tungdil und eilte durch die leicht abschüssigen Gassen hinunter zu den großen Anlegeplätzen. Eine große Auswahl an Booten und Schiffen lag vor Anker, die schemenhaft aus dem Dunst ragten.

»Nimm dieses«, sagte die meereserfahrene Sirka und zeigte auf ein kleines, kaum zu erkennendes Segelschiff. »Es ist leicht, hat einen schnittigen Kiel und einen hohen Mast. Wir können jede Menge Segel setzen und sind im Handumdrehen auf der Insel.«

»Dann los.« Tungdil schickte einen Gardisten an Bord der Wogenschwinge, um die Mannschaft zu wecken. Der Mann balancierte die Rampe hinauf und sprang an Deck, dann verschwand er für die Augen der Wartenden. Sie hörten ihn rufen, und kurz darauf gesellte sich die raue, schlecht gelaunte Stimme eines zweiten Mannes hinzu. Es entspann sich ein lautstarker Disput, der damit endete, dass der Gardist kopfüber über die Reling flog und im Wasser des Hafenbeckens landete. Zwei seiner Stadtwachenkameraden zogen ihn aus dem Nass. »Lasst mich raten: Der Kapitän hat gesagt, dass er nicht will?«, übersetzte Rodario amüsiert den Abgang des Gardisten.

»Und dass wir ihn am Arsch lecken können, ja«, nickte der Wächter, fluchte und langte an seinen Schwertgriff. »Ich werde es diesem Trottel noch einmal erklären müssen.«

Flagur verzog den Mund. »Lasst mich mit dem Kapitän sprechen«, sagte er und stapfte hinauf; die Rampe ächzte unter dem Gewicht, die Schritte krachten laut auf das Holz.

»Oh, oh«, grinste Rodario. »Gleich wird sich jemand wünschen, etwas freundlicher gewesen zu sein.« Es gab keine Unterhaltung. Dieses Mal kam der Kapitän über die Bordwand geflogen, verfehlte den Rand des Piers und schlug auf dem harten Pflaster auf, wo er benommen liegen blieb.

»Du bist selbst schuld, Kordin«, sagte der Gardist zu ihm und übergoss den Seemann mit einem Eimer Wasser. Das kalte Wasser weckte ihn aus seiner Benommenheit. Mit blutender Nase sowie etlichen Abschürfungen am Körper stand Kordin auf und schaute zu seinem Schiff, wo sich Flagur an der Bordwand zeigte, die breiten Arme auf die Reling gelegt. »Was ist das für eine Kreatur, die auf ehrbare Seeleute losgelassen wird, anstatt sie zu erschlagen, wie es sich gehört?«

»Ein Freund«, sagte Tungdil sofort. »Weckt die Mannschaft. Ihr müsst Eurer Königin einen wichtigen Dienst erfüllen.«

»Wenn sie bezahlt, sehr gern. Andernfalls geht.« Kordin war nicht im Mindesten beeindruckt. Das sollte sich schlagartig ändern.

Ein eisernes, schweres Rumpeln erklang, das sich ihnen rasend schnell näherte. Ein kugelgleiches Gebilde, geformt aus breiten Eisenbändern, kam auf sie zugerollt und fegte mitten durch ihre Gruppe hindurch. Der Runenmeister und drei Wärter konnten nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Sie wurden von dem Gefährt überrollt und zwischen dem Eisen und dem Boden zerdrückt.

»Das ist das Monstrum, das Nate bestahl!«, rief Rodario, der sich hinter einen Pfosten geworfen hatte. »Wenigstens wissen wir, dass wir sie eingeholt haben.«