Der Stollen zog sich schnurgerade durch das Rote Gebirge.
»Einen einfacheren Weg wird es für die Scheusale aus dem Jenseitigen Land nicht geben«, sagte Rodario und spuckte aus, um den Staub aus dem Mund zu bekommen. »Weder schrecken sie schroffe Gebirgskämme und Steilhänge, noch der scharfe Wind oder Eis und Schnee.«
»Sicher. Aber sie müssen Boote mitnehmen. Oder wie sollen sie sonst von der Sandbank gelangen?«, warf Sirka ein.
Tungdil bezweifelte im Stillen, dass Bandilor hinter dem Plan steckte. Auch wenn er sich verzweifelt dagegen wehrte, es sah alles danach aus, als habe Furgas in seinem Rachewahn den Untergang des Geborgenen Landes geplant. Und er war sich sicher, dass der Magister auch etwas ersonnen hatte, um die Scheusale weiterzutransportieren. Vielleicht mit seiner Insel oder einer eroberten schwimmenden Insel, von denen es genügend in Weyurn gab.
Einen echten Beweis für Furgas' Verrat hätte er erhalten, wenn er dessen Hinweise auf Schwachstellen an den Maschinenwesen verfolgt hätte. Doch im Kampf war keine Zeit dafür geblieben. »Sind wir froh, dass wir nicht mit eigenen Augen sehen, wie es funktioniert hätte«, meinte er. »Denn dann wären wir zu spät.« Die Fahrt dauerte lange, aber sie näherten sich unaufhörlich dem Stampfen und Rumpeln. Die Staubschleier wurden dichter und höher, die Lore fuhr wie durch Asche und wirbelte dicke graue Wolken auf. Der Lärm wurde lauter und lauter, bis er alles übertönte und eine Unterhaltung nicht mehr möglich war.
Vor ihnen erschien ein gewaltiger schwarzer Schatten, der den Stollen vollständig ausfüllte. Es war eine zwanzig Schritt lange Maschine, die ratterte, tickte und mahlte. An dem vorderen Ende drehte sich eine Art Bohrer und fraß sich unaufhörlich vorwärts, aus dem hinteren Stück rieselte der feine Staub heraus. Reihen von Rädern, ein jedes so groß wie eine kleine Hütte, drehten sich langsam und sorgten für den notwendigen Druck und Vortrieb beim Bohren. Tungdil hatte nun eine Erklärung für das Loch des Stollens, das nachträglich mit viel Aufwand geschlossen werden musste. Die Maschine war vermutlich von der Insel aus in das Rote Gebirge getrieben worden, und zwar deswegen unter der Wasseroberfläche, damit niemand sie durch einen Zufall entdeckte. Nachdem sie sich weit genug in den Fels gefressen hatte, wurde das Loch verstopft. »Sie bewegt sich von selbst«, schrie Sirka in Tungdils Ohr, um den Krach zu übertönen. »Ich sehe keine Mannschaft, die sie bedienen müsste.«
Er nickte nur. Das war mit Abstand das größte Meisterwerk, welches der Magister technicus vollbracht hatte. Eine Maschine, die sich unbeirrt und ohne Steuerung ihren Weg durch harten Fels fraß, Zyklus um Zyklus. Bis sie ins Jenseitige Land gelangte und dem Verderben Tür und Tor öffnete.
Rodario zupfte an seinem Kettenhemd und deutete auf die fehlende Lore. Sie stand dicht unterhalb der Maschine, ohne den Unauslöschlichen darin.
»Er ist irgendwo auf der Maschine«, schrie Tungdil und stieg aus. Er versank bis zur Brust in dem Staub und stapfte vorwärts zu einer eisernen Leiter, die neben dem hintersten Rad nach oben führte. Es fühlte sich an, als wate er durch pudriges Wasser.
Seine Begleiter folgten ihm, einer nach dem anderen erklomm die Maschine. Das Eisen erzitterte und vibrierte sanft, unentwegt rumpelte es, als seien schwere Hämmer im Innern bei der Arbeit. Es roch nach Stein, nach warmem Eisen, Öl und Staub.
Sie standen bald auf einem Laufgang aus Eisengittern, der sich einmal rund um die Maschine zog. In regelmäßigen Abständen gingen Treppen und Leitern nach oben und unten und führten zu anderen Ebenen. Auf den ersten Blick erkannten sie nur Eisenverkleidungen, weder Hebel noch Stellschrauben oder andere Vorrichtungen, mit denen man die Fahrt der Maschine aufhalten konnte. Dann hörten sie, dass sich das Rumpeln verstärkte und der Takt sich erhöhte. Der Bohrer beschleunigte seine Arbeit.
»Wir müssen sie aufhalten«, brüllte Tungdil. »Der Unauslöschliche hat...«
Eine schwarz gerüstete Gestalt landete hinter dem am Schluss laufenden Ubari und schlug mit seinen beiden Schwertern zu. In drei Teile gespalten, fiel der Krieger auf den Laufgang, ohne zu wissen, wer ihm das Leben genommen hatte. Sein Blut spülte den Staub vom Laufgang, mischte sich mit ihm und schuf graurote, feuchte Klumpen.
Der Unauslöschliche bewegte sich in seiner prachtvollen Tioniumrüstung so schnell und sicher, als wöge sie nichts. Das fahle dreckiggelbe Licht verlieh ihm eine noch unheimlichere Aura, und der geschlossene Helm machte es unmöglich, einen Blick auf sein Gesicht zu werfen. Tungdil starrte den Gegner an und konnte nur ahnen, was sich unter dem Metall verbarg.
Der Alb wollte sich nicht auf einen langen Kampf einlassen. Schon drückte er sich ab, um auf die Ebene über ihnen zu gelangen.
Flagur schleuderte seinen Dolch nach ihm und traf den Unauslöschlichen im Sprung. Die Spitze durchbrach die Panzerung oberhalb der rechten Hüfte, die Schneide bohrte sich zur Hälfte in den Alb. Dann war er so schnell verschwunden, wie er gekommen war.
Tungdil deutete nach oben. »Hinauf! Vielleicht gibt es da einen Eingang«, schrie er. »Erst die Maschine. Der Alb kommt von selbst zu uns.«
Aufmerksam erklommen sie Ebene um Ebene, krochen über den metallenen, verdreckten Rücken des mechanischen Wühlers und erreichten eine Luke. Flagur stieg zuerst hinab, danach folgten Tungdil und die anderen.
Sie sahen, dass der Unauslöschliche Vorbereitungen getroffen hatte. Sicher war dies einmal der Ort gewesen, von dem aus man die Apparatur steuern konnte, aber die immense Zerstörung in dem engen, stickigen und vor allem heißen Raum machte es unmöglich zu erkennen, welches Rädchen welchem Zweck gedient hatte. Sirka hatte eine breite Klappe entdeckt, die nach unten ins Herz der Maschine führte. Fragend deutete sie darauf, und Tungdil nickte nur.
Nun wurde es erst richtig ungemütlich. Die Hitze im Innern trieb allen den Schweiß aus den Poren, Ölspritzer hatten die Eisenstufen rutschig gemacht, und die Laufgänge waren noch schmaler als die auf der Außenseite. Mooslaternen spendeten Licht, das Rodario und Lot-Ionan kaum etwas erkennen ließ, aber für die Augen der Zwerge und Ubariu ausreichte.
Der atemberaubende Anblick des niemals zuvor Dagewesenen überwältigte sie schier.
Große und kleine Zahnräder wirbelten mal schnell, mal lang sam, Stangen rotierten, Ketten und dicke Lederbänder trieben Walzen an, aus denen Gestänge hervorragten und in andere Eisenvorrichtungen verschwanden. Es war ein lebendiger Wald aus Metall, in dem eine unvorsichtige Berührung ausreichen konnte, um von einer der Vorrichtungen gepackt und mitgeschleift zu werden. »Wonach suchen wir?«, schrie Sirka. »Oder sollen wir hiervon etwas kaputt machen?«
»Ich weiß nicht, ob es ausreicht«, brüllte Tungdil zurück. »Wir müssen den Antrieb finden und zerstören.« Sie verzog das Gesicht. »Und wie sieht ein Antrieb aus?«
Rodario deutete nach links, wo ein hausgroßer Eisenblock stand, aus dem etliche Ketten schnurrten und über Umlenkrollen in alle Bereiche der Maschine geleitet wurden. »Fangen wir da an und sehen, was geschieht«, schlug er vor.
Ein Ubari kreischte auf und ließ seine Waffe fallen. Sie sahen, dass zwischen einer Lücke im Eisengitter, auf dem sie liefen, eine schlanke Klinge in die Höhe ragte und sich genau in den Schritt des Kriegers gebohrt hatte. Der Unauslöschliche hing wie eine Spinne unter ihnen auf der anderen Seite.
Sterbend fiel der Ubari, während der Alb sich abstieß, zielsicher auf einer zwei Finger breiten Eisenstrebe landete und von dort wieder im Dunkel verschwand.
Rodario schluckte. Es blieben ihnen nur noch eine Hand voll Ubariu, um den Feind zu besiegen. »Ehrenwerter Lot-Ionan, tut doch etwas!«, verlangte er ängstlich.
Tungdil konnte dem Schauspieler seine Reaktion nicht einmal übel nehmen. »Rasch zu dem Klotz«, ordnete er an und lief los.