Bramdal nickte. »Gemmil und viele andere vor ihm sandten mich schon aus. Meine Aufgabe war es, die Menschen zu beobachten, ihre Reden über die Zwerge zu vernehmen und nach Hause zu tragen, was sie sagten. Wir warteten auf einen günstigen Augenblick, in dem sich die Städte offenbaren durften, um Handel mit den Menschen zu treiben.« Er setzte sich auf den Amboss, zog den Umhang aus und hängte ihn an den Kamin, damit er trocknete. »Wir wussten, dass es den Unbill der Stämme hervorrufen würde und dieser Schritt wohl überlegt sein musste. Dein Besuch bei uns hat uns das Vorhaben erleichtert. Aber es macht die Zukunft nicht einfacher.« »Mir kam es so vor, als richteten sich die Städte der Freien in der jüngsten Vergangenheit absichtlich zu den Menschen hin aus.«
»Dein Eindruck hat dich nicht getäuscht. Wir sehen die Entwicklung in den Gebirgen mit Sorge. Ich habe die Unterredung von Ginsgar und Bylanta gehört. Es ist ein offenes Geheimnis, welche Einstellung Ginsgar gegenüber den Städten hat. Das ist der Grund, weswegen wir bald offen die Nähe der Menschen suchen werden. Gandogars Tod hat den endgültigen Ausschlag gegeben.«
»Und das sollst du mir sagen?«
Bramdal nickte langsam. »Ja. Die Könige der Städte sehen in dir ein vernünftiges Kind des Schmieds, auf dem ihre Hoffnungen ruhen. Sie denken, dass du in dem anstehenden Streit um das Großkönigtum zwischen den Stämmen der Vermittler sein wirst. Es gibt keinen größeren Helden als dich in unserem Volk. Daher wollen sie, dass du ihre Gründe als Erster erfährst. Denn es ist sicher, dass die Stämme die Beweggründe für unser Vorhaben nicht verstehen werden.«
»Die Freien fürchten ihr eigenes Volk und suchen bei den Menschen Verbündete? Ist es so weit gekommen?« »Sollte Ginsgar der Großkönig sein, ja.« Bramdal wendete seinen Umhang, damit der Stoff von beiden Seiten durchwärmte. »Es kam uns zu Ohren, dass Ginsgar danach strebt, die Städte mit Gewalt aufzulösen, und deren Reichtümer einziehen will.«
»Durch den verstärkten Handel mit den Menschen gedenkt ihr für den Notfall deren Beistand zu erlangen.« Tungdil blieb kühl. »Ich verstehe die Beweggründe. Aber warum soll uns niemand bei unserer Unterredung sehen?«
»Gordislan fürchtet, dass Ginsgar bereits einen Plan hat und diesen sofort in die Tat umsetzt, wenn er erfährt, dass die Städte sich auf ihn vorbereiten. Es würde uns nicht ausreichen, um die Verbindung zu den Menschen zu knüpfen.«
Tungdil schürte die Esse mit einer Schippe Kohlen, mengte die glühenden mit den frischen Stücken und fachte das Feuer durch den Blasebalg an. Es knisterte, Wärme verbreitete sich. »Sage den Königen, dass ich mich geehrt fühle, ihr Vertrauen zu besitzen. Allerdings beabsichtige ich nicht, so schnell ins Geborgene Land zurückzukehren.« Er sah Bramdal in die hellbraunen Augen, in denen sich die Esse spiegelte. »Auch das ist ein Geheimnis und soll nicht verraten werden. Die Könige müssen sich darauf einstellen, dass ich nicht zur Stelle sein werde, falls es zu einer Auseinandersetzung kommt. Sie müssen ihre Schwierigkeiten selbst lösen.« »Du entziehst dich deiner Verantwortung?«, fragte Bramdal überrascht.
»Ich habe keine Verantwortung mehr. Es ist genug. Zweimal habe ich das Geborgene Land gerettet, und ich stehe dicht davor, es zusammen mit meinen Freunden ein drittes Mal zu tun. Andere sollen fortan an meine Stelle treten. Ich gehe in die Fremde, um sie zu erforschen.«
Der Henker erwiderte den Blick. »Was wäre, wenn du eines Umlaufs zurückkehrst und feststellst, dass ein Krieg ausgebrochen ist? Ein Krieg zwischen den Kindern des Schmieds? Dass deswegen die Tore ins Geborgene Land brachen und sich eine Flut von Monstren hinein ergoss?« Er machte einen Schritt auf ihn zu. »Und dir bewusst wird, dass du es hättest verhindern können?«
Tungdil lächelte unberührt. »Ich würde sage, dass andere nicht fähig waren, ihren Verstand zu bewahren. Ich war lange genug der Hüter des Geborgenen Landes und bin nicht der einzige vernünftige Zwerg. Sage den Königen der Städte, dass sie Bylanta um Hilfe bitten sollen. Sie ist klug.«
»Dein Wort hat bei den Clans weit mehr Gewicht.«
»Ich bin ein Dritter, Bramdal, und habe nie einen Hehl daraus gemacht. Ginsgar würde diesen Umstand zu nutzen wissen und mein Ansehen untergraben.« Er ging zur Tür, öffnete sie und trat auf die Schwelle. »Richte Gordislan meine Worte aus. Meine Meinung ist nicht mehr zu ändern.« Er nickte ihm zum Abschied zu. »Dann war es wirklich kein Zufall, dass wir uns ständig auf unseren Reisen trafen?«
»Nichts im Leben ist Zufall, Tungdil Goldhand.« Bramdal rückte näher an die Esse. »Ich überbringe deine Botschaft. Und ich bete zu Vraccas, dass er deine Meinung ändert.«
»Versuche es. Es wird vergebens sein.« Tungdil zog die Tür zu und marschierte über den Hof, der voller Pfützen war. Er ahnte, dass ihm die Unterredung zu schaffen machen würde, aber er war fest entschlossen, das Geborgene Land seinem Schicksal zu überlassen. Grübelnd betrat er den Raum, in dem sein Essen angerichtet und unangetastet auf ihn wartete. Bier und Wein verschmähte er immer noch, er hielt sich an Wasser. »Da ist er ja, der Gelehrte!« Ingrimmsch kam durch die Tür und trug, zu Tungdils großem Erstaunen, kein Kettenhemd, sondern lediglich sein ledernes Untergewand. Es war auch nicht richtig geschlossen, gerade so als hätte er es in großer Hast angelegt. Er trat zu ihm und entdeckte die Waffe. »Ist das das einstige Schwert des Unauslöschlichen?« Wortlos und kauend schob Tungdil ihm die Klinge mit dem Griff voran hin. »Sie ist scharf.« »So etwas habe ich noch nicht gesehen. Wie nennst du sie?
Tungdil zuckte mit den Achseln.
Der Krieger hob sie an, wog sie in der Hand, vollführte einige Schwünge und suchte in dem Raum nach etwas, woran er sie ausprobieren konnte. Ein Fußbänkchen fiel seiner Neugier und der Waffe zum Opfer. Die Schneide zerteilte das fingerdicke Holz glatt und ohne dass es splitterte.
»Bei Vraccas!« Ingrimmsch legte die Klinge auf den Tisch. »Was für ein merkwürdiges Ding. Leicht wie ein Dolch, schneidet wie das schärfste Schwert und verhält sich beim Schlag doch wie eine Axt.« Er betrachtete seine Hand, und aus dem Daumenballen quoll ein winziger Blutstropfen. »Und sie ist gierig nach meinem Blut«, lachte er. »Es stehen noch Eisenspäne weg, Gelehrter. Du wirst sie feilen müssen.«
Tungdil runzelte die Stirn. Er wusste genau, dass der Griff sich vorhin glatt wie eine Marmorplatte angefühlt hatte. Aus diesem Grund lag das raue Leder darum, um einen besseren Halt zu geben. Er schluckte. »Ich werde sie mir noch mal anschauen.«
»Nenne sie doch Blutdürster«, meinte er neckend. »Es würde gut passen.« Er nahm sich von dem Wasser und schob sich eine große Scheibe Schinken in den Mund.
»Welche Lektion lernen Goda und du gerade?«, fragte Tungdil. Der Name Blutdürster gefiel ihm. »Ringkampf?« Ingrimmsch lief rot an. »Gut beobachtet, Gelehrter.«
»Die Mauern sollen schon wacklig sein, so sehr übt ihr«, hörten sie die spöttelnde Stimme Rodarios hinter sich, der sich zu der nächtlichen Tafel hinzugesellte.
»Von dir lasse ich mir dazu schon mal gar nichts vorschreiben«, sagte der Zwilling und biss in den Schinken. »Du bist ein Meister des anderen Ringkampfes.«
»Hast du mich in letzter Zeit mit jemandem ringen sehen, Meis ter des heißen Blutes?« Rodario setzte sich neben ihn. »Ich bin meiner Tassia treu.«
»Sicher«, winkte Ingrimmsch ab und hob seinen Schinken. »Wenn das wahr ist, soll dieses Stück Fleisch fliegen.« Er ließ es los, sodass es auf den Tisch klatschte. »Sieht schlecht aus, Schauspieler.« Tungdil lachte, und Rodario stimmte mit ein. »Ich freue mich für dich, Ingrimmsch«, sagte er. »Endlich mal eine Dame, die dein grimmiges Kriegerherz erweicht und dafür andere Teile an dir dazu bringt, unnachgiebig zu sein.«
Boindil grinste breit. »Es hat alles ein gutes Ende genommen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten.« »Es kann nicht nur Schlechtes geschehen, wenn die Welt fortbestehen soll«, meinte Tungdil. »Genieß, was du hast.«