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Flagur richtete sich im Sattel auf und gab dem Fanfarenträger ein Zeichen. Ein Signal hallte von den Bergwänden wider, und das Heer setzte sich in Marsch. Das Stampfen der genagelten Sohlen, die Laute der Reittiere, das Rumpeln und Poltern setzten augenblicklich ein.

»Sie mögen die Scheusale von mir aus bekämpfen, aber dennoch...«, meinte Ingrimmsch andeutend, der sich nach hinten gedreht und den langen, langen Zug betrachtet hatte, »man könnte Angst vor ihnen bekommen.« Als er die Blicke von Tungdil und Sirka bemerkte, fügte er rasch hinzu: »Aber ich weiß es glücklicherweise besser.« Goda verdrehte die Augen. Noch immer ritt sie seitlich versetzt neben ihm und betrachtete ihn bei aller Liebe und dem, was sie aus Liebe taten, immer noch als ihren Waffenmeister, dem sie ihren Respekt erweisen wollte. Sie bestand darauf. »Du bist ein hoffnungsloser Zweifler«, sagte sie.

»Ja, hackt nur alle auf mir herum, als wäre ich eine Schweineschnauze«, beschwerte er sich und ritt los. »Ich gebe mir Mühe, Vraccas und Ubar seien meine Zeugen.«

Rodario lachte. »Das nenne ich einmal einen Fortschritt. Er hat den Namen des fremden Gottes behalten und ihn sogar ausgesprochen.«

»Aber er kommt erst nach Vraccas. So wird es immer bleiben.«

»Ich schaue nach meinen Leuten. Bis nachher!« Sirka wendete ihr Reittier und verschwand zu dem Teil des Zuges, wo die Untergründigen marschierten.

Tungdil sah ihr nach, dann richtete er seine Augen nach vorn. Die Spannung stieg. Bald würde er sehen, was keiner vor ihm erblickt hatte.

Nach jeder Kurve ersehnte er ein erstes Wunder, doch es sollten noch einige Umläufe vergehen, bis sie sich überhaupt aus dem Gewirr aus Schluchten hinausbewegt hatten.

Schließlich ging seine Ungeduld so weit, dass er sich den Kundschaftern der Ubariu anschloss, um endlich einen ersten Blick auf Sirkas Land werfen zu können.

Er war so besessen von dem Wunsch, dass er an nichts anderes mehr denken konnte und wollte. Weg, nur weg von dem Geborgenen Land und einer neuen Verantwortung, die er nicht übernehmen wollte. Es ging durch ein Gewirr aus brüchigen Felsspalten, düsteren Klammen und an bodenlosen Abgründen vorüber. Feuchtkalter Nebel und tief ziehende Wolken raubten ihnen oftmals die Sicht und machten jeden Schritt zu einem Wagnis.

Der Weg aus diesem Irrgarten zurück musste neu gefunden werden, denn die Felsen verschluckten jegliche Markierung nach einer gewissen Zeit wieder, sei es ein gemalter Strich oder ein gemeißeltes Zeichen. Manche der Aufklärer sagten sogar, dass sich Wände verschoben.

Tungdil ertappte sich dabei, dass er mehrmals daran dachte umzukehren, ohne den genauen Grund zu wissen. Er spürte keine Angst. Doch ihn und die Späher umgab etwas, das an den Nerven zehrte, ihn fahrig machte. Er litt an einer Steigerung von Ungeduld, die unaufhörlich in ihm schrie, entweder sofort in Letefora anzukommen oder auf der Stelle zurück ins Geborgene Land zu reiten. Sobald er sich umwandte, sah er den Weg nach Hause deutlich und lockend vor sich. Blickte er nach vorn, sah er nur Nebel, Wolken und Felswände. Er riss sich zusammen.

Ab und zu machten ihn die Kundschafter auf finstere Abzweigungen aufmerksam, aus denen wohl die Scheusale heraufstiegen und sich auf Raubzüge zum Hohlweg und zur Silberfeste begaben. Einer dieser Pfade führte vermutlich zu der Schwarzen Schlucht.

Tungdil ahnte, dass er sich ohne Führung hoffnungslos verlaufen hätte. Und so war er sehr erleichtert, als sich die Landschaft nach fünfzehn Umläufen um sie herum änderte.

Die Gebirge um sie herum schrumpften zu kleinen Hügeln, wurden flacher und grüner. Karge Felsen wandelten sich in sattgrüne Wiesen mit knorrigen Bäumen, die den Winden getrotzt hatten. Nach einer letzten Windung ihres Pfades gaben die Erhebungen den Blick auf die neue Welt frei.

Sie standen auf einer Hochebene, sicherlich zwei Meilen über dem eigentlichen Grund, und genossen eine Aussicht, die Tungdil die Sprache verschlug.

Eine weite Ebene breitete sich aus, in der eine gigantische Stadt lag. Eine solche Ansammlung von Häusern hatte er noch niemals gesehen. Sie übertraf von ihren Ausmaßen her selbst die größten Städte der Menschen im Geborgenen Land und wurde durchzogen von breiten, geraden Straßen, auf denen sich allerhand tat; dicke Mauern liefen ringförmig hindurch und schufen mehrere Dämme gegen mögliche Eroberer. Im Mittelpunkt standen die höchsten Gebäude, die mal rund, mal oval und mal eckig waren. Einige der Bauten mussten mehr als dreihundert Schritt in den Himmel ragen. Vögel umkreisten sie und tauchten in dichten Schwärmen in die künstlichen Schluchten ein.

»Wie ist so etwas möglich?«, staunte Tungdil fassungslos. »Wer lebt dort? Riesen?«

Der Kundschafter zeigte auf verschiedene Bereiche in der nächstgelegenen Stadt. »Das vor uns ist Letefora. Darin leben einige Menschen, wenige von meinem Volk und überwiegend Ubariu sowie eine Hand voll Acronta. Alles in allem schätze ich die Zahl der Einwohner auf zweimal hunderttausend.« Seine Hand hob sich und deutete nach Westen, wo kurz vor dem Horizont eine weitere Stadt zu sehen war. »Dort liegt die größte Stadt diesseits des Meeres. Es ist Höphoca und bietet zehnmal hunderttausend Wesen eine Bleibe.« Er wandte sich nach Osten. »Da drüben beginnt die Region der Monstren. Sie haben alte, aufgegebene Siedlungen der Menschen in Beschlag genommen, die nach der Fertigstellung von Letefora zurückgelassen wurden. Sie verteidigen sie hartnäckig. Wir lassen sie darin leben, weil die Acronta es so wollen. Gelegentlich unternehmen sie Jagdausflüge dorthin.«

Tungdil schaute auf die abgeernteten Felder, die Wege und Straßen, die an ihnen vorbeiführten und die Städte miteinander verbanden. Dörfer schien es keine zu geben, nur einzelne, aber gewaltige Wehrgehöfte standen außerhalb von Letefora. Kleinere Waldflächen sorgten für dichtes Grün in der Ebene.

»Wohin ist das Heer der Acronta gegangen?«, fragte er den Kundschafter.

»Ich weiß es nicht. Vermutlich ziehen sie durch das Gebirge und suchen noch mehr Scheusale.« In weiter Entfernung machte Tungdil ein silbernes Glitzern aus. Das musste das Meer sein, von dem Sirka erzählt und der Aufklärer eben gesprochen hatte: eine schier endlose Wasserfläche mit Stürmen und Wellen so hoch, dass sie Schiffe und Inseln verschlangen, ohne dass man jemals wieder eine Spur von ihnen fand. »Unser Ziel ist Letefora«, sagte der Ubari. »Von dort geht es quer durch das Gebiet der Monstren zur Schwarzen Schlucht.«

»Wieso nutzen wir nicht die Pfade, die du mir unterwegs gezeigt hast? Wir könnten die Ungeheuer mit dem Zug auf das Fehlen des Artefakts aufmerksam machen.«

Der Ubari schüttelte den Kopf und streichelte den Nacken seines Reitwesens. »Die Pfade sind zu tückisch. Man verirrt sich noch schneller als auf den Wegen, die wir geritten sind, und findet nie wieder hinaus. Die Ubariu und wir haben schon einmal ein vollständiges Heer verloren. Die Überlebenden, die durch eine glückliche Fügung zurückfanden, berichteten von lebenden Felsen, bösartigen Dämpfen und schlimmsten Wesen, welche ihnen auflauerten. Daher nehmen wir den anderen Weg. Nur die Acronta wagen sich hinein.« Er grinste. »Die Ungeheuer, durch deren Gebiet wir marschieren, sind viel zu feige, um sich uns entgegenzustellen. Niemand stellt sich einem Heer von einhunderttausend Schwertern in den Weg.« Er stieg ab. »Wir warten hier auf den Zug«, erklärte er und sandte zwei seiner Leute zurück, um Flagur zu benachrichtigen und durch das Labyrinth zu lotsen.

»Wo ist der verborgene Weg, der ins Geborgene Land führt?«, fragte Tungdil und setzte sich auf den Boden, während der Kundschafter ein Feuer entzündete. Er konnte sich nicht an der Stadt satt sehen, bemerkte hohe Masten und gespannte Seile, an denen Körbe hingen und die über die Straßen hinweg schwebten. Dabei bildete er sich ein, dass der Wind ihm unbekannte Geräusche und Gerüche zutrug.

»Dazu müsstest du noch einen halben Sternenzug nach Westen gehen, kurz vor dem Gebiet der Monstren. Man übersieht den Eingang gern, trotz der Bastion, die wir und die Ubariu errichtet haben. Zu auffällig sollte sie nicht sein, damit wir nicht noch mehr von den Bestien anlocken.«