»Und dann?«, führte Rodario den Gedanken fort. »Dann ist das Geborgene Land vernichtet.« »Soll es doch. Von mir aus kann ein jedes Land untergehen.« Er zuckte mit den Achseln. »Die Welten sind nichts mehr ohne sie, die mir Nachkommen schenkte und das Leben rettete.«
»Du hast mich hintergangen, Furgas.« Rodario ging auf ihn zu.
Die Schützin ließ die Sehne schnellen, der Pfeil bohrte sich in Rodarios rechten Oberschenkel, und er fiel neben Lot-Ionan zu Boden. Schon lag ein neues Geschoss auf der Sehne. Sie hantierte unglaublich schnell und präzise. »Ich sagte doch: Bleibt stehen und schaut zu.« Gleichgültig betrachtete Furgas seinen einstigen Freund. »Die Wunde hast du dir selbst zuzuschreiben.«
Aus der Schlucht dröhnte das Gebrüll noch lauter.
Ein widerlicher Hagel ging auf die Reihen der Ubariu und Untergründigen nieder. Es waren die zerteilten Gliedmaßen der ersten Eskorte, die von Furgas und seiner Helferin ins Verderben geführt worden waren. Abgetrennte Arme, Unterschenkel und Köpfe flogen in dichten Schauern auf die Krieger nieder. Die dumpfen Aufschlaggeräusche auf den Schilden und den Panzerwagen, das spritzende Blut und der Geruch waren schrecklich und verfehlten ihre Wirkung nicht.
Sirkas Gesichtsausdruck wurde entschlossen. Sie hatte Freunde und Bekannte verloren, deren Tod sie rächen wollte.
»Du hast große Fehler begangen«, ächzte Rodario und hielt sich die Stelle, an welcher der Pfeil saß. »Mache sie nicht noch schlimmer.«
»Niemand wird mir verzeihen, was ich bislang getan habe. Es gibt keine Steigerung mehr«, fiel er ihm ins Wort. »Ich habe die Maschinen gebaut und sie zu den Zwergen geschickt. Ich musste mich von Bandilor nicht lange dazu überreden lassen. Und auch mit dem Unauslöschlichen verbündete ich mich gern. Ich habe alles durchdacht und geplant. Nun stehe ich an meinem Ziel. Wieso sollte ich nun aufhören?«
»Wir haben den Stollen gefunden, den du gebohrt hast. Durch ihn wird nichts Böses mehr gelangen«, sagte Tungdil und gab Goda ein Zeichen, dass sie sich bereithalten sollte; Ingrimmsch verstand es ebenfalls. »Wie gelang es dir, diese Bastarde aus Maschinen und Monstren zu erschaffen?«
»Ein bisschen Zufall darf gerne in die Planung kommen, solange er sich einfügen lässt«, lächelte er. »Als wir auf dem Boden des Sees nach Eisenerz gruben, bemerkten wir, dass das Gestein vollkommen anders aussah. Ich erinnerte mich an die Quelle in Porista und hatte einen Verdacht. Und mir fiel das Metall ein, das Magie leitet.« Er schaute zu der Schlucht; der Regen aus Leichenteilen schien nicht enden zu wollen. »Ich stellte mir die Frage, ob es sich für die Maschinen wohl nutzen ließe. Narmoras wegen wusste ich um die schlummernde Magie in den Albae. Als mir der Unauslöschliche die Bälger überließ, habe ich es einfach versucht.« Seine Augen glänzten voller Stolz. »Die beiden Dritten schmolzen mir das besondere Metall, und damit schuf ich neue Maschinen. Niemand kam vor mir auf den Gedanken, Magie, Eisen und die Leiber von Kreaturen zu verbinden.« »Du hast sie zu beinahe unbesiegbaren Monstren gemacht.«
»Das war der Sinn der Sache, Tungdil.« Er faltete die Hände vor seinem Bauch und blieb völlig gelassen. »Ablenkung, darum ging es mir. Während ihr diese Dinger jagtet, achtete niemand auf mich. Mein Stollen wäre unbemerkt fertig geworden. Aber die Schwarze Schlucht dient meiner Rache weit besser.« Furgas drehte sich zu dem gewaltigen Einschnitt in der Erde und nickte. »Ist es zu fassen? Ich habe euch die ganze Zeit über eine Komödie vorgespielt, seit dem Umlauf, als Rodario durch einen Zufall auf die Insel kam.« Furgas richtete die Augen auf den Mimen. »Mein vorgetäuschter Selbstmord machte es vollkommen. Ihr habt mir geglaubt und mir freiwillig alles verraten. Dank euch wird meine Rache süßer, als ich es mir ausmalen konnte. Ja, wenn man manche Dinge vorher wüsste. Wie die Existenz der Schwarzen Schlucht.«
Das Rumpeln endete, dann erklang wieder das Hörn. Die Pforten der Schwarzen Schlucht ergossen ihren Schrecken über die Verteidiger.
Tungdil war zu weit weg, um Genaues zu erkennen, aber was an Ungeheuern aus dem Spalt quoll, übertraf die Bestien des Geborgenen Landes bei weitem. Manche waren so groß wie ein Ork und mit vier Armen und Klauen ausgestattet, andere besaßen zwei lange Hälse und Köpfe, die denen von Schlangen glichen.
Er entdeckte ein baumgroßes, fettes Wesen, dessen Leib rot und feucht wie rohes Fleisch glitzerte; ein halbes Dutzend Tentakeln zuckte um es herum und schnappte nach allem, was in seine Nähe geriet. Es presste seine Beute einfach gegen den feisten Leib. Dampfwolken stiegen empor, Säure löste das Fleisch der Opfer auf, der Schleim wurde von unzähligen Mündern in diesem Leib aufgesogen.
Solche und weitere Abscheulichkeiten kamen geritten und gerannt; große und kleine, unaussprechlich hässlich und grauenvoll anzuschauen.
Haushohe, schwingenbewehrte Ungeheuer krochen an den Hängen empor und warfen sich in die Tiefe, um den Schwung und den Wind zum Aufstieg zu nutzen. Sie segelten über die Köpfe der Ubariu hinweg und rissen mit ihren langen Klauen Löcher in die Linien der Verteidiger.
Die Katapulte der Panzerwagen hatten das Feuer eröffnet und sandten als Erwiderung unablässig Vernichtung in die Reihen der Angreifer.
Einige Flugbestien attackierten die Panzerwagen, warfen sich gegen sie oder setzen sich auf die Spitze, um die Windräder zu zerstören, die Eisenverkleidung herunterzuschälen und so ins Innere zu gelangen. Nun mussten die Bodentruppen der Ubariu und Untergründigen den Wagen beistehen und ihre Pfeile dorthin richten. Da erklang ein heiserer Schrei aus dem Spalt, der alles übertönte.
Die Stimme war so gewaltig, dass Teile des Felsens der Schlucht Risse erhielten und abbrachen. Freund und Feind schwiegen vor Entsetzen, der Angriff der Ungeheuer geriet ins Stocken. Sie fürchteten sich vor ihrer eigenen Art.
»Ubar, stehe uns bei«, flüsterte Sirka und wich unwillkürlich zurück. »Ein Kordrion! Nur sein Ruf vermag es, Stein zu sprengen, sagen die Schriften. Nichts wird ihn aufhalten, wenn er entkommt.«
Furgas schnalzte mit der Zunge. »Und es ist keiner da, der ihn aufhält, Sirka.« Er zeigte beiläufig auf Lot-Ionan. »Eure letzte Hoffnung liegt da am Boden. Der alte Mann hat versagt.«
Die Hand des tot geglaubten Magus ruckte in die Höhe und sandte einen tiefgrünen Strahl gegen Furgas. Der Magister hob vom Boden ab und flog hinauf bis zur Halterung. Genau darüber ließ Lot-Ionan den Strahl abreißen, und Furgas stürzte zwei Schritte tief hinab. Im letzten Augenblick bekam er eine Strebe zu fassen und hielt sich fest.
Die Frau feuerte ihren Pfeil auf den Magus, aber dieses Mal blieb das Geschoss vor Lot-Ionan in der Luft stehen und verharrte dort. Er war auf den Angriff vorbereitet gewesen.
»Hussa, der Stein wäre schon mal oben. Jetzt muss er nur noch in die Fassung.« Ingrimmsch rannte auf die Bogenschützin zu, und Goda folgte ihm. »Ich kümmere mich um sie, Gelehrter. Findet einen Weg, um Lot-Ionan zu dem Diamanten zu bringen.«
Tungdil und Sirka halfen dem Magus beim Aufstehen.
Lot-Ionan zog sich den Pfeil aus der Wunde und warf ihn weg. »So leicht ist es nicht, einen Magus zu töten«, sagte er mit einem merkwürdigen Lächeln. »Das Böse wird nicht gewinnen.« Er griff nach dem Eisen, um den Aufstieg zu beginnen.
Ein Blitz stieß aus dem Mittelpunkt des Artefaktes und schleuderte ihn viele Schritte weit durch die Luft. Qualmend und stöhnend blieb er liegen.
»Lot-Ionan!« Tungdil rannte zu ihm und kniete sich neben ihn. Die Hand des Magus war schwarz und verbrannt, die Haut blätterte ab und trudelte auf den Boden. Blut sickerte aus den Rissen hervor. Seine Augen rollten immer wieder nach oben weg, er schüttelte und verkrampfte sich.