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Er strich ihr über ihren blonden Schopf. »Wer weiß, was du in vier Zyklen beherrschst?«, deutete er an. »Vielleicht entdeckst eine eigene Form der Magie? Ich weiß nichts über die Art der Ubariu, Magie zu nutzen. Du wirst mir in dieser Hinsicht bald voraus sein. Die Wege der Magie sind unergründlich, selbst für einen Magus wie mich. Sie überrascht gerne. Ich kann dir nur raten, sparsam mit deinen Kräften umzugehen.« Er stand auf und reichte ihnen der Reihe nach die Hand. »Wir sehen uns gewiss wieder«, verabschiedete er sich. »Und wir sehen auch Tungdil wieder. Das fühle ich in meiner alten Seele, und deswegen bin ich nicht betrübt.« Dabei richtete er die hellblauen Augen auf Sirka. »Du wirst ihn noch zu deinen Lebzeiten zu Gesicht bekommen. Verzage nicht, sondern freue dich auf den Sonnenaufgang, an dem er aus der Schlucht tritt und zu dir kommt.« Er nickte ihr zu und ging.

Auch Sirka verabschiedete sich. Boindil ließ sie gehen, auch wenn er den Witz nicht zu Ende erzählt hatte. Es war nicht der passende Zeitpunkt für Scherze dieser Art. Die beiden Zwerge waren alleine.

»Weißt du, was mir Sorge bereitet?«, sprach Ingrimmsch nachdenklich, nachdem sich der Eingang geschlossen hatte und die Schritte verklungen waren. »Dass das Artefakt Lot-Ionan abgelehnt hat.«

»Nun, wenn einer seelenrein ist, dann ja wohl der ehrenwerte Lot-Ionan«, verteidigte Goda ihn. »Und wer verlangt von einem Magus, dass er keusch lebt? Jetzt tut er solche Dinge sicherlich nicht mehr, aber er weiß bestimmt, was er alles getan hat, als er jung war...« Sie nahm seine Hand. »Er ist ein guter Mensch.« Ingrimmsch überlegte. »Ja, du hast Recht«, ließ er sich überreden. Dann nahm sein Gesicht einen erschrockenen Ausdruck an. »Du weißt, was das für unseren Ehernen Bund bedeutet?« »Wir werden noch vier Zyklen warten müssen.« Er seufzte. »Das wird hart. Diamantenhart.« Goda lachte. »Du kannst mich in der Zeit zur besten Kriegerin ausbilden, die es jemals im Geborgenen und Jenseitigen Land gegeben hat. Den Lohn für deine Mühe und deine Enthaltsamkeit wirst du in vier Zyklen erhalten.« Sie küsste ihn lange. »Und das ist uns nicht verboten«, lächelte sie ihn an. Flüchtig dachte sie an den Zweikampf, den sie ihrer toten Urgroßmuhme mit ihm geschworen hatte. Er rückte in immer weitere Ferne.

Ingrimmsch berührte ihre Wange, den hellen, dünnen Flaum. »Das werden die schönsten und furchtbarsten vier Zyklen, die ich durchleben muss«, meinte er feixend. »Vraccas hasst mich aus irgendeinem Grunde.« Er gab ihr einen Kuss und wurde wieder ernster. »Ich bete täglich zu unserem Schöpfer, dass er Tungdil vor allen Schrecken bewahrt.« Er stand auf und schritt zum Ausgang des Zeltes, öffnete ihn und schaute auf die Schwarze Schlucht, die von dem schützenden Glanz umspielt wurde. »Wo er wohl sein mag? Und was er tut, so allein zwischen den Ausgeburten der fremden Götter?« Wieder wischte er Schweiß weg.

Goda stellte sich neben ihn und nahm seine rechte Hand. Sie konnte ihm keine Antwort geben, und schon gar nicht teilte sie seine Zuversicht, was Tungdils Schicksal anging. Sie hielt ihn für tot. Aussprechen würde sie es nicht.

Schweigend betrachteten sie die schillernde Sphäre, hinter der Hoffnung und Untergang verborgen lagen. Das eine gab es nicht ohne das andere.

Das Geborgene Land, Graues Gebirge, Im Reich der Fünften, 6241. Sonnenzyklus, Winter.

Balyndis saß im Thronsaal, umgeben von der alten Pracht, welche die Fünften hinterlassen hatten, und der neuen Schönheit, welche die neuen Fünften hinzugefügt hatten. Sie unterbrach die Besprechung mit den Clanführern und öffnete den Brief, den man ihr überbracht hatte.

Er stammte von Rodario, und darin schilderte er ihr über viele Seiten hinweg, was sich zugetragen und wie Tungdil sein Ende gefunden hatte. Auch wenn niemand mit Gewissheit sagen konnte, dass er gestorben war, die Schilderungen von den Monstren in der Schwarzen Schlucht machten ein Überleben unmöglich. »Tot«, raunte sie. Die Tränen schössen ihr in die Augen, die Zeilen auf dem Papier wurden durch den Schleier hindurch unleserlich.

»Königin Balyndis«, fragte ein Zwerg vorsichtig. »Was ist geschehen? Ist etwas mit König Gla'imbar?« »Nein. Nein, es geht ihm gut.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, während ihre Seele um den Zwerg trauerte, mit dem sie einst den Ehernen Bund eingegangen war. Sie hatte ihn freigegeben, weil sie seine Unzufriedenheit gespürt hatte. Das änderte nichts an ihren Gefühlen ihm gegenüber.

Dass sie an die Seite von Gla'imbar zurückgekehrt war, hatte sich wie von selbst ergeben. Sie hatte ihrem Clan bei den Ersten nicht mehr unter die Augen treten wollen und auch keinesfalls zu den Freien gewollt. Als sie Glaimbar s Einladung erreicht hatte, waren ihr nicht viele andere Möglichkeiten offen geblieben. Und dafür, dass er sie wieder als Gattin angenommen hatte, ohne ein Wort über die Vergangenheit zu verlieren, liebte sie Gla'imbar tat sächlich. Auf eine andere Weise als sie Tungdil geliebt hatte. Immer lieben würde.

»Willst du dich ausruhen?«, schlug ein Zwerg vor. »Vielleicht ist es wegen deines Zustandes?« »Das könnte sein«, sagte sie, nahm den Vorwand dankbar auf und erhob sich. »Verzeiht mir, aber ich muss mich ein wenig ausruhen. Wir sehen uns kurz vor Sonnenuntergang.«

Die Clanführer verneigten sich, und Balyndis schritt durch den Thronsaal zum Ausgang. Obwohl ihr der Sinn nicht danach stand, bemerkte sie im Vorbeigehen, dass sie angestarrt wurde. Geroin Bleiband betrachtete sie feindselig; er war der Bruder von Syndalis Bleiband, der zweiten Gattin des Königs. Gla'imbar hatte sie verstoßen, damit Balyndis wieder an seine Seite zurückkehren durfte. Dies hatte ihr viele Feinde gebracht. Balyndis wich dem Blick aus und eilte durch die Gänge, vorbei an ihren Gemächern geradewegs in die kleine Schmiede, in der sie öfter zu finden war und wo sie in der wenigen freien Zeit alle möglichen Dinge schmiedete. Die Esse brannte immer und war mit Drachenfeuer geschürt worden.

Sie warf die Blätter eines nach dem anderen in die glühende Kohle und beobachtete, wie sie Feuer fingen und zu Asche vergingen. Die leichten schwarzen Flocken flogen in den Schlot und weit, weit über den Gipfeln des Grauen Gebirges in die Welt hinaus.

Balyndis sah ihnen hinterher, dann warf sie einige Schippen Kohle in die Esse und betätigte den Blasebalg. Bald tanzten die weißen Flammen über der Glut und verbreiteten eine enorme Hitze.

Sie genoss das Schauspiel, ehe sie das letzte Blatt hineinlegte und es dem Feuer übergab. Sie wollte die Zeilen nicht um sich haben, die von Tungdils Tod sprachen. Sie benötigte auch keine Erinnerung an ihn oder seine Heldentaten.

Das schönste Andenken von ihm trug sie unter ihrem Herzen, während sämtliche Fünften annahmen, es handle sich um Glaimbars Spross.

Und so sollte es auch bleiben.

Das Geborgene Land, Königinnenreich Weyurn, in der Nähe des Stollens, 6241. Sonnenzyklus, Winter.

Obwohl es eigentlich früher Nachmittag war, konnte man meinen, die Nacht sei hereingebrochen. Ein Wintersturm überzog den Westen Weyurns, brachte eiskalten Regen und erste Schneeflocken.

Algin blickte zu dem Dreieckssegel hoch, das sich gefährlich im Sturm blähte. Es jagte das kleine Fischerboot vorwärts, über die Wellenkämme hinweg. Es wurde so schnell, dass der Mann fürchtete, der Rumpf könne sich aus dem Wasser heben. »Runter damit!«, schrie er seinem Freund und Steuermann Retar zu und zeigte auf die zum Bersten mit Wind gefüllte Leinwand.