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»Nein. Dann wird uns der See verschlingen«, brüllte er gegen das Tosen zurück.

»Wenn das Segel reißt, ist alles verloren.« Algin torkelte über die bockenden Planken und versuchte, mit nassen, kalten Fingern den Knoten zu lösen, damit die Rahe nach unten schnellte. Das war einfacher, als die Leinwand einzuholen. »Wir müssen in den Hafen zurück.«

»Eine Boje noch«, rief Retar und klammerte sich ans Ruder. »Das Netz vor der ehemaligen Sandbank müsste zum Bersten gefüllt sein. Der Sturm hat uns die Fische sicherlich in Scharen hineingescheucht.« Algin zögerte. Der Fang lag noch weit unter dem, was sie sonst nach einem Umlauf mit nach Hause brachten. Elria schien die meisten Fische in die Untiefen des Sees verbannt zu haben. »Na, gut«, rief er und nahm die Hand vom Tau. Retar grinste und setzte Kurs.

Da bemerkte der Fischer das Loch in der Gebirgswand, das sich wie der kreisrunde Schlund eines Wurmes im Gestein geöffnet hatte. Es maß an die zehn Schritte im Durchmesser, das untere Drittel war mit Wasser gefüllt. Er stieß Retar an und deutete auf das Phänomen. »Schau dir das an«, brüllte er. »Jetzt weiß ich endlich, warum uns der See unter dem Kiel schwindet. Er läuft direkt in das Rote Gebirge.«

Retar starrte auf den Stollen. »Was wollen denn die Zwerge mit so viel Wasser?« Er wurde wütend. »Das verstehe ich nicht. Wieso graben sie uns...«

Beide sahen sie den monströsen Schemen, der sich in dem Eingang zeigte; er füllte ihn zur Gänze aus. Ein langer Hals mit einem gestreckten Schädel reckte sich vorsichtig hervor, und die Nasenlöcher am Ende der schmalen Schnauze blähten sich. Die Kreatur witterte. Ihre dunkelgrüne Haut war schuppig und schimmerte feucht. »Elria!«, stieß Algin aus. »Was ist das«

Das Wesen blickte in ihre Richtung, sog wieder die Luft ein und streckte den Kopf in die Höhe. Die Augen leuchteten rot auf, heißer Dampf schoss aus seiner Nase.

Retar fluchte derb und riss das Steuer herum. Die Boje, die vor den Füßen der Kreatur auf den Wellen schaukelte, war ihm auf einen Schlag gleichgültig geworden.

»Es ist... ein Drache«, stotterte Algin. »Bei Elria, er sieht genauso aus, wie er in den Geschichten beschrieben wird!« Gebannt verfolgte er, wie sich das Wesen abstieß und mit einem anmutigen Sprung in den See eintauchte. Sein breiter Schatten kam dicht unter der Oberfläche auf sie zu. Der Drache bewegte sich schnell, schneller als jeder ihnen bekannte Fisch. Und je dichter er zu ihnen aufschloss, umso mehr offenbarte er ihnen seine wahren Ausmaße: vom Haupt bis zur Schwanzspitze maß er fünfzig Schritte, die Breite schätzte Algin auf zehn Schritte. »Nach Backbord! Bei den Göttern, nach Backbord!«, schrie er Retar voller Todesfurcht zu. »Mach schon! Er wird uns rammen!«

Der Drache glitt unter ihrem Boot hindurch und verschwand.

»Er ist getaucht«, jubelte Algin. »Er hat uns verschont.«

»Das glaubt uns keiner«, stöhnte Retar.

»Es ist so viel geschehen im Geborgenen Land, dass sie uns glauben werden.« Algin blickte auf das gähnende Loch im Felsen. »Königin Wey muss sofort von diesem Tunnel und dem Drachen erfahren.« Er war sich nicht mehr sicher, ob sie nun ein Werk der Zwerge entdeckt hatten oder ob der Drache sich einen Stollen gegraben hatte. »Unfassbar, dass nach so langer Zeit eines von den Wesen zurückgekehrt ist, die in den Sagen als grausam und klug beschrieben werden. Was er hier wohl will?«

»Mir einerlei. Ich werde Elria zehn der besten Fische opfern, weil sie mir mein Boot und mein Leben bewahrte«, sagte Retar bleich. »Das ist mir ihr Schutz...«

Algin bemerkte, dass der See unter ihnen in hellem Licht erstrahlte, und schon wurde das Boot von glutroten Flammen umspielt. Sie schössen rings um die Bordwand drei Schritt und höher in die Luft; es wurde unerträglich heiß. Algin und Retar schrien hilflos. Ein Sprung bedeutete den sicheren Tod. Plötzlich durchstießen die Flammen mit Macht den Rumpf, verbrannten knisternd die nassen Planken und hüllten den Mast, das Segel und die Männer ein. Fleisch, Haut und Knochen verglühten restlos, es blieb nicht einmal Asche übrig.

Das Boot brach auseinander. Die verkohlten Wrackstücke trieben in der aufgewühlten See und wurden von den Wellen davongeblieben.

Man würde nichts finden.

Weder von Algin und Retar noch von dem Boot.

Noch von einem Drachen.

Copyright

Piper

München Zürich

www.mahet.de

2. Auflage

© Piper Verlag GmbH, München 2005

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Umschlagabbildung: Didier Graffet/Bragelonne und Thomas von Kummant (Ork)

Karte: Markus Heitz

Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

Druck und Bindung: Pustet, Regensburg

Printed in Germany

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