Выбрать главу

Das war vor fünf Zyklen gewesen.

Seitdem reiste Rodario durch die Königreiche des Geborgenen Landes und tat in jeder Stadt, in jedem Dorf und in jeder Siedlung, die er passierte, das Gleiche: Er fragte die Menschen nach Furgas und zeigte ihnen dessen Bildnis, das er hatte anfertigen lassen. Ohne Erfolg.

Doch er gab einfach nicht auf. Auch nicht in Sturmtal, wo er nichts als Kopfschütteln erntete, als er das gemalte Antlitz seines Freundes in Gasthäusern, auf dem Markt und bei den Torwärtern herumzeigte. Rodario machte sich ernsthafte Gedanken um seinen verschollenen Freund. Dazu kam die Sorge um die vielen Apparate, die Furgas ersonnen hatte und die er während der Vorstellungen am Körper trug: Bärlappsamenschleudern, mit denen er Feuerbälle schuf, kleine Taschen aus schwarzem Leder, in dem die Papierblumen bis zu ihrem Einsatz warteten, und viele andere Behältnisse, in denen Pülverchen steckten. Es waren die ausgetüftelten Erfin düngen, die ihn vor den Augen der Zuschauer zum Magus machten und die einmaligen Spektakel erlaubten. Er fürchtete sich vor dem Tag, an dem seine Utensilien endgültig kaputt gingen. Bislang hatte er kleinere Defekte irgendwie Flickschustern können, aber das würde sicherlich irgendwann ein Ende nehmen. So kehrte Rodario mit dem üblichen, aber durchaus überwindbaren Gefühl der Niedergeschlagenheit zu dem Lagerplatz seiner Truppe zurück und spielte sich auf der Bühne den Kummer von der Seele. Und die Menschen liebten ihn und hielten ihn für einen stets heiteren Schauspieler, weil sie nicht hinter die Fassade des Mannes zu schauen vermochten.

Die Vorstellung endete in einem Triumph und einem kolossalen Gewitter, das einmal mehr bewies, weshalb Sturmtal seinen Namen trug, und nebenbei die Haltetaue des Zuschauerzeltes auf eine harte Probe stellte. Die Stoffwände wogten hin und her und vermittelten denen, die im Innern saßen, ein Gefühl, als befänden sie sich in einem in Unruhe geratenen Gedärm. Kaum verklang der Applaus, rannten die Menschen nach Hause, zurück in die Stadt und in den Schutz ihrer sicheren Häuser. Der Verkauf von Eoilhauch in Flakons war auch schon besser gewesen.

Rodario zog sich in seinen kleinen, mit mystisch anmutenden Zeichen bemalten Wohnwagen zurück, in dem er sich auf seine Auftritte vorbereitete und nach der Vorstellung die Einnahmen zählte. Auf dem Ankleidetisch des fahrenden Mimen stapelten sich die Münzlinge. Kleinvieh machte auch Mist, mit dem er sein Leben düngte. Er steckte noch immer in der Robe, die er damals in Porista als angeblicher Magus Rodario der Unglaubliche getragen hatte. Was damals Feinde ablenken sollte, war nun zu einem Requisit verkommen. Immerhin hatte er sich schon abgeschminkt und die Apparate an seinem Körper abgelegt.

Er schenkte sich von dem Wein ein, trank und schaute in den Spiegel; seine Züge wirkten im Licht der Lampen deutlich älter. »Jedes Fältchen ein Zyklus der Sorge.« Er prostete Furgas' Bildnis zu. »Lass es dir wohl ergehen, alter Freund, bis ich dich gefunden habe. Wer würde es mit deiner Meisterhaftigkeit aufnehmen können?« Er stürzte den Wein hinunter und achtete erst gar nicht auf das laute Pochen an seiner Tür.

»Ich schlafe«, rief er missmutig, als es nicht aufhören wollte.

»Sehr gut. Dann bringe ich dir einen Albtraum, Schmeichler«, hörte er eine Männerstimme. Die Tür flog aus den Angeln, krachte auf den Dielenboden und wirbelte Schmutz auf. Auf der Schwelle stand Nolik, hinter ihm zeichneten sich die Umrisse von zwei weiteren Männern ab. Sie hielten alle Knüppel in den Händen. »Und schon bin ich wach, mein etwas zu starker Freund. Was drängt Ihr so? Ich hätte Euch die Tür gewiss geöffnet.« Rodario sprang auf, langte nach seinem Schwert. »Das ist eine echte Waffe, Nolik«, warnte er und warf das Haar zurück. »Zwingt mich nicht dazu, sie von Eurem Blute trinken zu lassen.«

»Selbst jetzt redet er geschwollen daher, wo der Vorhang doch schon gefallen ist.« Nolik lachte und trat in den Wohnwagen, seine beiden Begleiter folgten ihm auf den Fersen. Er öffnete den erstbesten Schrank zu seiner Linken, warf die Kleider darin auf den Boden. »Wo ist sie?«, fragte er.

»Die Einnahme von heute?« Rodario hob das Schwert. »Ich dachte, Ihr seid unendlich reich? Benötigt man Euren Marmor nicht mehr?«

Der zweite Schrank wurde aufgerissen, jetzt regneten Tiegel, Fläschchen und Beutel hernieder. Sie barsten oder platzten auf, und die Substanzen mischten sich. »Du weißt, wen ich meine«, brüllte Nolik und tat einen Schritt nach vorn. Seine Stiefel zermahlten wertvolle Ingredienzien für den Hauch der Eoil.

Rodario zielte auf die Brust des Mannes. »Ihr, guter Mann, werdet mir für den Schaden aufkommen, den Ihr in Eurer Frechheit anrichtet. Und bei den Ausgeburten Tions, sagt mir endlich, was Ihr und Eure hochgeistigminderbemittelten Freunde bei mir wollt.«

»Tassia.«

»Eure Gattin?«, lachte er auf. »Ah, ich verstehe. Sie ist Euch davongelaufen, und nun denkt Ihr, ich gewährte ihr Unterschlupf.«

Nolik war stehen geblieben. »Sicher. Sie hatte schon immer Flausen im Kopf, und du, Schmeichler, hast das alte Fieber in ihr wieder geweckt. Heute Nacht war das Bett leer.«

Rodario grinste und schaute an ihm vorbei zu den zwei Männern. »Dann kehrt dorthin zurück und kuschelt mit diesen beiden Prachtgeschöpfen. Wäre ich Eure Gemahlin, ich wäre schon längst durchgebrannt. Nun geht!« Niemand folgte seiner Aufforderung. Nolik langte nach dem Verschluss einer Truhe, aber der Mime schlug ihm mit der flachen Seite des Schwertes auf die Finger. Schnell sprang der Mann zurück.

»Fasst noch einmal etwas in diesem Wagen an, und Ihr werdet fürderhin die andere Hand benutzen müssen, um Euch die Arschballen abzuwischen«, zischte Rodario und gab sich Mühe, sehr, sehr gefährlich auszusehen. »Schlagt ihn zu Mus«, befahl Nolik fluchend und hielt sich die geröteten Finger. »Erst danach nehmen wir seine Bude auseinander.«

Zögernd drückten die beiden Männer sich an ihrem Anführer vorbei. Es waren kräftige Kerle, vermutlich Arbeiter aus dem Steinbruch, die Brocken von der Schwere eines Wagens mit Leichtigkeit stemmten. Ein Treffer mit den Holzlatten, und er würde tot niedersinken.

Da kam die erste Attacke.

Rodario lenkte den Knüttel ab, der daraufhin gegen die Seitenwand des Bettes donnerte und es zerschlug. Unter den Trümmern wurde ein Frauenkleid sichtbar - und in dem Kleid steckte zur Überraschung des Mimen Tassia! Sie rutschte nach hinten gegen die Wand des Wagens und barg den Kopf in ihren Händen. Der kurze Blick auf ihr Gesicht hatte genügt, um Rodario das Veilchen um ihr rechtes Auge sehen zu lassen.

»Oh, Herr Nolik ist nicht nur dämlich, sondern zudem noch ein feiges Schwein«, bemerkte er zuvorkommend. »Wärt Ihr Kot, so würdet Ihr so sehr stinken, dass die Nase eines jeden Wesens auf der Stelle abfiele.« Er stach unvermittelt zu und verletzte den ersten der Schläger am Oberschenkel. »Aber Ihr, Nolik, seid geringer als Kot.« Rodario plauderte lässig weiter und trieb die Besucher rückwärts; dieses Mal erwischte das Schwert den Oberarm des zweiten Mannes. Die beiden drehten daraufhin um und rannten hinaus ins Gewitter. Nolik blickte über die Schulter, um zu sehen, wo seine Leute abgeblieben waren, dann warf er den Knüppel weg. »Hören wir auf damit«, sagte er mit normaler Stimme, die Wut war wie weggeblasen. »Tassia, steh auf. Es wird Zeit, dass wir dem Mann alles erklären.«

Die Frau erhob sich, nahm ihren Leinenbeutel, in dem sie offenbar das Notwendigste von sich verwahrte, und stellte sich neben ihren Gemahl. »Verzeiht das kleine Schauspiel, Herr Rodario«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich bin froh, dass Euch nichts geschehen ist, doch wir benötigen die beiden, die Ihr in die Flucht geschlagen habt, als unwissende Zeugen.«

Rodario verstand nichts mehr, senkte jedoch bereitwillig das Schwert. »Ihr habt also eben ziemlich anschaulich eine kleine Aufführung gegeben?«, erkundigte er sich vorsichtshalber. »Und wie genau nennen wir das Stück?« »Verliere die Frau und wahre das Gesicht«, meinte Nolik und zeigte auf Tassia. »Es war ihr Einfall.« Sie trat nach vorn, den blonden Schopf gesenkt. »Verzeiht uns«, bat sie nochmals. »Nolik und ich lieben uns nicht und haben es auch niemals getan. Sein Vater hat mich als Gegenwert zu den Schulden meiner Familie für ihn als Ehefrau gekauft.«