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»Handeln«, antwortete sie. »Danach reiste er weiter.« Sie unterdrückte ein Gähnen, was Rodario nicht entging. »Wieso habt Ihr Euch getrennt, wenn es ein Freund von Euch ist?«

»Oh, die Schlafgeister haben längst Besitz von Euch ergriffen, Tassia. Ich erkläre Euch demnächst, wie alles kam.« Er nahm ihre Tasche. »Ich trage sie für Euch.«

Ein kräftiger Windstoß brachte den Wagen zum Wackeln. Der Regen prasselte laut gegen die Wände; sie würden beide von oben bis unten durchnässt sein, sobald sie einen Fuß vor die Tür setzten.

Rodario schaute Tassia an. »Gut, dann schlaft eben hier. Teilen wir uns ein kaputtes Bett«, bot er ihr an, und sie willigte lächelnd sein. Bald darauf schlüpften sie unter das Laken und lauschten im Dunkeln auf die Geräusche der Naturgewalten. Nach einer Weile spürte Rodario eine Hand auf seiner Brust.

»Als ich Euch vorhin schlagfertig, hübsch und begehrenswert nannte, war lediglich eine Sache gelogen«, wisperte sie in sein Ohr, und er hörte, dass sie ihr Kleid abstreifte.

»Bedenkt, was Ihr als Nächstes sagt«, lachte er leise und zufrieden. Sein Charme wirkte also doch noch. Sogar in tiefster Finsternis und ohne Worte. Sie küsste ihn auf die Wange. Ihn beschlich das Gefühl, dass Tassia alles andere als unschuldig war.

»Ihr seid nicht der hübscheste Mann, der mir jemals begegnet ist«, meinte sie und schmiegte sich an ihn; er fühlte ihre warme Haut, roch ihre Haare. »Aber die anderen beiden Dinge entsprechen der Wahrheit.« »Dafür dürft Ihr ausdauerndster hinzufügen«, lachte Rodario und küsste sie auf den Mund. Einmal mehr war er von einer Frau auserkoren worden, sie glücklich zu machen. Solche Dienste verrichtete er gern.

Das Geborgene Land, Königreich TabaTn, zwei Meilen südlich der Hauptstadt Güldengarb 6241. Sonnenzyklus, Frühling.

Wenn das Königreich Tabain zwei Eigenheiten besaß, die es unverwechselbar machten, dann waren das die scheinbar unendlichen gelben Getreidefelder, die sattgelb im Schein der Sonne leuchteten, und die gedrungenen Häuser, die aus mannslangen, kindgroßen und armbreiten Steinquadern errichtet waren. Ausschließlich aus Steinquadern.

»Es sieht wie eine Lage Blattgold aus, in die ein unachtsamer Handwerker Löcher gerissen hat«, befand Prinz Mallen von Idoslän vom Rücken seines Pferdes aus. Er schaute auf das brettflache Land, das vor ihm lag. Es gab allenfalls einige Hügel, nicht mehr als zehn oder zwanzig Schritt hoch, welche die Tabainer in der Mitte und im Süden des Reiches in einem Anflug von Unkenntnis als Berge bezeichneten. Von ihnen hatte noch keiner die Gebirge, geschweige denn ein anderes Königreich gesehen.

»Es wäre wie geschaffen für einen Eroberungszug unserer schweren Reiterei. Wir würden durch das Land donnern und über sie kommen wie einer ihrer Wirbelstürme«, sagte Alvaro, Begleiter und Kommandant der Leibgarde, schwärmerisch. Er bemerkte den schiefen Blick seines Herrn. »Natürlich meine ich es nicht ernst, mein Prinz«, haspelte er rasch und räusperte sich verlegen.

»Dir ist nicht entgangen, wie sie ihre Häuser und Burgen bauen, oder, Alvaro?« Prinz Mallen drehte sich nach links und zeigte zu ihrem Ziel, die Stadt Güldengarb samt der königlichen Festung. Die Segmente seiner kostbaren, schweren Rüstung mit dem Signum der Ido darauf rieben metallisch aneinander. »Wie sollten wir sie einnehmen? Es gibt keinen Baum, um eine Sturmleiter zu bauen, keine Felsen, um unsere Katapulte zu laden. Ach ja, und wir hätten natürlich auch kein Holz, um Katapulte zu errichten.« Er klopfte seinem Hengst beruhigend auf den Hals. »Und auch ich meine es natürlich nicht ernst«, grinste er und versetzte Alvaro einen Schlag auf den Rücken. »König Nate soll sein topfebenes Land getrost behalten.« Er ließ das Pferd antraben, und der Tross setzte sich in Bewegung. In kürzester Zeit würden sie Güldengarb erreichen, das sie auf Einladung von Nate besuchten.

Alvaro hatte immer noch ein schlechtes Gewissen wegen seiner Äußerung. »Mein Prinz, seht mir meine Bemerkung nach.« Er ritt neben Mallen her und suchte nach passenden Worten. »Ich bin erzogen worden, um mich mit Orks und anderen Ungeheuern zu messen und mein geliebtes Idoslän gegen die Horden zu verteidigen, doch nun...« Er hob entschuldigend die Achseln, sodass sein Harnisch klirrte, »... haben Männer wie ich nichts mehr zu tun. Müßigkeit gebiert kriegerische Einfälle, mein Prinz.«

Mallen nahm den altertümlichen Helm von seinem Gürtel, zog ihn über das blonde Haupt und schnallte ihn mit dem Kinnriemen fest. »Ich weiß, was du meinst. Es gibt viele Krieger, die sich unnütz vorkommen.« »Das weiß Palandiell!«, schnaubte Alvaro erleichtert, da er sich verstanden sah. »Räuber und Wegelagerer sind wahrlich keine Herausforderung. Ich habe Schlachten geschlagen gegen Nöd'onn, gegen die Avatare, gegen marodierende Orks.« Er klopfte sich gegen den Panzer. »Jetzt rostet mein Schwert in der Scheide, ich setze einen Wanst an, und meine Arme wissen bald nicht mehr, welche Bewegungen sie vollführen müssen.« Er seufzte. »Es ist schön, dass das Geborgene Land und vor allem Idoslän keine Krieger mehr benötigt. Doch für unsereins ist es schwer.«

»Dafür kannst du mit mir auf Reisen gehen und neue Dinge sehen«, lächelte Mallen. Er genoss die Sonnenstrahlen und sog den Geruch der warmen Erde und der Ähren auf, die im Schein des Gestirns reiften. Über einer Wiese zogen zwei Greifvögel ihre Kreise und spähten nach Beute. »Das wäre dir früher nicht möglich gewesen. Dank deiner vermissten Orks.«

»Ihr habt Recht, mein Prinz. Ich bin selbstsüchtig und ungerecht.«

Der Weg, den der Zug aus vierzig Berittenen und vier Wagen nahm, führte sie auf einer verschwenderisch breiten Straße mitten durch Kornfelder auf Güldengarb zu. Die Stadt duckte sich auf die Erde, sogar die Festung machte den Anschein, absichtlich weniger hoch errichtet worden zu sein.

Die Männer bestaunten die vollen Äcker. Das war erst die Wintergerste, die alsbald eine erste reiche Ernte versprach. Die Aussaat des Sommergetreides erfolgte erst noch; es würde die Scheunen und Kammern Tabains bis unters Dach füllen und andere Königreiche mit ernähren. Falls es keinen verheerenden Sturm gab, für welchen das flache Land berüchtigt war.

»Es muss an der Beschaffenheit der Landschaft liegen, dass hier Ungewitter gedeihen, die ihresgleichen suchen. Nicht einmal in den Gebirgen der Zwerge oder im Königreich Urgon gibt es solche Winde, die alles umherschleudern, was auf dem Boden zu finden ist«, schätzte Alvaro und betrachtete die wogenden Halme. »Jetzt weißt du also, warum sie Häuser bauen, die Festungen gleichen«, sagte Mallen. »Ein normales Haus würde auf der Stelle davongetragen. Und die Leichen der Unglücklichen, die in einen solchen Sturm gerieten, blieben für immer verschwunden.«

Alvaro schaute hinauf zum strahlend blauen Himmel. »Hoffen wir, dass wir von solch einem Schauspiel verschont bleiben.«

Sie ritten in Güldengarb ein, das seine Tore für sie öffnete. Dahinter säumten Hunderte von Menschen die Straßen der Hauptstadt und winkten mit Tüchern und Fahnen; andere streuten bunte Blütenblätter zu Ehren der hohen Gäste aus den Fenstern und von den Dächern. In die Rufe mischten sich die Klänge von fröhlicher und für die Ohren der Besucher ungewohnter Musik.

Mallen bemerkte, dass es kein Haus gab, das mehr als zwei Stockwerke besaß, und selbst die waren schon selten genug und fielen sogleich auf. Um die graue Farbe der Steine zu durchbrechen, hatten die Bewohner etliche Quader angemalt. Manche hatten es sich noch einfacher gemacht und die Wände mit unterschiedlich breiten Stoffbahnen verziert.