»Es ist schön, willkommen zu sein«, bemerkte Alvaro, dem es sichtlich gefiel, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
Eine Abordnung von Mädchen und Jungen, die strahlend weiße Gewänder und goldene Garbenkränze trugen, nahte, um den Offizieren eine Erfrischung zu kredenzen: Wein und verschiedene Früchte, aus denen mundgerechte Reiterfigürchen geschnitten worden waren.
»Das nenne ich einen Empfang«, strahlte Alvaro. »Ich möchte nur noch mit Euch durch das Geborgene Land reisen, mein Prinz.«
Mallen kostete von dem Wein und war überrascht, wie leicht er schmeckte. Die Weine aus Idoslän waren bekannt für ihr tiefes Rubinrot, ihre Schwere und den leicht holzigen Geschmack. Tabain dagegen verstand es, einen Tropfen zu keltern, der sich noch schneller als Wasser trank. Verführerisch schnell.
Die Abordnung zog sich zurück, als eine berittene Eskorte erschien, die sie zur Festung geleitete. Das nächste Staunen ließ nicht lange auf sich warten.
»Sie haben sie wirklich in den Boden gebaut. Wir könnten mit ein wenig Schwung über ihre Mauern springen«, raunte Alvaro seinem Prinzen zu, als sie mehr von dem Bauwerk sahen. Die Mauern ragten höchstens fünf Schritt in die Höhe, dafür lag der Hof, in den sie über eine für die Pferde recht steile Rampe hinab ritten, in zehn Schritt Tiefe.
»Wir würden nach deinem Sprung tief fallen«, lachte Prinz Mallen ihn aus. An einigen Mauern erkannte er steinerne Vorsprünge, die zu symmetrisch waren, um als Baufehler angesehen zu werden. Er würde König Nate später dazu befragen.
Im Hof angelangt, stiegen sie ab und folgten einem Vertrauten des Königs in den Palast, der von außen durch die dicken, schnörkellosen Wände trist und kastenförmig wirkte.
Diesen Eindruck aber machte er bereits nach den ersten Schritten durch das Innere wett. Es herrschte wohlgestalteter Prunk an den Wänden, den Decken und auf den Böden. Teppiche dämpften die Schritte und machten das Laufen zu einer Wohltat; die wunderbaren Landschaftsmalereien um sie herum vermittelten den Eindruck, nicht länger in einem Gebäude aus dicken, grauen Wänden, sondern durch ein endloses Ährenfeld zu wandeln.
Es gab keine eckigen Gänge, stattdessen geschwungene und gebogene Korridore; kein Saal, durch den sie marschierten, war vom Grundriss her kantig. Und so fügte sich das Innere des Palastes zu einem dem Auge und dem Geist schmeichelnden Meisterstück der Baukunst.
König Nate, mit gelichtetem, weizenblondem Haar und Augen, so grün wie frisches Gras, empfing sie im Thronsaal mit ausgebreiteten Armen. Die beiden Herrscher drückten einander. »So habt Ihr es in all den Zyklen endlich geschafft, bis nach Güldengarb zu reiten und mir einen Besuch abzustatten«, freute sich Nate. »Wie gefällt Euch die Kornkammer des Geborgenen Landes, Prinz Mallen?«
»Das Land ist ebenmäßig wie das Gesicht einer schönen Frau«, antwortete Mallen diplomatisch, während er neben Nate herging, der ihn zur Tafel geleitete. Es gab Obst, Gemüse und Fleisch in riesiger Auswahl, dazu wurden alle möglichen Brotsorten gereicht.
»Sagt nur, dass Ihr es zu flach findet«, lachte der Gastgeber und deutete auf den Platz zu seiner Rechten; der Stuhl zur Linken blieb leer. »Aber es hatte den Vorteil, dass sich Eure Pferde nicht sonderlich anstrengen mussten, oder?«
Mallen und Alvaro lachten. »Gebt uns einen Augenblick, um uns vom Staub der Straßen zu säubern...«, bat der Prinz, aber Nate winkte ab.
»Nein, lasst den Staub ruhig auf Eurer Rüstung. Ihr tragt damit ein Teil meines Reiches in den Palast, und dagegen dürfte ich kaum etwas haben«, meinte er verschmitzt. »Stärkt Euch gemeinsam mit mir, danach warten ein heißes Bad und ein Bett auf Euch.«
»Wenn Ihr darauf besteht, König«, nickte Mallen mit knurrendem Magen. Die Aufforderung kam ihm gelegen. Schon wurden die Teller gefüllt; als Getränke gab es Wein und bestes Wasser aus den tiefen Brunnen Tabains. »Ich habe für Euch abwechslungsreiche neun Umläufe vorgesehen«, kündigte Nate an und langte für einen Mann seines Alters tüchtig zu. »Ihr werdet mich zu verschiedenen Höfen begleiten, wo ich Euch unsere Art der Feldbestellung weise. Ihr werdet Obsthaine sehen, dass Euch die Augen übergehen.«
Alvaro grinste kauend Mallen an, und der Prinz wusste genau, was sein kriegerischer Begleiter damit sagen wollte: »Wir hätten doch Holz für Katapulte und Sturmleitern.«
»Außerdem wird es heute Nacht einen großen Maskenball geben, zu dem ich alle Adligen des Reiches eingeladen habe. Sie sind begierig darauf, den Helden kennen zu lernen, der unser Land schon mehr als einmal vor den Mächten des Bösen bewahrte, Prinz.«
Mallen hob abwehrend die Hand. »Nein, König Nate. Da ist Bescheidenheit angemessen. Meine Soldaten und ich haben zwar einen Beitrag geleistet. Den Zwergenstämmen aber gebührt das meiste Lob. Ohne ihre unerschütterliche Hartnäckigkeit, die starken Arme und den Glauben an das Gute säßen wir beide nicht an diesem Tisch. Sie haben in der Vergangenheit vieles geopfert.«
»Wie Recht Ihr habt, Prinz Mallen«, sagte eine weiche Stimme vom Eingang her. Eine Elbin in fließenden, hellgrünen und gelben Gewändern stand dort und wartete auf ein Zeichen, sich zu ihnen gesellen zu dürfen. Der Prinz und Alvaro sahen sich verblüfft an. Elben außerhalb ihres Reiches Älandur zu Gesicht zu bekommen war höchst ungewöhnlich und bislang nur bei Kriegen der Fall gewesen.
»Kommt zu uns, Rejalin«, rief Nate, und ein Diener schob den Stuhl zu seiner Linken zurück. Nun wurde klar, für wen der Platz bestimmt war. »Leistet uns Gesellschaft.«
»Sehr gern, König Nate.« Sie kam näher, jede Bewegung eine einzige Komposition von ausgesuchter Anmut, die dem Rest der Bewohner des Geborgenen Landes unerreichbar blieb. Rejalin trug ihr langes helles Haar zu einem Kranz um das Haupt geflochten, in dem filigraner Schmuck funkelte. Mallen bewunderte sie bereits jetzt; und als sie sich leicht verneigte und ihn mit »Ich grüße Euch, Prinz Mallen von Idoslän« ansprach, stand er kurz davor, ihr zu verfallen. Keine Frau, die er kannte, besaß solche blaugrünen Augen.
»Rejalin gehört zu einer Abordnung aus Älandur, die mir Fürst Liütasil sandte«, erklärte der König, während die Elbin ihr Obst kostete. Der an sich schnöde Vorgang der Nahrungsaufnahme geriet bei ihr zu einem Schauspiel höchster Eleganz.
Sie hob den Kopf und lächelte Alvaro und Mallen zu. »Es ist an der Zeit, dass mein Volk nicht länger allein über großes Wissen verfügt. Fürst Liütasil beschloss, es den Herrscherinnen und Herrschern zu überlassen. Sofern sie sich als würdig erweisen.«
Alvaro senkte seine Gabel, die er eben zum Mund führen wollte, und schaute Rejalin herausfordernd an. »So? Man muss sich erst als würdig erweisen, um die Gnade der Elben zu erhalten?« Er legte die Hände zusammen und betrachtete sie. »Was bedarf es denn, um zum Kreis der Auserwählten zu gehören?«
Rejalin pflückte sich eine Frühbeere vom Stängel, der auf ihrem Teller lag. »Das darf ich nicht sagen«, erwiderte sie freundlich und mit einer besänftigenden Melodie in der Stimme, die einen wutschnaubenden Ork vom Angriff abgehalten hätte. »Wir sehen, wir prüfen ohne Worte und tragen unserem Fürsten unsere Einschätzung zu.«
»Dann sagt mir, Rejalin, wie es sein kann, dass einer der größten Helden des Geborgenen Landes«, er deutete auf seinen Herrn, »noch keinen Besuch von einer elbischen Abordnung erhielt?« Er lauerte auf ein falsches, beleidigendes Wort.
Sie begab sich nicht auf das dünne Eis, sondern warf Mallen einen langen Blick zu, der dicht an den Ausdruck herankam, den Frauen ihren Geliebten vorbehielten. »Sie sind gewiss bei Euch angekommen, Prinz Mallen, während Ihr Euch auf die Reise nach Tabain begeben habt«, sprach sie den Regenten direkt an und strafte den Krieger mit Nichtbeachtung. »Ihr werdet sicherlich von der Abordnung meiner Brüder und Schwestern erwartet. Von Älandur nach Idoslän ist es eine gehörige Strecke.« Sie lächelte, und er erwiderte die Freundlichkeit, ohne nachzudenken.