Alvaro hatte noch lange nicht aufgegeben. »Dieses Wissen Eures Volkes«, hakte er ein, »worum soll es dabei gehen? Wie man schönere Musik macht?«
»Fortschritt«, sagte sie, ohne ihm den Kopf zuzuwenden und den Prinzen weiter bannend. »Es betrifft alle Bereiche des täglichen Lebens. Auch die Kunst.« Sie senkte die Augen kurz, danach blickte sie den Krieger an. »Ihr klingt nicht sehr freundlich, Herr Alvaro.«
Er lehnte sich im Stuhl zurück. »Ich wäre sehr froh gewesen, Euer hübsches Gesicht bei der Schlacht von Porista zu sehen. Aber die Elben hatten es ja vorgezogen, in ihrem Wald zu bleiben.«
»Wir kämpften gegen die Albae, Herr Alvaro«, berichtigte sie schärfer als bislang, was der Krieger mit einem Grinsen kommentierte. Endlich verlor sie die Beherrschung.
»Sicher habt Ihr gegen die Albae gekämpft. Wir alle haben bei Dsön Balsur gegen die Albae gekämpft und beinahe alle gegen die Avatare«, setzte er nach. »Wir haben einen Beitrag geleistet, um Älandur vor Euren boshaften Verwandten zu schützen, aber wie dankt Ihr es dem Geborgenen Land? Das ist für mich ein Mysterium, das ich mir nicht erklären kann.« Er langte nach seinem Becher und prostete ihr zu. »Seid die Erste, die es vermag, ich bitte Euch, Rejalin.«
Mallen warf ihm einen bösen Blick zu. »Hör auf damit, Alvaro! Es liegt doch eindeutig vor dir: Die Elben hätten in Porista zusammen mit den Albae an einer Seite kämpfen müssen. Es wäre nie mals gelungen. Eher vereinen sich Feuer und Wasser friedlich miteinander. Sie hätten sich gegenseitig angegriffen, und die Avatare wären Sieger geblieben.«
Rejalin verneigte sich. »Ich sehe, Ihr seid verständiger als Euer Freund, Prinz Mallen von Idoslän. Es wäre ebenso gewesen, als verlangte man von Euch, Seite an Seite mit Orks zu kämpfen, die einen Umlauf zuvor Eure Hauptstadt vernichtet und sämtliche Einwohner abgeschlachtet hätten. Nachdem sie die Leiber Eurer Frauen und Kinder vor Euren Augen geschändet und gefressen hätten.«
»Ihr mögt es nicht glauben, doch wenn ich dadurch einen stärkeren Feind besiegen könnte, würde ich es tun. Danach gäbe es genügend Gelegenheiten, die Orks zu vernichten«, erwiderte Alvaro unnachgiebig. »Euch fehlt das Maß, Rejalin, den richtigen Zeitpunkt abzuwägen, um Dinge zu tun oder zu lassen. Euer Auftauchen ist das beste Exempeclass="underline" Nach mehr als fünf Sonnenzyklen fällt Eurem Fürsten ein, dass er sein Wissen teilen möchte. Nach fünf!«
»Genug jetzt«, herrschte Mallen ihn an. »Ich entschuldige mich für ihn, König Nate«, sagte er bedacht. »Er ist ein Krieger, der sich nach dem Kampf sehnt und der in der friedvollen Stunde nicht weiß, wohin mit dem Schwert.« Er stand auf. »Wir ziehen uns zurück, entspannen bei einem Bad und kehren ausgeruhter zu Euch zurück.«
»Es sei Euch verziehen«, sagte Nate; Rejalin nickte und schenkte dem Prinzen einen neuerlichen Augenaufschlag. »Ich lasse Euch eine Auswahl von Masken in die Gemächer bringen.«
Mallen verneigte sich andeutungsweise und verließ zusammen mit seinem Offizier den Saal. Schweigend gingen sie nebeneinander her und sprachen kein Wort, selbst als sie ihre Zimmer bezogen und sich trennten. Der Disput zwischen Rejalin und Alvaro hatte auf die beiden Männer übergegriffen.
Gegen Abend war es so weit.
Nicht nur, dass der Maskenball bald begann; innerhalb kurzer Zeit hatte sich der blaue Himmel verdunkelt und präsentierte sich beim Erwachen von Prinz Mallen als ein einziges düsteres Gespinst, so weit das Auge reichte. Vom Fenster seines Gemachs aus, das knapp oberhalb der Zinnen der Festungsmauer lag, erkannte er verschiedene Grautöne der Wolken, durchmischt mit schwarzen, schnell dahinziehenden Dunstschwaden. Aus ihnen hingen Regenschleier bis auf den Boden, sie tränkten die Gegend um Güldengarb mit Wasser. Der Wind hatte merklich aufgefrischt. Aus der sanften Brise war ein kleiner Sturm geworden, der sich nicht entscheiden konnte, ob er an Kraft zu- oder abnehmen sollte. Am Horizont zuckte ein Blitz, lange danach hörte Mallen ein dumpfes Grollen.
Es klopfte gegen die Tür. »Verzeiht, mein Prinz. Wir werden erwartet«, rief Alvaro von draußen. »Steigt in Euer Kostüm und lasst uns gehen.«
»Gleich«, gab Mallen zur Antwort und betrachtete die Auswahl, die ihm König Nate hatte bringen lassen. Leider fand er auf den ersten Blick nichts, wonach ihm der Sinn stand. Weder wollte er ein Phantasiegebilde aus blauen Tüchern und Drahtgestängen noch eine übergroße Ähre sein, noch ein Gewand aus Goldstückchen tragen, das schwerer als seine Rüstung wog.
Er entschied sich, die Rüstung anzubehalten; dazu wählte er eine Augenmaske aus weißen und schwarzen Federn, die zusätzlich mit Rubinen besetzt war. Dann ging er zur Tür und öffnete sie.
Er stutzte, musterte Alvaro und lachte laut los.
Der Offizier hatte sich in das bunte Kostüm eines Gnoms gezwängt, eine falsche Nase aus Papiermaschee und eine alberne Mütze mit Schellen daran machten deutlich, als was er sich auf den Ball wagte, besser gesagt: wagen musste. »Es gab keine Auswahl«, brummte er. »Ich wette, dass es Königs Nate Art ist, sich für den Zwist am Tisch zu revanchieren.« Neidisch blickte er auf seinen Herrn. »Als was geht Ihr denn?« »Als mein Vater. Er trug diese Rüstung schon, und auf den Bildern komme ich seinem Wuchs gleich«, gab Mallen zur Antwort und hörte nicht mehr auf zu grinsen. »Falls es heute Abend einen Preis geben wird, ist dir meine Stimme gewiss.«
»Zu gütig, mein Prinz.« Alvaro wartete, bis sein Herr sich auf den Weg gemacht hatte, und folgte schräg hinter ihm. »Ich wollte mich noch für meine Worte entschuldigen«, sagte er schließlich. »Aber ich konnte nicht anders. Ihr wisst, dass ich nichts gegen die Elben habe. Solange sie mir keine andere Erklärung geliefert haben als die, welche Ihr Rejalin liebenswürdigerweise eröffnet habt, bleibe ich allerdings achtsam.« »Lass es gut sein«, meinte Mallen und schlug ihm auf die Schulter. »Es sei dir vergeben, wenn du zukünftig nicht mehr in meiner Gegenwart damit anfängst. Ansonsten magst du deine Meinung frei äußern.« Er wusste, dass viele Veteranen aus seinem Heer die Ansicht des Offiziers teilten. Wenn er ihnen verbot, sie laut auszusprechen, schürte er nur die Vorbehalte gegenüber den Elben.
»Habt Dank, mein Prinz«, verneigte sich Alvaro. Sie erreichten die Treppen, die nach unten in den Festsaal führten, wo sich die Gäste bereits versammelt hatten. Die Kostüme waren farbenfroh, ausgefallen, manche gewagt. Tiergestalten tummelten sich ebenso wie Phantasiewesen, ja, sogar zwei Orks und einen Alb erkannten die Männer aus Idoslän.
»Das wird Rejalin aber gar nicht gefallen«, meinte Alvaro grinsend und deutete auf den Alb. »Jetzt passt deine Gehässigkeit sehr gut zu einem Gnom«, rügte ihn Mallen. »Pass auf, dass dir deine Maskerade nicht anhaftet und du sie auf immer tragen musst.«
Sie schritten die Stufen hinunter, und ein Ausrufer verkündete den Besuchern, wer sich näherte. Beifall brandete auf, man verbeugte sich vor einem Helden und Prinzen doppelt so gern.
Mallen ertappte sich dabei, wie er Rejalin in der Menge suchte. Er fand sie neben dem Eingang. Sie trug ein Kleid, wie es einzig von Elben gewoben werden konnte; es schien aus Silberfäden und funkelnden Sternen zu bestehen. Zusammen mit dem geschmückten Haarkranz erweckte sie den Anschein, als lebendig gewordenes Sternbild einer Elbengöttin aus dem Nachtfirmament hinab zu den Sterblichen gestiegen zu sein. Rejalin lächelte ihm zu und verneigte sich ebenfalls.
Für den Prinzen erstarrte die Welt, er besaß fortan ausschließlich Augen für sie. Selbst als König Nate im Kostüm eines Magus vor ihm erschien und ihn willkommen hieß, schaute er an ihm vorbei, um die Elbin nicht aus den Augen zu verlieren. Nichts war im Stande, sich mit ihrer Makellosigkeit zu messen, weder das kristallene Geschirr noch das reine Gold an den Wänden, die wunderschönen Bilder an der Decke... Alles bis auf sie wurde mit einem Schlag hässlich, grau, simpel.