»Wissen, das Ihr Euch erst noch verdienen müsst. Geht und sucht nach dem Diamanten«, sagte der andere Elb und schlüpfte ebenfalls aus dem aufgesetzten Kopf. »Wir lassen es Euch wissen, wann Rejalin mit Euch über den Vorfall sprechen möchte.«
Mallen stieß sie zur Seite, aber sie überholten ihn und versperrten ein Durchkommen. Er blieb stehen, die Hand mit dem Schwert hob sich, doch die Worte an die Einigkeit der Völker mahnten ihn zur Besonnenheit. »Richtet Rejalin aus, dass ich eine Erklärung erwarte und die übrigen Königshäuser des Geborgenen Landes sowohl über den Vorfall als auch das merkwürdige Gebaren einer Elbin in Kenntnis setzen werde. Wenn sie sich nicht mir gegenüber erklären möchte, wird sie es sicher auf Geheiß ihres Fürsten Liütasil von Älandur tun müssen.« »Sicher, Prinz Mallen«, nickte ihm der Rechte überheblich zu. »Wir sagen es ihr.«
Er steckte die Waffe ein, ließ einige seiner Soldaten rufen und befahl ihnen, den Körper des toten Freundes aus dem Festsaal zu bringen.
Als sie ihn auf eine Bahre legten und die Treppen hinauftrugen, fiel ihm etwas ein: Das Monstrum hatte Alvaro am Kopf berührt, nicht am Hals, wo er die Wunde davongetragen hatte. Niemand sonst war nach dem Blitz in seiner Nähe gewesen. Außer der Elbin.
Ein unglaublicher Gedanke kam ihm in den Sinn. Mallen blieb auf der Empore stehen und schaute zu Rejalin, die sich um König Nate kümmerte. Hat sie Rache für die Beleidigung genommen, oder befand sich Alvaro mit seinen Worten beim Essen heute Mittag zu dicht an der Wahrheit?, grübelte er. Doch welche Wahrheit könnte das gewesen sein?
Der Zauber der unglaublich schönen Frau verflog nun restlos. Fortan würde er ihr mit allergrößtem Argwohn begegnen.
Ihr und jedem Elben.
III
Das Geborgene Land im Grauen Gebirge an der Nordgrenze des Reichs der Fünften 6241. Sonnenzyklus, Frühling.
Tungdil und Boindil standen in einem dem Großkönig vorbehaltenen Gemach und warteten ungeduldig auf Gandogar. Der Staub des Jenseitigen Landes juckte auf ihrer Haut und klebte in ihren Barten, doch nichts, nicht einmal ein Waschtrog, hatte sie von dem raschen Wiedersehen abhalten können. Dafür gab es zu viel zu besprechen.
»Hast du gesehen, wie sie geweint hat, als wir ihr den Helm ihres Sohnes brachten?«, fragte Boindil, während er die Krüge mit Wasser füllte. Ausnahmsweise stand ihm mehr der Sinn danach als nach Bier - im Gegensatz zu Tungdil, der bereits einen Humpen Schwarzbier geleert hatte.
»Es war besser, sie davon ausgehen zu lassen, dass ihr Sohn tot ist«, beharrte Tungdil.
»Aber du hast selbst gesagt, dass er ebenso gut leben könnte und du den offenkundigen Zeichen nicht traust.« »Lieber finden wir ihren Sohn während eines Umlaufs und bringen ihn lebendig zu ihr zurück, als sie in Ungewissheit zu lassen.«
Ingrimmsch schwieg. »Und was, glaubst du, war diese Gestalt? Und dieses seltsame Ding hinter ihr?« »Es könnte ein verkleideter Gnom gewesen sein«, meinte Tungdil leichthin und trank. »Oder ein Zwerg.« »Oder ein Untergründiger?«
Diese Frage hatte sich Tungdil auf der Rückreise vom Steinernen Torweg ständig gestellt.
Tatsache war, dass sie auf unlesbare Runen in den Felswänden gestoßen waren. Er und Boindil hatten sie wegen ihrer Vollkommenheit und der Hingabe, mit der sie in den Untergrund getrieben worden waren, als zwergisch eingestuft.
Tatsache war auch, dass in alten Aufzeichnungen von Verwandten ihres Volkes jenseits des Berggürtels um das Geborgene Land berichtet wurde. Sie waren es gewesen, die eine erste Feuerklinge geschmiedet hatten, also verstanden sie sich meisterlich aufs Schmieden und liebten die Glut und Esse. Leider war es ebenso Tatsache, dass noch niemand einen dieser anderen Zwerge zu Gesicht bekommen hatte. »Ich weiß es nicht«, seufzte Tungdil ehrlich. »Aber wenn es einer war, dann wissen wir, dass sie uns nicht wohl gesonnen sind.« Die Stirn des Kriegers legte sich in Falten, und die Brauen zogen dich drohend zusammen. »Du meinst, die haben es auf unsere Horte abgesehen?« Er stellte den Becher ab und fuhr prüfend mit dem Finger über den Sporn seiner Waffe. »Sollen sie es nur versuchen«, brummte er bärbeißig.
»Warten wir ab, weshalb uns Gandogar so schnell wieder hier haben wollte«, beschwichtigte Tungdil ihn. »Er muss uns den Boten, der bei unserer Ankunft an der Pforte auf uns wartete, schon kurz nach unserer Abreise hinterher gesandt haben.«
»Es kann nichts Schlimmes sein«, meinte der Zwilling zuversichtlich. »Sonst wären die Wachen an den Toren in Alarmbereitschaft versetzt worden.«
Die Tür öffnete sich, und Gandogar trat ein. Ihm folgten drei Elben, die in ihren fein gewobenen Stoffen und hellen Farben hier völlig fehl am Platz wirkten. Tungdil befand, dass allein schon ihre Gewänder überhaupt nicht zu den gedeckten Brauntönen und dunkleren Farben passten, welche die Kinder des Schmieds bevorzugten, und Unruhe mit sich brachten.
Wenn er es recht bedachte, waren es jedoch nicht die Kleider, die ihm missfielen. Es waren die Elben selbst. Er hatte nichts gegen sie; es war etwas anderes. Ihre Art zu leben, von den Bauten über die Kleidung bis zur ihrer Sprache, fügte sich in Älandur zu einem vollkommenen Ganzen. Hier dagegen erzeugte ihre Anwesenheit einen schrillen Misston, so wie ein herausstechender Sopran in einem harmonischen, tiefstimmigen Zwergenchor. Nach der Miene von Boindil zu schließen, sah der es genauso. »Es ist doch was Schlimmes«, murmelte er bei dem Anblick halb ernst, halb im Spaß. »Zarte Eiblein.«
»Ah, die Helden sind zurück«, grüßte Gandogar sie freundlich und reichte ihnen die Hand. »Hast du dich gefreut, deinen alten Freund wieder zu sehen, Tungdil?« »Die Überraschung ist dir gelungen, Großkönig«, lächelte er.
Gandogar trat etwas zur Seite. »Das sind Eldrur, Irdosil und Antamar. Sie wurden von Elbenfürst Liütasil zu uns gesandt. Nicht als Boten, sondern als Abordnung, die eine neue Ära des Zusammenlebens zwischen unseren einstmals verfeindeten Völkern vorbereiten soll.« Er stellte die beiden Zwerge vor.
Die Elben verneigten sich vor Tungdil und Ingrimmsch. Diese Geste des Respekts wäre vor zehn Zyklen sicherlich weniger deutlich ausgefallen, wenn nicht sogar ganz ausgeblieben. Sie waren zudem vor dem verwahrlosten Aussehen Tungdils gewarnt worden, sonst hätte sich deutliche Abscheu in ihren Gesichtern gespiegelt.
Boindil konnte nichts anders. »Da steck mir doch einer eine glühende Kohle in die Hose!«, entfuhr es ihm lachend. »Die...«, um ein Haar hätte er ›Spitzohren‹ gesagt, »... die Elben und die Zwerge möchten unter einem Dach miteinander leben?« Er rempelte Tungdil in die Seite. »Was sagt deine Weisheit dazu, Gelehrter?« Eldrur stimmte in das Lachen mit ein. »Es mag Euch seltsam erscheinen, Boindil Zweiklinge, doch unserem Fürsten erscheint es lange überfällig. Er brauchte jedoch diese Zeit, um die letzten Zweifler in unseren Reihen von der Großartigkeit einer engen Gemeinschaft zu überzeugen.« Er schaute sich um. »Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass wir auf Dauer einziehen. Wir halten uns die nächsten einhundert Umläufe hier wie auch in allen anderen Zwergenreichen auf, um mehr über das Volk und die Kultur zu erfahren.« »Klingt nach Spionen«, meinte Ingrimmsch. »Ihr wollt die Rezeptur unseres Eisens und unserer Stähle erfahren, habe ich Recht?« Er zwinkerte Tungdil zu.
»Nein, ganz im Gegenteil. Wir sind es, die Wissen zu geben haben. Ohne Gegenleistung, doch ich bin mir sicher, dass Euer Volk«, Eldrur richtete sich an Gandogar, »die Großzügigkeit entlohnen wird. Damit meine ich keine Wertgegenstände oder dergleichen, sondern Eure Erkenntnisse und die Eurer Ahnen.«