»Ho, keine Spione, sondern Erpresser«, raunte Boindil vergnügt. »Auch wenn sie sich blumig ausdrücken.« »Endlich wächst des Geborgene Land zusammen«, meinte Tungdil. Er leckte über seine trockenen Lippen und sehnte sich nach mehr Bier. »Es scheint, dass es im rechten Augenblick geschieht, denn wir haben einiges von unserem Ausflug ins Jenseitige Land zu berichten.«
Die Elben wechselten schnelle Blicke. »Der Großkönig hat so etwas angedeutet. Dann habt Ihr wieder Mut bewiesen, Tungdil Goldhand«, zollte ihm Eldrur Achtung.
»Ich bat ihn darum«, sagte Gandogar und winkte sie an den runden Tisch in der Mitte, auf dem Kleinigkeiten zu essen standen. Das Wort »Kleinigkeiten« unterlag dabei der zwergischen Auslegung, wie man an den Gerichten aus der klassischen Küche erkannte. Die gesottenen Pilzscheiben sagten den Elbengaumen durchaus noch zu, aber der würzige Käse oder die Nachspeise aus den Innereien von Gugullarven stellte ihren guten Willen auf eine harte Probe. Tungdil freute sich besonders über das Fässchen Schwarzbier.
»Wir haben die Käfer aus den Städten der Freien erworben und sie selbst verarbeitet«, erklärte der Großkönig stolz, dem die pikierten Mienen der Gäste entgangen waren, weil er sich ganz mit der weißlichen Creme beschäftigte. »Allein schon dafür, dass du diese Handelswelt erschlossen hast, gebührt dir eine Auszeichnung«, sagte er zu Tungdil, dem es ebenfalls schmeckte. Er vermied allerdings die Gerichte, die ihn zu sehr an den Aufenthalt in der Stadt der Freien und bei Myr erinnerten.
»Eine Zwergin sprach uns an, die uns bat, nach ihrem verschollenen Sohn Gremdulin Ausschau zu halten«, begann Tungdil seinen Bericht über die Reise ins Jenseitige Land, leerte dabei einen weiteren Humpen Bier und dann noch einen, bis ihm Ingrimmsch zu verstehen gab, dass seine Zunge schwerer wurde und er nicht mehr ganz so leicht zu verstehen war. »Wir fanden zahlreiche Orkgebeine in einer Höhle, die Scheusale waren zu Hunderten abgeschlachtet worden. Und wir wollten die Höhle gerade weiter erkunden, als uns ein unbekannter Zwerg über den Weg lief und den halben Berg zum Einsturz brachte. Er hatte eine merkwürdige Maschine bei sich, so etwas habe ich noch nie gesehen...« Er vollführte mehrere Gesten, um ihre Ausmaße zu beschreiben. »Als wir den Steinschlägen entkommen waren, liefen wir geradewegs zurück zur Pforte«, brachte er seine Rede rasch zum Abschluss. Gerade noch gelang es ihm, aus einem schallenden Rülpsen ein heftiges Ausatmen zu machen; aber auch das genügte den Elben, um zusammenzuzucken.
»Ich wette, sie bereuen es, bei uns zu sein«, flüsterte Boindil heiter. »Schau, wie ihre Ohrenspitzen nach unten hängen. Ich werde ihnen zur Aufmunterung meinen Witz von dem Ork und dem Zwerg erzählen.« Gandogar sah über das fragwürdige Verhalten seiner Helden hinweg. »Es klingt, als nähere sich eine neue, bislang unbekannte Gefahr von außen«, sagte er besorgt in die Runde. »Hat euer Volk jemals von solchen Maschinen gehört, wie sie Tungdil erwähnt hat?«
Eldrur zögerte mit der Antwort, seine braunen Augen ruhten auf Tungdils leerem Humpen. »Verzeiht mir meine offenen Worte, doch kann man seinen Äußerungen glauben? Sind Untertreibungen ausgeschlossen?« Er schaute Ingrimmsch an. »War es so, Boindil Zweiklinge, oder hattet Ihr unterwegs einen ebensolchen Durst wie Euer Freund jetzt?«
Die freundlich ausgesprochene Beleidigung hätte Boindil vor dem Tod seines Bruders dazu gebracht, über den Tisch zu springen, den Elben bei den Ohren zu packen und ihn einhändig in seiner Suppe zu ertränken, während er die anderen beiden mit seinem Beil in Scheibchen schnitt.
Aber sein Gemüt war abgekühlt, der Fluch des heißen Blutes gebrochen. »Ich sage es einmal so, Freund Elb: Selbst wenn ein Zwerg derart besoffen ist, dass er seine Schuhe nicht mehr schnüren kann, wird ihm niemals eine Lüge über die Lippen kommen.« Sein Lächeln war scharf wie eine Axtklinge.
Eldrur bemerkte seinen Fehler und verneigte sich. »Verzeiht mir, Tungdil Goldhand.«
Tungdil winkte ab. Auch wenn er äußerlich ruhig blieb, fraßen ihn die Worte des Elben auf. Nun war es schon so weit, dass man seine Berichte anzweifelte! Er blickte an sich herab, sah den Bauch, das von Essensresten und Staub besudelte Kettenhemd, in dem er wie eine Wurst steckte, dann schaute er auf die vielen leeren Humpen um seinen Platz herum. Was ist aus mir geworden?, fragte er sich niedergeschlagen - und streckte die Hand nach dem nächsten Bier aus.
»Nein, ich habe von solchen Dingen noch niemals etwas vernommen, Großkönig Gandogar«, sagte Eldrur. »Hat es nicht einmal Gerüchte um einen Zwergenstamm gegeben, die als Untergründige bezeichnet wurden? Vielleicht...«
Die Tür wurde geöffnet, ein schweißnasser Bote eilte herein. »Entschuldigt die Störung. Mein Name ist Beldobin Ambosskraft aus dem Clan der Eisennägel.« Er verneigte sich vor dem Großkönig. »Ich bringe eine Nachricht von meiner Königin, Xamtys der Zweiten, Großkönig Gandogar«, sagte er außer Atem. »Ihr müsst sie unverzüglich lesen! Schreckliche Dinge geschehen im Roten Gebirge.«
Die Lederhülle wechselte den Besitzer, Gandogar brach das Siegel, zog das Papier heraus und überflog die Zeilen; dann hob er den Kopf. »Meine Freunde, hier kommt die Lösung für unser Rätsel.« Er verkündete den Inhalt laut:
Werter Großkönig Gandogar wir haben den langen Atem unserer Feinde unterschätzt, fürchte ich.
Nach mehr als fünf Zyklen der Ruhe haben sie sich aufgemacht, Tod und Verderben über unsere Stämme zu bringen, und zwar auf eine neue Weise, mit der niemand gerechnet hat.
Ich habe inzwischen vierundfünfzig gute Arbeiter und zehn Krieger durch eine seltsame Maschine verloren, die durch unsere Tunnel streift und alles angreift, was ihr begegnet. Sie besitzt Zangen, Klingen und weitere tödliche Waffen, mit denen sie hackt und zusticht. Ich habe dir eine Zeichnung beigelegt, falls eine solche Maschine bei dir oder bei den Fünften, wo du dich derzeit aufhältst, auftauchen sollte.
Sie bringt unsere Bemühungen, die Tunnel instand zu setzen, völlig zum Erliegen, da es keiner mehr wagt, einen Fuß in die Gänge zu setzen. Ich verstehe die Furcht sehr gut. Uns ist es bisher nicht gelungen, ein Mittel gegen die Maschine zu finden, da sie zu plötzlich und unerwartet zuschlägt. Wir können uns nicht auf sie vorbereiten. Die Fallen, die wir ihr gestellt haben, sind nicht zugegangen.
Wir wissen nichts über sie. Nur, dass sie sehr stark und sehr schwer ist, ein Teil von ihr wird mit Dampfbetrieben. Ich vermute, sie ist ähnlich gebaut wie unsere Hebemaschinen, mit denen wir die Loren auf die Schienen setzen, aber eben kleiner und beweglich konstruiert.
Die Runen auf ihrer Panzerung lassen keinen Zweifel offen, dass dahinter ein Dritter steckt: Geschlagen, doch nicht vernichtet, bringen wir die Vernichtung!
Ich möchte nicht, dass wir die Gesamtheit der Dritten, die in unseren Reihen leben, für die Tat eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe Unbelehrbarer zur Rechenschaft ziehen. Doch sie müssen befragt werden, wen sie für fähig halten, eine solche Maschine zu entwerfen.
Ich habe Warnungen an alle anderen Zwergenreiche geschickt, da ich nicht weiß, ob sich die Gefahr allein auf uns konzentriert oder es vielleicht - Vraccas möge es verhindern - noch andere dieser Maschinen gibt. Die Versammlung aller Stämme sollte einberufen werden, um das Vorgehen zu besprechen. Vraccas segne und behüte dich, Großkönig Gandogar Königin Xamtys die Zweite Trotzstirn aus dem Clan der Trotzstirns vom Stamm des Ersten, Borengar
»Da haben wir es! Jetzt erklärt sich, was uns widerfuhr. Diese Gestalt im Gang war ein Dritter«, rief Ingrimmsch laut und schlug auf den Tisch, dass die Bestecke hüpften. »Wir haben ihr Lager im Jenseitigen Land entdeckt!« Tungdil schnaufte, er fühlte sich gar nicht wohl. Er hatte das Bier zu schnell getrunken. »Wieso sollten sie sich die Mühe machen, sich einen Weg nach außen zu graben und die Maschinen aus dem Jenseitigen Land in unsere Stollen zu schicken?«, warf er nuschelnd ein und rülpste.