Er überlegte nicht lange, sondern hob den Zweihänder und schlug genau von oben mitten auf den Helm des Feindes. Der Tod ereilte den Unterirdischen so rasch, dass ihm nicht einmal Zeit blieb, den Mund zu öffnen und zu schreien. Sein Blut sprühte weit.
Gronsha gab sich damit nicht zufrieden. »Du schmierige Felslaus! Ich zerfetze dich!« Er hackte auf den Leichnam ein, bis er ihn in Stücke geteilt hatte. In seinem Rausch vergaß er völlig, welch enormen Lärm er verursachte. Den bärtigen Kopf trat er sogar lachend irgendwo in den Nebel; es war seine Art der Rache. Helm und Schild des Toten nahm er mit. Sie würden ihm noch gute Dienste leisten.
Gerade, als er den Schild aufhob, sprang der nächste Zwerg njit erhobener Axt heran. »Hier!«, schrie der Unterirdische laut. »Hier ist er! Kommt her!«
»Verdammte Made«, ächzte Gronsha und ließ den Schlag gegen den Schild prallen. Die Schneide schrammte über die Schräge, glitt über die Kante und traf ihn in die Schulter. Die dicke Talgschicht auf der Rüstung, die dazu diente, dass die Waffen der Feinde am Metall abrutschten, hatte versagt.
Gronsha machte einen Satz zurück, doch die Feinde schienen ihn von allen Seiten anzugreifen. Er rannte geradeaus, bis er unversehens auf eine Wand traf. Der Granit war nicht bearbeitet; die scharfen Kanten würden üble Verletzungen verursachen, wenn man an ihm entlang rutschte.
Seine Entdeckung brachte ihm nicht viel ein. Er hatte das Gefühl, im Kreis zu laufen. Der wallende Nebel erlaubte ihm nicht zu entkommen und machte sich wohl einen Spaß daraus, ihn in der Dunkelheit gefangen zu halten. Es konnte nur eine verzweigte Höhle sein, in der er und die Unterirdischen sich befanden. Seine Schulter klopfte und brannte. Die Schwarze Unsterblichkeit heilte, so schnell sie es vermochte, aber es schmerzte sehr. Er vollführte eine vorsichtige Bewegung mit dem Arm, der artig gehorchte. Gronsha musste sich auf ihn verlassen können, denn noch immer waren seine Feinde unterwegs.
Er roch sie, trotz des feuchten, kalten Dampfes, den er gar nicht leiden mochte. Nicht nur, dass er für die Augen undurchdringlich war. Je tiefer er hinein geriet, desto weniger hörte er; sogar seine Rüstung verursachte kaum noch Geräusche. Er war umgeben von feuchter, kalter Watte.
Die Höhlen des Orkreiches Toboribor im Südosten des Geborgenen Landes waren warm und angenehm trocken, man konnte sich sehr gut darin bewegen. Diese Kaverne bildete das genaue Gegenteil dazu. Und sie war unheimlich.
Die grauen Schleier gerieten in heftige Bewegung und gaukelten ihm vor, dass sich der nächste Unterirdische näherte und ihn attackierte, während er sich an der Wand entlangtastete und nach einem Ausgang suchte. Dreimal fiel er auf die Trugbilder herein und stach ins Leere.
Endlich waren Tion und Samusin, die Götter seines Volkes, ihm gewogen und wiesen ihm einen Weg: Ein schwarzes Loch tat sich in der Wand auf. Unvermittelt sprang ein Unterirdischer vor ihm aus dem kaltfeuchten Nebel und schlug mit seiner Axt nach ihm. »Stirb, Scheusal!«
Dieses Mal war Gronsha vorbereitet. Er parierte den Hieb und trat dem Gegner ins Gesicht, sodass der Unterirdische Blut und Zähne spuckend rückwärts taumelte und wieder im Nebel verschwand. »Du zuerst, Felslaus!«
Zeit für eine List. Gronsha duckte sich und machte sich so klein wie einer der Unterirdischen, setzte sich den ramponierten Helm des Toten auf den Kopf und hob dessen Schild. Er wankte nach rechts und links, verstellte seine Stimme und gab gurgelnde Geräusche von sich. »Hilfe! Er hat mich getroffen.« Er krächzte und wimmerte. »Bei Vraccas, hilf mir...«
»Bendagar? Hat es dich erwischt?«
»Mein Bein«, jammerte Gronsha laut und beherrschte sich mühsam. Er durfte nicht lachen, noch nicht. »Halte durch!«, hörte er den unterirdischen Kameraden besorgt rufen. »Ich bin gleich bei dir.« Die Umrisse erschienen im Nebel. »Gibt Acht und sei leise. Es ist noch eine von den Schweineschnauzen unterwegs. Er...« Gronsha wartete nicht länger. Er stieß die Spitze des Zweihandschwertes mit Wucht nach vorn und trieb sie dem Unterirdischen durch das Kettenhemd in den Bauch. »Was du nicht sagst, Bartgesicht«, lachte er boshaft und drehte die Klinge. Aufstöhnend versuchte der Zwerg, nach ihm zu schlagen, aber Gronsha fing die Axt am Stiel ab und entwand sie dem Sterbenden. »Beiß in deine eigene Waffe«, knurrte er und schlug sie ihm mitten in das haarige Antlitz.
Der Unterirdische kippte nach hinten und versank in dem undurchdringlichen Grau. Dieses Mal für immer. Gronsha sprang über die Stelle hinweg und eilte in den dunstverhangenen Stollen hinein, der ihn fort von den Feinden bringen sollte.
Es war ein Weg in die wahre Ungewissheit und nicht zu vergleichen mit einem üblichen Erkundungsgang, wie er ihn gewohnt war.
Unruhe befiel ihn. Ich bin im Jenseitigen Land, dachte er schaudernd, ohne sich sein Zittern erklären zu können. In Toboribor gab es Legenden von gewaltigen Herrschaftsgebieten der Orks. Eines allein sei so groß wie das Geborgene Land als Ganzes und ernähre mehr Angehörige seines Volkes, als Sterne am Nachthimmel leuchteten.
Er hielt die Sagen für übertrieben. Dennoch, es musste Orks im Jenseitigen Land geben. Aus dem Norden war vor vielen tausend Sonnenzyklen der erste und bislang einzige erfolgreiche Angriff von außen erfolgt. Natürlich war es seinem Volk zu verdanken gewesen, dass das Nordtor gesprengt worden war. Jeder ihrer Nachkommen kannte die Legende vom glorreichen Umlauf, der den Sieg über die Unterirdischen gebracht hatte. Nur Orks besaßen die dazu notwendige Kraft, die Ausdauer und den Mut. Zyklus um Zyklus wurde das Ereignis in Toboribor gefeiert.
Zu gern hätte Gronsha den nächsten Festtag in einem eroberten Reich der Unterirdischen begangen. Am besten mit dem abgetrennten Kopf eines Unterirdischen, mit dem man Weitwurf veranstalten konnte, wie es früher beim Fest des Sieges in Gedenken an den Einmarsch ins Geborgene Land üblich gewesen war. Dazu hatte es Unmengen von Essen gegeben, und das Wettrülpsen hätte er in diesem Zyklus sicherlich gewonnen. Stattdessen schlug er sich durch das Jenseitige Land und hoffte auf Beistand. Er selbst war in den Höhlen Toboribors zur Welt gekommen und wusste nichts von dem Ursprungsland seiner Ahnen. Wie alle Orks in Toboribor. Aber nicht nur auf Orks hoffte Gronsha zu treffen, sondern auch auf Oger, Trolle, Albae und alle anderen Kreaturen, die den Göttern Samusin und Tion folgten.
»Das waren noch Zeiten«, murmelte er verdrossen. Seit der Niederlage des verbündeten Magus Nöd'onn war es vorbei mit der guten Zeit für ihn und Fürst Ushnotz, der ein neues Reich gründen wollte: ständig vor den Soldaten der Rotbluter auf der Flucht, keine Heimat mehr und ein Fürst, der ungerecht und schwach war. Noch wagte er es nicht, sich gegen Ushnotz zu stellen, ihn zu töten und die Macht zu ergreifen. Andere, Erfahrenere, das spürte er, würden es vorher versuchen. Wer den Fürst besiegte, wurde zum Fürst - so lief es schon immer bei seinem Volk. Der Beste erhielt die Macht. Da wartete er lieber noch. Er wartete auf seine Gelegenheit.
Das einzig Gute an seiner Lage war seine Unsterblichkeit, die ihm das Schwarze Wasser verliehen hatte. Doch Unsterblichkeit ohne Macht war wie ein Knochen ohne Fleisch.
Gronshas Plan wandelte sich, je weiter er vorstieß und je mehr sich der Nebel lichtete. »Warum eigentlich zurückkehren und Ushnotz folgen?«, fragte er ins Ungewisse, und die Worte hallten dumpf von den Höhlenwänden wider. Schimmernde Flechten und Moose spendeten genügend Helligkeit für seine empfindlichen Augen. Er sah jetzt beinahe so gut wie an einem Sonnentag. Damit stieg seine Zuversicht. »Ich tauge ebenso zu einem Fürsten.« Vielleicht würde es ihm gelingen, im Jenseitigen Land eine kleine Streitmacht auf die Beine zu stellen und sie dazu zu bringen, das Tor am Steinernen Torweg anzugreifen. Die gewaltigen Portale aus Granit waren von ihm und seiner Truppe kurz vor der Flucht beschädigt worden, die Unterirdischen würden sie auf die Schnelle nicht verriegeln können. Ein paar hundert Orks, und die Schlacht gegen die Hand voll Verteidiger wäre gewonnen. Er musste rasch Verbündete finden und angreifen, bevor die Unterirdischen die Schäden repariert hätten. Gronsha feixte. Er, der unsterbliche Ork, würde sich die Festung der Unterirdischen selbst sichern! Alles, was er benötigte, waren Mitstreiter. Er durfte nicht wählerisch sein. Beinahe alles, was eine Waffe halten konnte, wäre ihm willkommen. Jetzt gab es für ihn keinen Zweifel mehr: Tion hatte gewollt, dass er ins Jenseitige Land ging. Seine Augen entdeckten ein Zeichen in der Höhlenwand. Es war eine Rune, verschnörkelt, fremdartig und auf seltsame Weise widerlich zwergisch. Zu den Spitzohren passte die Form nicht.