»Probt Ihr gerade ein Stück?«, erkundigte sich Lambus begeistert. »Es gefällt mir wirklich.« Rodario wandte sich an den Schmied. »Lambus, mein Gutester, die Männer hinter uns sind nicht die besten Freunde. Besäßest du die Freundlichkeit...« Er schob ihm eine Wey-Münze hinüber.
Der Schmied nickte. »Geht durch die Küche. Ich werde sie ein bisschen aufhalten, falls sie Euch bemerken, Herr Rodario.«
Die beiden standen langsam auf, gingen zum Tresen, und der Wirt ließ sie tatsächlich durch die Küche gehen. Zu ihrer Über raschung warteten dort zwei weitere Schläger, wie unschwer an den Knüppeln in ihren Händen zu erkennen war. »Das ist sie!«, rief einer von ihnen und sprang auf Tassia zu.
»Siehst du? Sie sind doch deinetwegen hier«, konnte sich Rodario die Bemerkung nicht verkneifen und trat dem Mann mit Wucht in den Schritt. Aufstöhnend brach er zusammen.
Tassia wich dem Fallenden aus und ergriff seinen Holzprügel. Kurz entschlossen drosch sie damit auf den zweiten Mann ein, der von ihrer Attacke überrumpelt wurde und einen herben Schlag gegen das Kinn erhielt. Er taumelte rückwärts, und bevor er sich erholte, schlug ihm Rodario eine Kiste mit faulem Obst über den Schädel. Auch er fiel auf den Boden und rührte sich nicht mehr.
»Wir sind ein verflucht gutes Gespann«, juchzte er und wollte Tassia küssen, da flog die Hintertür auf, und vier neue Gegner erschienen.
Die Frau hob sofort den Prügel. »Verschwindet! Die Kette gehört mir!«
»Weg hier!« Rodario nahm sie bei der Hand und zerrte sie mit sich. Gemeinsam liefen sie um die Ecke und kamen auf einem Anlegesteg zum Stehen. Der Weg endete schneller als ihm lieb war.
Doch die nebeneinander vertäuten Boote boten sich als wacklige Brücke auf die andere Seite an. »Mir nach!« Rodario hopste und balancierte, während die Nussschalen unter seinen Füßen tanzten und schaukelten, als wollten sie ihn abwerfen. Doch es gelang ihm, trocken auf den schmalen Steg des Hauses zu gelangen. »Wo bleibst du denn?«
»Sei bloß still!« Tassia folgte ihm fluchend. Für sie war es schwieriger, weil er die Boote in Bewegung versetzt hatte. Sie riss einen langen Schlitz in ihr Kleid, damit sie sich besser auf dem tückischen Untergrund bewegen konnte.
In der Zwischenzeit kappte Rodario das Tau des letzten Kahns und hielt ihn fest, bis sie neben ihm stand; dann gab er dem Boot einen Stoß und ließ es davontreiben. Die Lücke zum sicheren Steg war nur durch einen Sprung zu überwinden.
Zwei ihrer Verfolger fielen beim Versuch, ihnen auf den Fersen zu bleiben, aus den wippenden Booten ins eiskalte Wasser. Der Dritte nahm gerade Anlauf, um mit einem gewaltigen Satz zu ihnen aufzuschließen. Da bemerkte Tassia einen Schatten, der von hinten über sie fiel.
Ein älterer Mann, der Kleidung nach aus Mifurdania stammend, stand im Durchgang und wollte eben seinen Kehricht in den Kanal schütten, als er Rodario am Steg stehen sah. »Du!?« Er hob den Eimer zum Schlag. »Darauf habe ich gewartet, verdammter Verführer! Ich reiße dir deine Männlichkeit heraus!«
Das Geborgene Land, Königreich Gauragar, 6241. Sonnenzyklus, Spätfrühling.
Tungdil schaukelte unablässig vor und zurück, dabei fühlte sich sein Kopf zum Bersten voll an. Sein Hirn klopfte und pochte und wollte anscheinend zu den Ohren hinaus flüchten, während seine Kehle trocken und staubig war, als hätte er drei Zyklen lang Sand gegessen.
Stöhnend öffnete er die schweren Lider, blinzelte in das helle Licht und sah im Abstand von einer Armlänge seine Fingerspitzen baumeln und Schotter knapp darunter vorbeiziehen. Es roch streng nach Pony, und er hörte, dass sich noch mindestens ein weiteres Pferdchen in seiner Nähe befinden musste.
Zählte er alles zusammen, blieb der Schluss, dass er sich auf Reisen befand. Gegen seinen Willen. »Wo...«, krächzte er und wollte sich aufrichten. Dabei rutschte er kopfüber vom Rücken des Tieres, sodass er im Staub landete. Sein Pony machte einen erschrockenen Satz zur Seite, und der Packesel dahinter schrie aufgeregt. »Ruhig«, sagte Boindil brummend. »Er tut dir nichts. Er ist nur aus dem Sattel gefallen.« Ein sorgenvolles Gesicht schwebte über Tungdil, der schwarze Bart kitzelte seine Nase. »Bist du wach, Gelehrter?« Tungdil setzte sich und klopfte den Dreck von der Hose, dabei blickte er sich um und sah Bäume, Sträucher, Gras um sich herum. So etwas gab es im Inneren eines Gebirges nicht. »Wo bin ich?« Er zog sich am Sattel des Ponys hoch, sein Kopf drohte zu zerspringen.
»Du bist bei mir«, wich der Zwilling ihm aus.
»Das sehe ich.« Er drehte sich um und erkannte das Graue Gebirge in einiger Entfernung. Die Festung war höchstens noch zu erkennen, wenn man wusste, wo sie stand. Der Turm reckte sich als steinernes Fanal in den Himmel. »Was machen wir hier?«
»Wir sind auf eine Mission geschickt worden. Der Großkönig hat uns als Abordnung nach Älandur gesandt«, rückte Ingrimmsch mit der Sprache heraus.
»Wieso das? Als Strafe für mein Benehmen?«
»Eigentlich... hat er nur mich geschickt«, druckste Boindil herum. »Aber ich dachte mir, dass es besser wäre, einen Gelehrten dabei zu haben, der mich bei den Spitz... bei den Elben unterstützt.« Er schwang sich in den Sattel. »Und da habe ich dich mitgenommen.«
»Gandogar weiß nicht, dass ich mit dir reise?«
»Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen.«
»Hast du mich entführt!«
»Nein, bei Vraccas!«, erwiderte Ingrimmsch empört. »Ich habe dich in deinem Zimmer gefunden, und als ich dich fragte, ob du mich begleiten möchtest, hast du ja gesagt.«
»Laut und deutlich?«
Boindil lachte. »Ich habe es jedenfalls als Zustimmung verstanden.« Er bedeutete ihm, in den Sattel zu steigen. »Um ehrlich zu sein, ist es besser, wenn du ein wenig Luftveränderung und andere Dinge zu Gesicht bekommst. Die Aufgabe, dem Elbenfürsten die Aufwartung zu machen, ist so schlecht nicht. Und außerdem kennt ihr beiden euch. Es ist besser, wenn der Fürst der Elben ein bekanntes Zwergengesicht erblickt.« Rasch erzählte er ihm, warum sie auf dem Weg nach Älandur waren. »Sobald die Versammlung eingetroffen ist, wird Gandogar uns rufen lassen. Wir verpassen also nichts. Sie brauchen Helden wie uns.«
Tungdil schaute abwägend auf das Graue Gebirge, dann auf die Straße vor ihm. »Einverstanden«, willigte er ein und stieg unbeholfen in den Sattel.
Die Ponys trotteten nebeneinander her, Tungdil trank Wasser aus dem Lederschlauch und schwieg, weil ihm das Kopfweh jegliche Lust auf eine Unterhaltung raubte.
Erst am späten Nachmittag wurde er wacher und munterer dachte über die Unterhaltung mit dem Großkönig und die Erlebnisse im Jenseitigen Land nach. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was Gandogar und die Elben zu den vielen Orkknochen gesagt hatten, daher fragte er Ingrimmsch.
Der schaute ihn verblüfft an. »Sie haben darüber kein Wort verloren. Eldrur hielt mich auf und wollte wissen, wie viele der Schweineschnauzen dem Hunger der unbekannten Bestie zum Opfer gefallen sind.« Er verzog das Gesicht und warf den schwarzen Zopf auf den Rücken. »Denkst du, die Dritten haben sie einfach gegessen?« Tungdil sah eine Kreuzung und ein Gasthaus auftauchen, was für ihn ein Bett und ein Bier bedeutete. Mindestens. »Da werden wir übernachten«, entschied er. »Die Dritten rühren ebenso wenig Orkfleisch an wie wir. Nicht einmal in der allergrößten Not würden sie sich davon ernähren.«
»Und... was ist mit den... Untergründigen?«
»Boindil, was redest du plötzlich für einen Unsinn?«, wunderte sich Tungdil. »Kein Zwerg würde so etwas tun.« Er dachte an Djerün, den Leibwächter der Maga Andökai, der selbst eine Kreatur des Bösen war und sich dennoch von den Schöpfungen Samusins und Tions ernährt hatte. Laut sprach er seine Gedanken aus. »Wir wissen, dass es mehr davon gibt als nur Djerün. Erinnere dich an das Exemplar, das die Avatare zu uns sandten, um Andökai zu töten.«