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Das hatte ihr noch gefehlt: Kinder. Ihre sonstigen Mitstreiter fürchtete sie nicht, sie blieben meistens in den engeren Regionen stecken, aber die noch jüngeren, biegsameren Körper bedeuteten eine harte Konkurrenz. An den Geräuschen erkannte Lia, dass sich die Jungen tief in das Gewölbe vorarbeiteten und sich irgendwo dort aufhielten, wo sich die große Kuppel befunden hatte. Sie unterhielten sich, sprachen über den guten Lohn und die Hoffnung, auf verborgene Schätze der einstigen Bewohner der Palastanlage zu stoßen.

»He, ihr Bengel«, rief sie und wand sich aalgleich zwischen den engsten Hohlräumen hindurch. »Verschwindet! Das ist mein Keller.«

»Hättest du wohl gern«, lachte einer von ihnen.

»Herr Ove hat uns befohlen einzusteigen«, rief der andere. »Beschwer dich bei ihm, wenn es dir nicht passt, dass wir den Schatz vor dir finden.«

Lia presste sich unter einem Quader hindurch, der bedenklich wackelte, als sie mit ihrem Oberkörper darunter lag. »Es gibt keinen Schatz«, sagte sie laut. »Hier ist es zu gefährlich für euch. Die Kammer ist nicht beständig.« »Wir haben viel Erfahrung«, klang es übermütig. »Und außerdem...«

Schutt rutschte rumpelnd in sich zusammen, eine Staubwolke flog heran und raubte ihr die Sicht, sie hustete und schimpfte gleichzeitig. »Was ist?«, rief sie und rieb sich die Augen. »Lebt ihr noch?«

»Ich werd verrückt!«, hörte sie einen der Jungs aufgeregt sagen. »Da liegt einer zwischen den Trümmern! Ein alter Mann mit langem Bart.«

Lia gab sich Mühe, noch schneller vorwärts zu kommen. Es war geschehen! Nun galt es, einige Dinge zu verhindern. »Wo seid ihr?«

»Idiot!«, schnauzte der andere Junge seinen Freund an. »Du bist gegen den Stützpfeiler gestoßen und hast mich beinahe unter dem Dreck begraben! Und das ist kein Mann«, Bretter klapperten, »das ist eine Statue.« »Nein, ich war es nicht. Es ist von selbst eingestürzt«, verteidigte sich der Gescholtene, und endlich gerieten die Kinder in Lias Blickfeld.

Sie standen in einem kleinen Hohlraum, nicht größer als eine Abstellkammer, der sich durch einen Zufall aus ineinander verschobenen Säulen und Balken gebildet hatte. Zwischen ihnen lag eine Statue mit dem Gesicht nach oben. Sie war so lebensecht gestaltet, dass Lia sich über den Irrtum des einen Jungen kaum wunderte.

»Da steckt ihr!« Sie rutschte unter einer Strebe hindurch, ohne sie zu berühren, und stand auf. Langsam kam sie auf die beiden Finder zu, ihre Augen glitten über die Statue. Es stimmte alles. Jede Feinheit der Kleidung, jedes einzelne Barthaar, jedes Fältchen in dem alten Gesicht war zu erkennen.

»Als ob man einen Menschen zu Stein verwandelt hätte«, raunte der Größere der beiden ehrfürchtig. »Ein schönes Stück.«

»Es wird uns ein bisschen Geld zusätzlich bringen. Einer von den reichen Säcken wird sie für seinen Garten oder sein Arbeitszimmer haben wollen. Hat sich der Tag heute gelohnt«, nickte sein Freund und schaute skeptisch nach oben. »Wir werden von oben buddeln und sie mit einer Winde raushieven müssen. Durch das Trümmerfeld bekommen wir sie nicht gezogen.« Dann blickte er Lia warnend an. »Die Statue gehört uns, damit das klar ist.« Sie ärgerte sich maßlos über die Pause, die sie eingelegt hatte. Wäre sie ein wenig früher zurückgekehrt, hätte sie sich die Scherereien in Form der Kinder ersparen können. »Sicher gehört sie euch. Doch sie wird euch kein Geld bringen. Sie gehört schon jemandem: Tomba Drinkfass«, erfand sie einfach einen Namen. »Er hat die Statue damals Nudin geschenkt.«

»Um so besser«, meinte der Größere. »Dann ist uns ein Finderlohn sicher.«

»Uns«, betonte sein Freund und zeigte mit dem Finger auf sich und den anderen. »Nicht dir.« Lia überschlug, wie sich das Beste aus dieser Lage machen ließ. Sie konnte sich fügen, abwarten, die Statue verfolgen und sie dem neuen Besitzer abnehmen, was alles mit sehr viel Zeit und Aufwand verbunden war. Zumal die Aufregung sehr groß werden würde, sobald auch nur einer von den älteren Bewohnern Poristas verstand, was die Jungen entdeckt hatten. Oder aber...

»Samusin ist mein Zeuge, dass ich nicht ein Wort über die Statue sagen werde. Und über euch beide«, sprach sie langsam, bevor sie mit enormer Schnelligkeit ihren Dolch zog und ihn dem Jungen zur ihrer Linken durch den Hals stieß.

Rasch schnitt sie ihm die Kehle durch und jagte sodann ihre Waffe dem entsetzten größeren Jungen in die Brust. Röchelnd sank er auf die Statue und benetzte sie mit seinem Blut. Seine Augen starrten die Mörderin an und sprachen Bände von seiner Überraschung und dem Unverständnis über die Tat.

Sein Freund rollte sich schwächer werdend am Boden und starb kurz nach ihm. Das Blut an seinem Hals gerann, es sprudelte nicht mehr aus dem breiten Schlitz, sondern quoll heraus wie zäher Eintopf aus einem überkochenden Kessel.

Lia sah ihnen beim Sterben zu. Ihr Opfer war notwendig. Für eine größere Sache, die mehr bedeutete als zwei junge Leben und die unter Umständen tausende Leben bewahrte. Sie zerrte die noch warmen und zuckenden Körper in einen kleinen, engen Hohlraum und brachte ihn zum Einsturz.

Dann machte sie sich auf den Rückweg, zählte dabei die Schritte und schätzte die Lage der Statue ungefähr ab. Immer noch schniefend, kehrte sie zu den Baumeistern zurück und schilderte, dass sich ein schrecklicher Unfall ereignet habe.

»Die Kellerwände sind weich wie Wachs«, berichtete sie unter einem neuerlichen Weinkrampf. »Noch einmal hineinzugehen wäre töricht, ihr Herren.«

Ove und Tamäs berieten sich kurz, danach ließen sie die Arbeiten für den Rest des Tages einstellen, um den beiden toten Kindern zu gedenken. Am folgenden Morgen sollten die Leichen von oben geborgen und der Keller aufgefüllt werden.

Lia kehrte in der Nacht mit Franek und zehn Helfern auf die Baustelle zurück.

Sie trugen Gestänge, Hacken und Pickel, Seilwinden, Taue und einen Flaschenzug mit sich. In der Seitenstraße wartete ein Pferdegespann, mit dem sie ihre Beute sofort abtransportieren konnten. Im weiteren Umkreis hatten sie Aufpasser aufgestellt, die sie vor zufälligen Beobachtern und der Stadtgarde warnten. Es musste schnell gehen. Und vor allem musste es gelingen, koste es wessen Leben auch immer.

Lia maß die Entfernung vom Eingang oberirdisch ab und markierte die Stelle auf der Bodenplatte mit einem Stein. »Hier drunter musste er sein«, sagte sie zu ihren Begleitern, und die Männer machten sich an die harte Arbeit.

Franek und Lia halfen, das Geröll zur Seite zu schleppen, wäh rend das Loch wuchs und wuchs. Dabei war Umsicht geboten, damit nicht ein zu großes Stück der Oberfläche einbrach und mehr verschüttete, als gut war.

»Und ich wollte schon aufgeben«, sagte Lia fasziniert von dem Gedanken, den besonderen Schatz bald geborgen zu haben.

Ihre Freude überlagerte ihr schlechtes Gewissen wegen des Mordes an den beiden Jungen. Sie hatte Franek von ihrer Tat berichtet, um sich die Last von der Seele zu reden, was aber nicht gelang. Wenigstens hatte er ihr zugestimmt, das Richtige getan zu haben. Sie musste Porista für immer verlassen. Fand man die Jungen, würde man sie für die Mörderin halten.

»Samusin ist uns wieder wohlgesonnen«, nickte er und betrachtete, wie die Männer den loseren Füllgrund freigelegt hatten und sich durch die gemauerte Gewölbehaut hackten. »Ein erster Schritt ist gemacht.« »Nicht so voreilig«, meinte Lia. »Erst wenn wir die Statue aus Porista geschafft haben, können wir den Gott des Ausgleichs loben.«

Knackend brach ein Stück der Tunneldecke ein; zwei Männer sackten mit ihr ruckartig nach unten und verschwanden schreiend im Keller.

Franek blickte sich alarmiert um und hielt Ausschau nach einem Zeichen von einem der Aufpasser. Weder die lauten Rufe noch das Rumpeln war vernommen worden'. »Los, holt sie raus.« Fünf Mann sprangen mit Laternen hinab.