»Gibt es diese bärtigen Pocken auch auf dieser Seite?«, fluchte Gronsha. Er konnte nicht erkennen, ob der Stein erst vor kurzem oder vor hundert Sonnenzyklen bearbeitet worden war. Vorsicht war angebracht. Er lief weiter, folgte dem Gang, der sich bald gabelte, und trabte nach kurzem Zögern in die Richtung, aus der wärmere Luft strömte.
Bald darauf fächerte sich sein Weg in ein Dutzend Gänge auf. Gronsha befand sich am Anfang eines Irrgartens. Er markierte seinen erwählten Gang mit einer großen Orkrune, zwei senkrechte Striche mit zwei Punkten dazwischen, die er in den Fels ritzte, damit er notfalls zurückfand. Nach nicht allzu langem Marsch musste er erneut entscheiden, wohin er sich wandte, und so ging es noch achtmal.
Es war totenstill.
Seine Schritte verursachten keinen einzigen Laut mehr; der Talg auf seiner Rüstung schien in die Ritzen gelaufen zu sein und schmierte die reibenden Teile der Panzerung. Nicht einmal ein kleines Steinchen fiel von der Decke oder ein Wassertropfen platschte zu Boden. Im Jenseitigen Land gab es keinen Ton, kein Leben. Nichts als ihn und die Gänge, die mal hoch und breit wie Scheunentore, dann wieder klein und schmal wie eine Menschenfrau waren.
Das Grauen kroch in ihn hinein.
Gronsha fing vor Angst an zu schwitzen. Bald sah er überall huschende Schatten, die ihn umkreisten, dann glaubte er, dass sich sein eigener Schatten ohne sein Zutun bewegte. Binnen kurzem war er so weit, dass er sich sogar über den Todessschrei eines Orks gefreut hätte. Dann hätte er wenigstens etwas vernommen. Schließlich rannte er, ohne zu wissen, wovor oder wohin er flüchtete. Er wollte der Geräuschlosigkeit entfliehen und vergaß dabei sogar, seinen Weg zu kennzeichnen. Seine Müdigkeit, die vergangene Zeit, nichts spielte mehr eine Rolle.
Der Stollen mündete irgendwann in eine Höhle.
Gronsha blieb keuchend in dem Durchlass stehen, in seiner linken Seite stach es bei jedem Luft holen. Er schätzte die Höhle auf vierzig Schritt Länge und sicherlich mehr als einhundert Schritt Höhe. Durch Löcher in der Decke fielen baumdicke Sonnenstrahlen schräg nach unten. Fast sah es so aus, als bildeten sie Säulen aus Licht, auf denen die Decke ruhte. Die Helligkeit durchstach die Schwärze und riss kleine fahle Flecken des Bodens aus der Finsternis.
Er stutzte. Es waren Knochen... haufenweise Knochen lagen umher. Orkknochen!
Entweder hatte er eine Grabkammer gefunden, in denen die Überreste der Feiglinge ohne Zeremonie und Achtung vermodern sollten, oder es hauste etwas in den Kammern und Gängen, das sich sein Volk als Mahl auserkoren hatte.
Gronsha ging vorsichtig einige Schritte in die Höhle, ließ sich auf ein Knie herab und scharrte mit dem Schwert in einem von Licht beschienenen Haufen.
Die Gebeine wiesen tatsächlich Spuren von Messern auf. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, das Fleisch abzuschaben; größere Knochen waren aufgebrochen worden, damit man an das Mark gelangte. Die Schädel waren nicht angetastet worden. Wenn er sich nicht sehr täuschte, waren die Knochen alle recht frisch. Er atmete laut aus, stand auf und witterte nach allen Seiten. Es war möglich, dass die Unterirdischen im wahrsten Sinne des Wortes das kleinere Übel gewesen waren.
Er trabte weiter, quer durch die Höhle, und vermied es aus einem unbestimmbaren Grund heraus, durch die Lichtflecke und hellen Strahlen zu laufen. Am anderen Ende angelangt, betrat er den nächsten Stollen und folgte ihm mit knurrendem Magen. Die andauernde Rennerei hatte ihn hungrig gemacht.
Seine gute Nase warnte Gronsha.
Ein bekannter Geruch sagte ihm, dass sich vor ihm Angehörige seiner Art herumtrieben, auch wenn er sie weder hörte noch sah. Irritierend fand er, dass der Duft von ranzigem Fett auf den Rüstungen ausblieb. Dann erspähte er den Feuerschein am Ende des Weges.
Da Gronsha keine Lust hatte, von übereifrigen Wachen mit Pfeilen gespickt zu werden, gab er sich keine Mühe, besonders leise zu sein. »Ho«, rief er den Stollen entlang, und der Fels trug seine kräftige, dunkle Stimme nun wie durch einen Trichter weiter. »Ich bin ein Ork! Aus Toboribor! Ich brauche eure Hilfe gegen die Unterirdischen, Brüder!«
Zwei große, breit gebaute Umrisse traten in den Stollen und verdunkelten die Helligkeit der Flammen. Der vage bekannte Duft verstärkte sich, ihre Schatten flogen den Gang entlang auf ihn zu. Noch erkannte er keine Einzelheiten, aber was den Wuchs anbelangte, standen die Orks aus dem Jenseitigen Land denen aus dem Süden des Geborgenen Landes in nichts nach.
Sie kamen auf ihn zu, die schlanken Speere mit den bösartigen Widerhaken am Ende gesenkt. Gronsha schätzte, dass die dünnen Metallhäkchen unter zu viel Druck einfach vom Blatt abrissen und im Körper des Opfers stecken blieben. Die Waffe flößte ihm Respekt ein.
Ein Dritter eilte mit einer Blendlaterne herbei und richtete deren Schein auf ihn.
Bald standen sie vor ihm, einer von ihnen war ein Weibchen, was Gronsha verwunderte. Nicht nur, weil sie mit den zahlreichen Ringen in den Ohrmuscheln und der ungewohnt schlanken Nase sofort seine Gier weckte, sondern weil sie sich dem Stand der Krieger angeschlossen hatte. Das kannte er aus Toboribor nicht. Weiber sollten sich um die Bälger und das Essen sorgen. Und um Krieger wie ihn, auf der Stelle.
»Lass deine Hände ruhig«, befahl sie ihm mit rauchiger Stimme. Die Lanzenspitze legte sich an seine Kehle und dirigierte ihn an die Wand. »Bleib so. Bruder.« Die beiden Orks lachten.
Gronsha wunderte sich über die Rüstungen und Helme, welche sie trugen. Sie verzichteten tatsächlich auf die rettende Schmiere auf den Panzern! So würden sie kein Gefecht gewinnen. Er fand es dumm, dem Gegner die Arbeit zu erleichtern. Überhaupt wirkten sie sauber. Zumindest viel, viel sauberer als er. Ungesund sauber. Sein Neid erwachte. Ohne Zweifel stammten die Rüstungen aus einer orkischen Schmiede. Die Güte des Metalls und des Handwerks stand jedoch bei weitem über dem Werk des besten Schmieds von Fürst Ushnotz. Vielleicht verzichteten sie deshalb auf den Talg?
»Ich bin Gronsha. Bringt mich zu eurem Fürsten«, verlangte er gebieterisch und reckte sich. »Es kann sein, dass ich verfolgt werde. Besser, ihr seid wachsam.«
Das Weibchen schaute den Gang hinauf, aus dem er gekommen war, und sandte die beiden Krieger aus, um nachzuschauen. »Du stammst aus... woher?«
»Toboribor.«
»Toboribor?« Sie sah ihn nicht einmal an, sondern beobachtete, was sich im Stollen tat. »Was soll das sein?« »Was das sein soll?«, grunzte Gronsha empört und verwundert zugleich. »Das ist ein mächtiges Orkreich, weit im Süden des Geborgenen Landes.«
Nun schenkte sie ihm doch einen Blick. Der Ausdruck in ihren rosafarbenen Augen schwankte zwischen Gleichgültigkeit und Spott. »Ein Orkreich? Das ist doch einmal eine frohe Kunde. Wenn es im Süden liegt, was machst du dann im Norden?« Ihr Akzent schmerzte ihn, sie sprach zu deutlich und zu betont. Überheblich war der bessere Begriff. »Hast du dich verlaufen?«
»Ich befehlige die Truppen von Fürst Ushnotz, der über Tobori bor gebietet. Ich bin hier, um nach Freunden zu suchen, die uns gegen die Unterirdischen helfen...«, log er ein wenig und sah an ihren Zügen, dass sie ihn nicht verstand. »Du weißt nicht, was die Unterirdischen sind?« Es wurde immer verworrener. »Oh, dann seid ihr von Tion und Samusin gesegnet, wenn es diese Pest mit Axt bei euch nicht gibt«, schnaubte er. Er hielt die Hand in Höhe seiner Hüfte. »So groß, ohne ihren Helm. Wir nennen sie Bartgesichter und Felsläuse, und meistens...«