Es funktionierte. »Du bist einfach der schlaueste Zwerg, den ich kenne«, jubelte Ingrimmsch. Nachdem Tungdil drei dünne Lagen aufgebracht hatte, waren die unansehnlichen Stellen übertüncht. Ein oberflächlicher Betrachter würde nicht bemerken, dass es sich um einen Betrug handelte.
»So, das müsste genügen«, atmete Tungdil erleichtert auf. »Sobald wir Älandur verlassen haben, sende ich Fürst Liütasil ein Schreiben mit einer Entschuldigung. Du wirst dann persönlich vor ihm erscheinen und um Nachsicht bitten«, entschied er. Sein Freund nickte. »Also, zu den Ponys.«
Die beiden Zwerge fanden ohne Schwierigkeiten zu ihrer Unterkunft. Von dort ging es zu den Stallungen und schnurstracks auf den Pfad in Richtung Stollen. Erst als sie im Morgengrauen die Grenze Älandurs überschritten und die Hufe der Ponys Gauragar betraten, fiel die Anspannung von ihnen ab.
Niemand war ihnen gefolgt.
Das Geborgene Land, Königinnenreich Weyurn, Mifurdania 6241. Sonnenzyklus, Spätfrühling.
Nachdem sich Rodario und Tassia in der Stadt noch ein wenig nach Furgas umgehört hatten, kehrten sie zu dem Rest der Truppe zurück. Gesa lief ihnen Arme schwenkend entgegen, so dass beide an ein aufgescheuchtes Huhn denken mussten. Ihr beleibter Körper befand sich in Wallung, alles unter ihrem Kleid hüpfte und sprang auf und ab; dagegen half auch das Mieder nicht.
»Herr Rodario! Endlich seid Ihr da!« Sie nahm ihn bei der Hand. »Kommt schnell. Es waren Männer da, die Euren Wohnwagen zerschlagen und den armen Reimar verprügelt haben. Wir haben die Hunde auf sie gehetzt, und da sind sie endlich verschwunden.«
»Es ist gut, Gesa. Beruhige dich.« Er tätschelte ihre Wange. Rodario hatte so etwas schon vermutet und blieb daher gelassen.
Doch der Anblick seines zerstörten Heimes traf ihn tief. Das kleine Haus auf Rädern hatte unter der rücksichtslosen Suche nach dem Schmuck ordentlich gelitten; nichts stand mehr an derselben Stelle, das Meiste war zu Bruch gegangen. Wenn er den Schlägern von Noliks Vater noch einmal begegnete, würde er ihnen zur Wiedergutmachung alles abnehmen, was sie am Leib trugen. Sogar die Unterwäsche, nur um sie ordentlich zu demütigen.
»Oh, Palandiell!«, jammerte Gesa, die am Aufgang des Wagen stehen geblieben war. »Wie schade!« Seufzend legte Rodario sich auf die zerschlitzte Matratze. »Danke, Gesa. Es ist gut. Ich werde später aufräumen.« Sie nickte und ging.
Tassia schloss die Tür und nahm die Kette aus ihrem Versteck unter den Dielen. »Sie sind zu dämlich zum Suchen«, lachte sie erleichtert und legte den Schmuck an.
»Und sie glauben, dass wir dieses Kleinod in Mifurdania verscheuert hätten«, fügte er hinzu und streckte die Arme nach ihr aus. »Komm zu mir, Königin der Schauspielerinnen, und gewähre dem Kaiser deine Gunst. Zeige dich mir in aller Pracht, bekleidet mit Gold und Edelsteinen um deinen Hals.«
Sie ließ das von der Wäscheleine erbeutete Kleid von ihren Schultern rutschten und legte sich neben ihn, streichelte sein Gesicht. »Und, Kaiser der Wolllust? Wollen wir an deinem Theaterstück arbeiten?« »Oh, wie gewagt! Du möchtest einen Liebesakt auf der Bühne zeigen?«, grinste er dreckig, und sein aristokratisches Gesicht nahm ordinäre Züge an. »Damit wäre uns ein Aufenthalt im Kerker sicher. Wegen unzüchtigem Verhalten.«
Sie lächelte und kitzelte sein Bärtchen mit einer Strähne ihres blonden Haars. »Wir führen den Akt dennoch auf. Jetzt gleich und nur für uns.«
Er küsste sie in den Nacken, bald darauf ergaben sie sich dem Liebesspiel, bis sie erschöpft in die Überreste der Matratze sanken und sich mit dem, was von der Decke übrig geblieben war, gegen die Kühle schützten. Rodarios Gedanken schweiften nach der wundervollen Ablenkung wieder zu seinem verschollenen Freund und den Abenteuern des heutigen Umlaufs. »Man hat versucht, uns zu töten, brave Menschen sind gestorben, und ein Mann wurde entführt«, sagte er nachdenklich. »Und irgendwie dreht sich alles um Furgas.« Tassia nahm das dunkelgelbe Kleid an sich und schlüpfte hinein. »Weswegen? Und was will nur jemand mit dem Schmied?«
»Lambus ist ein begabter Feinschmied, wie man ihn selten findet. Er hat Neider.« Er stieg in seine Kleider und bedauerte es sehr, die Frau nicht mehr in verführerischer Blöße zu sehen. »Steckt Furgas vielleicht selbst dahinter?«, grübelte er. »Lambus wollte die Stadt nicht verlassen, sagte er uns. Was kann so dringend sein, dass Furgas ihn deswegen entführen lässt?« Er verwarf den Gedanken. Ein solches Verhalten passte nicht zu seinem Freund.
»Hattest du nicht gesagt, er hätte seine Gefährtin und seine Kinder verloren?«, fragte sie, stand auf und lehnte sich an die Tür. »Er hat wohl eine neue Liebe gefunden.«
»Ach, wegen des Kindes, das ihn begleitete?« Rodario fing an, das Durcheinander in seinem Wohnwagen zu ordnen. »Ich verstehe es nicht. Er liebte Narmora über alles.«
»Gefühle können sich ändern.«
»Sicher. Bei jedem anderen«, nickte er. »Aber nicht bei Furgas. Du kennst ihn nicht, sonst würdest du anders denken und dich ebenso wundern wie ich. Er müsste zu einem gänzlich anderen Menschen geworden sein.« »Mh.« Sie legte die Hand auf die Klinke. »Und wenn es nicht sein Kind ist? Vielleicht hat er es zu sich genommen?« Tassia lächelte ihm zu. »Ich störe dich nicht weiter beim Aufräumen und Nachdenken. Du wirst deine Ruhe haben wollen.«
»Sehr nett, wie du dich aus dem Staub machst.«
Sie lachte hinreißend. »Die Königin weiß, wann sie zu gehen hat.« Mit diesen Worten trat sie hinaus. »Tassia!«
»Ja?«
Rodario deutete auf ihren Hals. »Die Kette.«
»Oh.« Sie streichelte über den Schmuck, der die Sonnenstrahlen reflektierte und atemberaubend strahlte. »Sie fühlt sich so gut auf meiner Haut an.«
»Zieh sie nicht an, solange wir in Mifurdania sind«, bat er sie, und sie legte die Kette ab, um sie in dem bewährten Versteck zu verbergen. »Aber später wird sie ein wichtiges Requisit bei unseren Aufführungen sein.« Sie hauchte ihm eine Kusshand zu und lief hinaus. Ihm blieb die unleidige Aufgabe, in seinem kleinen Reich Ordnung zu schaffen.
Nach getaner Arbeit setzte er sich im Schein der Lampe vor seinen Wagen auf die schmalen Stiegen und schrieb an dem neuen Stück weiter.
Es ging ihm leicht von der Hand; Tassia und die heutigen Ereignisse beflügelten ihn. Alles, was sie erlebt hatten, wurde von ihm eingebracht - ein Stück voller Leidenschaft, Abenteuer und Geheimnisse.
Wie es endete, stand noch nicht fest. Dazu musste er Furgas erst finden.
Er schenkte sich Wein aus der einzigen heil gebliebenen Flasche ein, als er das Lachen von Tassia hörte. Es war ein ganz bestimmtes Lachen.
Eifersucht loderte in ihm auf. Er stellte das Glas ab und ging zum Wagen, in dem Reimar lebte. Vorsichtig stellte er sich auf die Zehenspitzen und schaute durch das kleine Fenster. Das Lachen hatte ihm einen schrecklichen Verdacht beschert, und was er sah, brachte die Gewissheit: Die Königin ging fremd. Offenbar stand ihr der Sinn heute noch nach weiteren Vergnügungen. Und Reimar, der Bär von einem Mann, tat ihr den nicht eben selbstlosen Gefallen.
Rodario kehrte zu den schmalen Stufen zurück, nahm das Glas in die Hand. Und lachte. Er lachte und lachte, bis ihm die Luft ausging und sich die ersten neugierigen Köpfe in den Fenstern der kleinen Wagen zeigten; sogar Reimar schaute, ein Tuch um die Hüften gebunden, aus der Tür. Der Schauspieler deutete auf den Mann und lachte von neuem los, kippte nach hinten und rang nach Luft.
»Schon gut, ihr lieben Leute«, winkte er den Schaulustigen zu. »Es ist nur der tägliche Abendwahn, der mich befällt, wenn ich anderen beim Liebesakt mit meiner Gemahlin zuhören muss.«
Reimar bekam einen hochroten Kopf und verschwand blitzartig, und Rodario wurde von einem weiteren Lachkrampf geschüttelt.