»Nein«, sagte Goda. »Du wirst mich unterrichten und nicht eher aufhören, bis ich dir mindestens ebenbürtig bin, wie es auch meine Urgroßmuhme getan hätte. Und dann wollen wir in einem Kampf entscheiden, wie viel deine Unterweisungen taugen.« Sie hob den Nachtstern, die Waffen berührten sich mit leisem Schaben. »In einem echten Kampf, Meister.«
Er verdrehte die Augen, stellte den Krähenschnabel auf die Erde und stützte sich mit beiden Händen auf den Kopf der Waffe. »Goda, ich mag ein guter Krieger gewesen sein, aber meine Kunst ist eingerostet. Und nur weil ich guter Krieger war, bedeutet es nicht, dass ich ein guter Lehrer bin.«
»Du kannst sagen, was du willst, Meister. Ich weiche nicht mehr von deiner Seite, bis meine Ausbildung abgeschlossen ist.« Das Gesicht der Zwergin zeigte die bekannte Entschlossenheit ihres Volkes, zu der sich noch die berühmte Halsstarrigkeit der Frauen gesellte. »Wo du hingehst, werde ich sein.«
Tatsächlich hängte sie sich an seine Fersen, als er ins Innere des Stollens ging, und folgte ihm mit einer halben Armlänge Abstand. »Du wirst mich irgendwann in Ruhe lassen, oder?«, erkundigte er sich über die Schulter. »Wenn du dich erleichtern musst, Meister«, antwortete sie, zufrieden darüber, dass ihre List gelungen war. »Wann beginnen wir mit den Übungsstunden?«
Boindil blickte wieder nach vorn, und ein breites Grinsen stahl sich in sein faltiges Gesicht. Er würde sie so sehr quälen, dass sie ihn freiwillig verließe. Damit bräche er nicht einmal seinen Eid. »Deine Lehrzeit läuft ohne Unterbrechung.« Er entdeckte einen Stapel Ersatzstützbalken, den Tungdil sauber an einer Wand des Ganges aufgetürmt hatte. »Die wirst du einen nach dem anderen vorne zum Tor tragen und sie aufschichten«, befahl er mürrisch.
»Ja, Meister.« Goda fragte nicht einmal nach dem Sinn seiner Anweisung, sondern legte Schild und Waffe zur Seite, um mit dem Schleppen zu beginnen. Ingrimmsch nahm beides an sich. »Wie kommst du darauf, dass du dich davon trennen darfst?«, fragte er sie schneidend. »Ein Zwerg lässt seine Waffe nicht irgendwo liegen. Und schon gar nicht wirft er eine Waffe weg, wenn er nur eine besitzt.« Er nickte ihr zu. »Trag das Holz weg, danach kannst du mit der Suche im Stollen beginnen.«
Sie runzelte die Stirn. »Welche Suche?«
Boindil brachte die klingenbesetzten Kugeln zum Schwingen. »Danach. Ich werde sie verstecken, und du wirst dich nicht ins Bett legen, bevor du den Nachtstern gefunden hast.« Er schritt um die Ecke. Kaum befand er sich außer Sichtweite, gluckste er leise vor sich hin. Er hörte sie aufstöhnen, als sie den ersten Balken auf die Schulter wuchtete, und freute sich diebisch über seinen gemeinen Einfall, dem noch weitere folgen würden. Innerhalb von wenigen Umläufen wäre er das Kind los.
Tungdil schlich sich ins Schlafzimmer.
Balyndis lag unter einer dicken Decke, die Augen geschlossen und das Gesicht zur Hälfte in das Kissen vergraben. Ihre Züge wirkten durch die langen, dunkelbraunen Haare kalkig weiß, sie sah wirklich schwach und krank aus.
Behutsam setzte er sich neben sie. In Gedanken formulierte er seine Sätze, die er sich bereitgelegt hatte, dann streckte er die Linke aus, um sie sanft an der Schulter zu berühren.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es ist ein Traum«, flüsterte sie. »Da kommt ein stattlicher Zwerg in mein Gemach.« Sie hob ihre Rechte, öffnete die Augen, und fasste seine Hand. »Du siehst gut aus, Tungdil Goldhand. Es ist lange her, dass ich dich so gesehen habe. Was bedeutet dein verändertes Aussehen?« »Es ist nicht nur äußerlich.« Er küsste ihre Finger. »Ich bin ein Narr gewesen. Boindil habe ich es zu verdanken, dass der Verstand zu mir zurückkehrte und ich dem Branntwein entsagte«, sagte er gedämpft und schaute in ihre braunen Augen. »Ich habe dich unter meinem Schmerz und meinen Schuldgefühlen leiden lassen und mich benommen wie ein...« Er musste schlucken.
»... wie ein sturer, blinder, trunksüchtiger, in sich gekehrter, uneinsichtiger und von seinem Gewissen zerfressener Mann«, vollendete sie erbarmungslos. »Du möchtest mir sagen, dass du auf einer Reise warst, dich mit Ingrimmsch unterhalten und dich geändert hast?« Sie wirkte verwundert und ungläubig. »Du willst dich in wenigen Umläufen gewandelt haben?«
Tungdil nickte.
»Wie ist das geschehen? Sag es mir, damit ich deinen Worten Glauben schenken kann.«
Er berichtete von den Geschehnissen am Abgrund und wie ihn der Krieger vor die Wahl gestellt hatte. »Die Mauer um meinen Verstand zerbrach, ich sah die Dinge klar wie in den letzten vier Zyklen nicht mehr. Ich kann dich nur um Verzeihung bitten«, sagte er leise. »Glaubst du mir meinen Wandel?«
Als sie die Arme um ihn schlang, weinte Tungdil. Er umarmte sie ebenfalls, drückte sie an sich und schloss die Augen. Er roch an ihren Haaren, spürte den dünnen Bartflaum an seiner Nase und ihre Wärme auf seiner Haut. Sie saßen sehr lange einfach da und hielten sich fest, genossen die Nähe des anderen, die sie endlich wieder teilten. Von ganzem Herzen teilten.
»Dass wir uns entzweit haben, ist nicht allein deine Schuld. Ich habe mich zu sehr zurückgezogen und dich allein gelassen«, gestand sie. »Es wird nicht wieder geschehen.«
»Nie wieder.«
Sie umarmte ihn, betrachtete sein Gesicht lange. »Gib mir Zeit, mich an den neuen alten Tungdil zu gewöhnen. Es ist noch zu schön, um wahr zu sein.«
»Aber es ist wahr, Balyndis«, lächelte er, dann legte sich ein Schatten auf sein Antlitz. »Du siehst krank aus«, sagte er besorgt.
»Die letzten Reste einer Erkältung«, winkte sie ab. »Es geht mir schon viel besser.« Sie küsste ihn auf die Stirn. »Ihr habt Goda schon getroffen?«
»Sie hat uns sehr überrascht. Und vor allem den armen Ingrimmsch.«
Sie grinste. »Es wird ihm nichts schaden, sich näher mit einer Zwergin beschäftigen zu müssen.« Tungdil machte große Augen. »Du wusstest von ihrem Unterfangen?«
»Ich habe ihr dazu geraten.«
»Was?«
Balyndis schmunzelte und setzte sich weiter nach hinten, um die Kissen als Stütze im Kreuz zu haben. »Als sie beim mir erschien und um eine Unterkunft bat, wusste ich nicht, wen ich vor mir hatte. Wir unterhielten uns an jenem ersten Abend lange, und ich erfuhr, dass sie bereits im Blauen Gebirge gewesen war. Sie hatte gehofft, dich hier zu finden, damit du ihr sagen kannst, wo sich Boindil aufhält. Die Zweiten wollten es ihr nicht verraten.«
»Du hast ihm ein Kind auf den Hals gehetzt und keine Zwergin.«
»Sie ist vierundvierzig Zyklen alt. Man sieht schon allein an ihrer Statur, dass sie kein Kind mehr ist«, widersprach Balyndis belustigt. »Ingrimmsch wird ihre weiblichen Reize bald entdecken.« »Es ist eine Verwandte der Zwergin, die er erschlagen hat. So etwas wie Romantik wird sich zwischen den beiden sicherlich nicht einfinden«, hielt Tungdil dagegen. »Was für ein Vorhaben verfolgte sie zuerst, bevor du ihr deinen Plan schmackhaft machtest?«
»Sie wollte Boindil töten.«
Tungdil stand auf, öffnete die Schnallen seines Kettenhemdes und ließ es zu Boden gleiten. Sorgsam hing er es auf den Ständer neben der Tür. »Es wäre ihr nicht geglückt. Das kann sich ändern, wenn er mit ihrer Ausbildung fertig ist.« Er streifte das Ledergewand ab und stand in Hemd, Lederhose und Stiefeln vor ihr. »Sie ist eine Dritte, Balyndis. Sie wird das Kriegerhandwerk bald besser beherrschen als er. Willst du seinen Tod?« Sie faltete die Hände und legte sie auf die Decke. »So weit wird es nicht kommen.«
»Und warum?« Er kehrte zu ihr zurück. »Sag mir, was dich so sicher macht.«
Balyndis zuckte mit den Achseln und küsste ihn wieder, dieses Mal auf die Nasenspitze. »Ich kann es dir nicht sagen«, gestand sie. »Nenn es einfach Eingebung.«
»Ihr Frauen und eure Eingebungen«, murmelte er und gab es auf. »Beten wir zu Vraccas, dass es so kommt, wie du es fühlst.« Er schaute zu seiner Rüstung. »Hast du schon gehört, was im Geborgenen Land vor sich geht?« Als sie den Kopf schüttelte, fasste er rasch zusammen, was er und Ingrimmsch bei seinen Abenteuern erlebt und gehört hatten. »Du bist dir sicher, dass Goda in Wirklichkeit nicht hinter dem Diamanten her ist? Was sagt deine Eingebung dazu?« »Es waren schöne Zeiten, als man einem Kind des Schmieds begegnete und man keinen Gedanken an die Aufrichtigkeit seiner Worte und seiner Taten verschwenden musste«, stöhnte sie. »Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber ich habe sie in den Umläufen, seit sie hier ist, bei nichts überrascht, das verdächtig aussah.« Sie strich ihm über das bärtige Kinn. »Der Stein ist noch genau dort, wo wir ihn verborgen haben.« Er lächelte. »Ich gehe und sage ihm rasch, dass ich wieder da bin.«