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»Ich mache uns etwas zu essen. Wie ich dich und vor allem den hinreißenden Boindil kenne, habt ihr beide ordentlich Hunger.« Balyndis stand auf, warf sich ein einfaches Wollkleid über das Leinennachthemd und schlüpfte in ihre Stiefel. »Das Essen wird bald fertig sein, also rede nicht zu lange mit deinem Schatz.« »Mein Schatz«, zischte er und ahmte die Körperhaltung der gierigen Felsengnome nach, die Gold und alles an sich rafften, was wertvoll aussah. Dann lachte er und schritt Hand in Hand mit seiner Gemahlin aus der Kammer. Nach zwei Quergängen trennten sich ihre Wege. Tungdil nahm eine Öllampe von der Wand und begab sich in den Teil des Stollens, in dem ehemals die Famuli von Lot-Ionan untergebracht worden waren. Die meisten der zahlreichen Eichentüren befanden sich noch an ihrem Platz. Hinter ihnen hatten die angehenden Magi ihre Lektionen erhalten und davon geträumt, eines Tages das Zauberreich von Lot-Ionan erben zu dürfen. Jetzt gab es nichts mehr von alledem. Keine Magie, keine Zauberreiche. Keinen Lot-Ionan. Tungdil betrat das Laboratorium.

In diesem Raum hatte er einen üblen Streich erlebt, bei dem ein Großteil der Einrichtung - und zwar nicht durch seine Schuld - in Flammen aufgegangen war. Die Fläschchen mit den Elixieren, die Tiegel mit den Balsamen, die Röhrchen mit Extrakten und Essenzen, der gesamte teure Vorrat für die unterschiedlichsten Experimente hatte sich zu einer gefährlichen Masse vermischt. Nach einer gewaltigen Explosion war fast nichts mehr von den Apparaturen, Regalen, Tischen und Bänken geblieben. Und so sah es noch immer aus. Er schritt über knirschende Splitter und knackende Tonfragmente bis zu dem großen Haufen Glasschutt, der einst eine sehr teuere Gerätschaft zur Destillierung gewesen war. Vor der Explosion.

Der Zwerg bückte sich, wühlte ein wenig darin herum. Er fand den Diamanten erst nach längerem Suchen; die glitzernden Trümmer machten ihn schier unsichtbar. Wer ihn nicht im Abfall vermutete, würde ihn niemals finden.

Tungdil erfreute sich an dem kalten Feuer, das in den Facetten aufloderte und sein Herz bezauberte. Er drehte ihn hin und her, damit sich das Licht der Lampe besser brach und Reflexionen an die düsteren Wände warf. Immer wenn er den Stein in der Hand hielt, wartete er darauf, dass ihm das Kleinod auf irgendeine Weise zeigte, ob es ein Diamant oder das mächtigste magische Artefakt des Geborgenen Landes war.

Und wie immer wartete er vergebens. Er legte den Stein zurück in den kleinen Glasscherbenberg und schob ihn nach unten.

Das Geborgene Land, Königreich der Vierten, Braunes Gebirge 6241. Sonnenzyklus, Frühsommer.

Ein gellender Pfiff dröhnte durch den breiten Schacht nach oben, gleich darauf bimmelte das Glöckchen im so genannten Förderwerk. Der Raum wurde von einer streng durchdachten Abfolge aus Winden, Zahn- und Schwungrädern sowie Gewichten in allen möglichen Größen bis auf eine Nische vollständig ausgefüllt. In dieser Nische war der Platz des Hebemeisters.

Ingbar Onyxauge aus dem Clan der Steinwender, der seinen verantwortungsvollen Dienst versah, hatte das Signal verstanden. »Es geht los!«, schrie er hinab.

Seine Hände bedienten nacheinander verschiedene zwergengroße Hebel aus Eisen und lösten damit die Bremskeile zwischen den Rollen und Rädern; schnurrend setzte sich die befreite Maschinerie in Bewegung.

Die rotierenden Teile der Konstruktion entfachten einen nach Öl und Schmierfett riechenden Luftzug, die Kraft der Gewichte an den Ketten zog den Lastenaufzug nach oben, ohne dass ein Zwerg seine Muskelkraft vergeudete. Auf diese Art wurden vierzig Zentner mühelos gehievt.

Ingbar schloss die Augen und lauschte auf die Klänge, dann nahm er sich seine Ölkanne und gab an manchen Stellen etwas auf die surrenden Räder. Er hasste es, wenn Metall auf Metall rieb, der Verschleiß war einfach zu hoch.

Plötzlich erklang ein Geräusch, welches der Hebemeister noch nie in einer seiner Schichten zu Gehör bekommen hatte, und das Förderwerk stand still.

»Was soll denn das?«, grummelte er und kontrollierte eilig die anfälligsten Teile des Aufzugs, ohne jedoch etwas zu entdecken. Die Zahnräder waren heil, die Ketten intakt und die Winden nicht aus ihren Aufhängungen gesprungen.

Ingbar ging zum Schacht. Ganz weit unten erkannte er einen schwachen Lichtschimmer, der vom Förderkorb stammte. Sicherlich betrug die Entfernung noch fünfzig Schritte. »He, ihr da unten! Hat sich der Flaschenzug bei euch verkeilt?«, brüllte er in die Tiefe.

Zur Antwort läutete das kleine Glöckchen Sturm. Es überschlug sich mehrmals, bimmelte grell und laut und schmerzte in den Ohren, bis die Schnur abriss und es verstummte.

»Ho, was macht ihr denn?«, rief er besorgt.

Ein Ruck durchlief die Kette, sie entspannte und spannte sich gleich darauf wieder; das Eisen ächzte auf, weil die Belastung anstieg.

»Seid ihr verrückt geworden? Tanzt ihr im Korb?« Ingbar starrte auf das Förderwerk, das sich langsam rückwärts bewegte und den Aufzug absenkte. Er rannte zurück zu den Hebeln und ließ die Bremsen einrasten. »Ihr habt euch überladen!«, rief er. »Schafft den Schutt raus, sonst kann euch das...«

Knirschend brach die erste Bremse. Mit hellem Klirren zersprangen daraufhin die übrigen Haltebolzen einer nach dem anderen und flogen als scharfkantige Geschosse umher. Einer davon bohrte sich durch das Kettenhemd in den Oberschenkel des Hebe meisters. Langsam wickelte sich die Kette ab und sandte den Aufzug mitsamt den Insassen zurück in die Tiefe. »Verfluchter...« Ingbar hielt sich die frische Wunde. Zum Verbinden war später Zeit, nun galt es zu verhindern, dass die Arbeiter in den Tod stürzten.

Er humpelte zu den Rampen, auf denen die zusätzlichen Gegengewichte gelagert wurden. Bei besonders schweren Lasten konnten sie den eigentlichen Winden angehängt werden, allerdings war noch niemals versucht worden, dieses Kunststück im laufenden Betrieb zu vollbringen.

Ingbar kannte das Förderwerk sehr genau, wusste um seine Eigenheiten und Tücken. Er verband die Aufhängung der Zusatzgewichte mit einer langen Kette, befestigte einen massiven Haken daran und steckte ihn in die Notschelle einer noch langsam rotierenden Winde.

Der Haken griff. Die Kette spannte sich klirrend und zog die neuen Gewichte zu sich heran. Durch die vielen Tonnen zusätzlichen Ballast verringerte sich das Abrollen der Ketten, bis das Förderwerk zum Stehen gelangte. »Alles in Ordnung bei euch?«, rief er in den Schacht hinab. Der Korb mit den Arbeitern befand sich, wenn er die Markierungen auf den Ketten richtig ablas, auf einhundert Schritt. Sie hatten genau vor einem Zugangsstollen angehalten. »Gut«, brüllte er. »Ladet den Schutt ab, oder ein paar von euch müssen aussteigen. Sonst bewegt sich nichts mehr.«

Er wartete eine Weile, bis er sicher war, dass sie seinen Anweisungen gefolgt waren, dann hakte er die Gegengewichte aus und schob das Förderwerk an, damit der Aufzug endlich nach oben gelangte. Damit er ihn bremsen konnte, nahm er sich eine lange Eisenstange und setzte sie beim kleinsten Zahnrad als Widerstand an; bei der Ankunft des Korbes blockierte er es vollständig. Die Fahrt nach oben war gelungen. »Das war knapp.« Ingbar wunderte sich, dass die Lichter verloschen waren. Die spärlichen Lampen des Raumes genügten nicht, um das Innere auszuleuchten. Ratternd öffnete sich die eiserne Tür. »Ich werde den Schacht stilllegen müssen, bis die Bremsen ausgetauscht sind. Was habt ihr...« Der Anblick verschlug ihm die Sprache. Riesige Gestalten traten aus dem Aufzug hervor. Sie waren bis zu den Zähnen gerüstet, trugen eiserne Streitkolben und Schilde mit unbekannten Zeichen darauf. Aber ein Blick auf die groben Gesichter mit den hervorspringenden Hauern genügte dem Zwerg, um zu wissen, wer sich ihm näherte: Orks! »Zu den Waffen!«, schrie er und zog sein Beil. »Grünhäute!« Ehe er sich versah, flog etwas heran und traf ihn gegen die Stirn, sodass er in sich zusammensackte. Benommen bildete er sich ein, dass sich ein Ork mit rosafarbenen Augen über ihn beugte, seinen Schädel befingerte und wieder verschwand... Als Ingbar wieder zu sich kam, lag er immer noch in dem Raum. Er hörte das Rattern der Ketten. Stöhnend richtete er sich auf und betastete die Beule an seinem Kopf; neben ihm lag ein runder Stein. Die Orks hatten ihn für tot gehalten, anders vermochte er sich nicht zu erklären, warum sie von ihm abgelassen hatten. Gewöhnlich ließen sie keine lebendigen Zwerge zurück.