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»Ein stürmischer erster Tag, den wir in der Neuen Welt erleben«, sagte Jacob und klopfte den Schmutz von seiner Kleidung.

Martin tat es ihm nach. »Ja, man wünscht sich fast die ruhigen Tage auf See zurück.«

»Wenn es da nicht auch unruhige Tage gegeben hätte«, wandte Irene ein.

Die beiden Männer nickten und dachten an die heftigen Stürme, denen die ALBANY fast hilflos ausgeliefert gewesen war.

Der junge Ober näherte sich und bedankte sich überschwenglich für die Hilfe. Ein etwa dreißig Jahre älterer Mann, der ihm ansonsten wie aus dem Gesicht geschnitten war, trat neben ihn und schüttelte den beiden Auswanderern die Hand.

»Ich bin Albert Mandel, und mir gehört das Lokal. Haben Sie vielen Dank, daß Sie meinem Sohn Peter beigestanden haben.«

»Haben Sie die Polizei benachrichtigt?« fragte Jacob.

Mandel nickte. »Sofort, als mir die junge Dame« - er sah Irene an - »von der Auseinandersetzung berichtete.«

»Dann müssen wir uns bei Ihnen bedanken«, sagte Jacob. »Dieser Joe hätte uns noch ganz schön zu schaffen gemacht. Er hat das Gemüt und die Schmerzempfindlichkeit eines Kriegsschiffes.«

»Ja, seit er mit seiner Bande Klein-Deutschland unsicher macht, leben alle Wirte in Angst und Schrecken.«

»Warum unternehmen Sie nichts gegen diese Hitzköpfe?« wollte Martin wissen.

Mandels Blick verdüsterte sich plötzlich und fiel auf die Menschen vor dem Eingang des Biergartens. »Reden wir lieber drinnen weiter. Sie drei sind selbstverständlich meine Gäste.«

Er führte sie ins Lokal, das eine gemütliche Wirtsstube in Deutschland hätte sein können. An den Wänden hingen Landschaftsbilder aus der Heimat sowie die ausgestopften Köpfe eines Hirsches und eines Bären.

Sie nahmen an einem abgelegenen Ecktisch Platz, den Mandel mit Bier, Wein, Wasser und einem Teller mit Schmalzbroten füllte. Dann setzte er sich zu ihnen, während sein Sohn, der sich gesäubert hatte, damit beschäftigt war, die anderen Gäste zu bedienen, die jetzt zahlreich hereinströmten. Offenbar trieb sie die Neugier an, mehr über den Zwischenfall zu erfahren; Peter Mandel sah sich allerhand Fragen ausgesetzt.

»Sie sind neu in New York, gerade erst vom Schiff gekommen, nicht wahr?« fragte Albert Mandel. »Ich sehe es an Ihren neugierigen Gesichtern und dem Gepäck, das Sie mit sich herumschleppen.«

Als seine drei Gäste bejahten, fragte er: »Dann sind Sie vielleicht auf Arbeitssuche?«

»Ja«, sagte Martin schnell und wurde, wie auch seine Freunde, hellhörig.

»Ich brauche einen kräftigen Mann, der mir im Lokal hilft. Erst habe ich an eine weibliche Bedienung gedacht, weil ein Frauenrock die männliche Kundschaft anzieht. Aber die heutige Erfahrung zeigt mir, daß ich einen Kerl benötige, der in der Not auch seine Fäuste zu gebrauchen weiß.« Er sah Martin an, der zwar ein wenig kleiner als Jacob war, aber dadurch massiger und kräftiger wirkte. »Sie scheinen mir so ein Kerl zu sein. Wäre das etwas für Sie?«

Martin zog die Stirn in Falten. »Arbeit suche ich schon. Aber so etwas habe ich noch nie gemacht.«

»Mit den Fäusten können Sie umgehen, das haben Sie vorhin bewiesen. Ein paar Bestellungen aufnehmen und das Bestellte an die Tische bringen, das lernt sich schnell. Für den Anfang zahle ich zwölf Dollar im Monat; das ist bestimmt kein schlechter Lohn. Zudem hätten Sie Essen und Schlafen frei. Wie ist es, schlagen Sie ein?«

Zweifelnd schaute Martin zu Jacob und Irene. »Aber was ist mit meinen Freunden? Sie sind auch ohne Arbeit.«

»Mehr als einen von euch kann ich leider nicht bezahlen.«

Als Jacob und Irene ihm zuredeten, nahm Martin die angebotene Stelle an.

»Weshalb haben Sie solche Angst vor den Iren, Herr Mandel?« fragte Jacob. »Hält die Polizei die Burschen nicht im Zaum?«

»Die Polizei?« Der Wirt winkte ab. »Pah, wenn ich mich auf die verlassen wollte! Ein Wunder, daß sie vorhin so schnell gekommen ist. Wahrscheinlich sind die vier Hitzköpfe bereits wieder auf freiem Fuß. Viele der New Yorker Polizisten sind selbst irischer Abstammung. Wir Deutschen dagegen sind zur Zeit nicht sehr beliebt hier in den Staaten.«

»Warum nicht?« fragte Irene, über Mandels Mitteilung ein wenig erschrocken. »Haben wir den Amerikanern etwas getan?«

»Sie tun sich selbst etwas, indem sie sich seit zwei Jahren gegenseitig an die Gurgel fahren. Der Norden und der Süden kämpfen gegeneinander. Aber hier in New York, wo es keine rebellischen Südstaatler gibt, halten sich die Leute eben an uns Deutsche. Fremd ist fremd, und jeder Fremde ist ein Feind, denken einige wohl. Natürlich gibt es auch Deutsche, die für den Süden kämpfen. Aber genauso gibt es viele Deutsche, die für den Norden eintreten. Allein in New York sind mehrere Regimenter aufgestellt worden, die ausschließlich aus Deutschen bestehen. Ernst, mein Ältester, dient in einem von ihnen als Corporal.«

»Dann verstehe ich diese Feindseligkeit gegenüber uns Deutschen nicht«, meinte Jacob.

»Dahinter stehen, wie so oft im Leben, wirtschaftliche Interessen. Ein paar Deutsche haben Firmen in New York, die Waffen, Munition und Bekleidung für die Armee herstellen. Die englischsprechenden Unternehmer wollen das Geschäft lieber selbst machen. Sie heizen die Stimmung auf und schicken uns deutschen Geschäftsleuten Schläger wie diesen Joe O'Malley auf den Hals.«

»Warum Ihnen?«

»Man kann nicht gegen einzelne deutsche Firmen vorgehen. Also heizt man allgemein die Stimmung gegen uns an.«

»Haben die Hintermänner damit Erfolg?« fragte Jacob nach.

Mandel nickte. »Leider ja. Fast sieht es so aus, als würden die Hintermänner dieser Kampagne die Lüge nachträglich zur Wahrheit werden lassen. Natürlich wollen unsere Landsleute nicht auf ihren Waren sitzenbleiben. Ein paar sind dabei erwischt worden, wie sie ihre Waren in den Süden zu schmuggeln versuchten. Das ist Wasser auf die Mühlen der Nativisten.«

»Nativisten?« wiederholte Irene das, ihr und ihren Freunden fremde Wort.

»So nennen sich die in Amerika Geborenen, die allen Einwanderern feindselig gegenüberstehen. Es ist schon seltsam, daß ausgerechnet sie sich der Iren bedienen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die mögen sie nämlich eigentlich auch nicht, weil die Iren katholisch sind und selbst eine große Einwanderergruppe bilden. Aber die Rivalitäten zwischen irischen und deutschen Einwanderern bei der Suche nach Wohnung und Arbeit lassen sich halt gut für die Zwecke der Nativisten mißbrauchen.«

»Gibt es denn in Amerika nicht genug Wohnraum und Arbeit?« fragte Irene.

»Raum gibt es wohl genug. Allerdings ist das Land noch unerschlossen. Um dorthin zu gelangen, muß man riesige Wüsten, hohe Gebirge und reißende Ströme durchqueren. Und wenn man Pech hat, ziehen einem am Ziel die Rothäute die Kopfhaut ab. Arbeit gibt es auch genug - aber nur für Leute, die gern ein Gewehr in die Hand nehmen. Ohne Soldaten kann man keinen Krieg führen. Erst vor ein paar Wochen haben sich unsere Jungs und die Rebellen unten bei Chancelorsville in Virginia die Köpfe eingeschlagen. Unsere Armee hatte weit über achtzehntausend Tote und General Lee an die dreizehntausend.«

»Wer ist General Lee?« frage Martin.

»Robert E. Lee ist der beste Feldherr des Südens. Ohne ihn hätten unsere Truppen die Rebellion längst niedergeschlagen.«

»Überallhin müssen die Menschen ihren Krieg mitnehmen«, meinte Jacob kopfschüttelnd. »Selbst in dieses Land, wo doch Platz genug sein müßte für alle. Ich habe jedenfalls nicht vor, Soldat zu werden und mir mein Brot mit der Waffe in der Hand zu verdienen.«

»Das haben Sie auch nicht nötig«, sagte ein Mann, der leise an den Tisch getreten war. »Ihre Hände sind Ihre Waffen, wie Sie vorhin draußen eindrucksvoll demonstriert haben.«