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Die Gesichter der Menschen am Tisch wandten sich dem auffallend gut gekleideten Sprecher zu. Der schlanke Mittdreißiger war ein wenig mehr als mittelgroß, hatte dunkles, leicht gewelltes und sorgfältig gescheiteltes Haar und ein herbes, aber durchaus gutaussehendes Gesicht. Er trug einen hellgrauen Anzug über einer goldbestickten Weste.

»Wollen Sie mich Ihren Gästen nicht vorstellen, Herr Mandel?« fragte er, aber es klang mehr wie eine Aufforderung.

»Das ist Max Quidor«, sagte Mandel. »Ihm gehört das Golden Atlantic, der größte Vergnügungspalast in Klein-

Deutschland.«

»Und einer der größten in ganz New York«, fügte der elegante Mann hinzu. Er sah Jacob an. »Dafür könnte ich Sie gut gebrauchen.«

Jacob war überrascht. »Mich? Ich bin Zimmermann von Beruf.«

»Ich bin nicht an Ihrem Handwerk interessiert, sondern an Ihren Fäusten. Ich habe Sie vorhin bei der Auseinandersetzung beobachtet. Sie sind ein guter Kämpfer. Selten habe ich bei einem Mann einen so harten Schlag gesehen wie bei Ihnen. Vielleicht fehlt Ihnen noch ein wenig Technik, aber das läßt sich rasch lernen. Sam Rockwood ist ein guter Trainer.«

»Ich verstehe nicht, was Sie von mir wollen, Herr Quidor«, sagte Jacob.

»Ich will, daß Sie für mich boxen.«

»Boxen?«

»Ja. Haben Sie denn noch nie von diesem Sport gehört?«

»Doch, gehört schon. Aber ich habe keine Ahnung davon.«

Quidor lachte und sah auf Jacobs Hände. »Und ob Sie die haben! Wollen Sie es nicht mal versuchen?«

»Kann man denn dabei Geld verdienen?«

Wieder lachte Quidor. »Morgen abend findet ein Kampf im Golden Atlantic statt. Der Sieger erhält eine Prämie von fünfzig Dollar. Wenn Sie wollen, können Sie für mich antreten.«

»Fünfzig Dollar«, sagte Jacob nachdenklich und überlegte sich, daß Martin dafür mehr als vier Monate arbeiten mußte. Und er sollte das an einem einzigen Abend verdienen! Selbst ein gut verdienender Zimmermann mußte daheim in Deutschland für diesen Betrag an die zwei Monate schuften.

Dann aber fiel sein Blick auf Irene, die mit dem kleinen Jacob-Martin in der Ecke saß und irgendwie besorgt aussah.

»Es tut mir leid, Herr Quidor, aber es geht nicht.«

Dem eleganten Geschäftsmann war Jacobs Blick nicht entgangen.

»Ihre Familie können Sie natürlich mitnehmen.«

Jacob klärte ihn darüber auf, daß es nicht seine Familie war, daß er sich aber gleichwohl für Mutter und Kind verantwortlich fühlte und sie nicht in der fremden Stadt allein lassen konnte, ohne Unterkunft und ohne Arbeit.

Quidor lächelte. »Fräulein Sommer kann mit ihrem Kind so lange kostenlos bei mir wohnen, bis sie eine Anstellung gefunden hat.«

Jetzt stand Jacobs Zusage nichts mehr im Weg, und er schlug ein. Je schneller er Geld verdiente, desto eher konnte er sich auf die Suche nach seiner Familie machen.

»Dann wollen wir aufbrechen«, schlug Quidor vor. »Sam Rockwood wird jede Minute benötigen, um Sie auf den morgigen Kampf vorzubereiten.«

Zwei Männer erhoben sich von einem anderen Tisch und brachten ihm einen Stock mit silbernem Knauf und einen niedrigen Zylinder, dessen graue Farbe hervorragend zu Quidors Anzug paßte.

Die beiden großen Männer trugen ebenfalls saubere Anzüge, wenn auch nicht aus so teurem Stoff wie der Quidors. Ihre Kleidung war dunkler, und auf den Köpfen hatten sie englische Bowler-Hüte. Jeder trug an der rechten Hüfte einen Revolver in einem Lederholster. Einer von ihnen, mit dunklen Haaren und einer kreuzförmigen Narbe auf der Stirn, hörte auf den Namen Tom. Der andere war hellblond und hieß Henry. Für Jacob war sofort klar, daß es sich um eine Art Leibwächter handelte. Er dachte sich nichts weiter dabei. Nach allem, was Albert Mandel erzählt hatte, mußte ein deutscher Geschäftsmann in New York gut auf sich aufpassen.

Jacob und Irene verabschiedeten sich von Martin und den Mandels und gingen mit Quidor hinaus. Henry winkte eine Mietdroschke heran und lud das Gepäck der beiden Deutschen aufs Dach. Dann setzte sich die Kutsche mit den fünf Insassen in Bewegung.

»Wenn das nur gutgeht«, sagte Albert Mandel leise, aber Martin hatte es doch gehört.

*

»Was haben Sie damit gemeint, Herr Mandel?« fragte Martin, während er der Droschke nachsah, die allmählich im Verkehrsgewühl der Avenue A verschwand.

»Ich traue diesem Max Quidor nicht so ganz«, antwortete der Wirt leise. »Er kommt aus dem Rattennest. Und wer mit Ratten verkehrt, wird leicht selbst zu einer.«

»Das Rattennest?«

»So wird der Teil von Klein-Deutschland genannt, der an die Bowery grenzt, weil dort viele Ratten in Menschengestalt ihr Unwesen treiben. Dort gibt es jede Menge Amüsierlokale, denen allen eines gemein ist: Sie sind nur dazu da, den Menschen ihr schwer verdientes Geld aus den Taschen zu ziehen. Quidor betreibt die größte dieser Vergnügungsstätten.«

Martin sah seinen neuen Arbeitgeber zweifelnd an. »Sie meinen, er ist damit auch die größte Ratte?«

Das Thema war dem Wirt offensichtlich unangenehm. »Wer weiß das schon.«

»Wenn Sie Quidor nicht für astrein halten, weshalb haben Sie Jacob und Irene nicht vor ihm gewarnt?«

»Was hätte ich denn sagen können? Nichts Konkretes jedenfalls. Außerdem muß man bei Quidor sehr vorsichtig sein. Die beiden Leibwächter sind nur ein Teil seiner kleinen Privatarmee. Und er hat mächtige Freunde, die ihm verbunden sind, weil sie sich in seinen Etablissements austoben können.«

»Etablissements? Er hat mehrere?«

Mandel nickte. »Das Golden Atlantic ist ein riesiger Kasten, wo gespielt, gesungen und getanzt wird. Aber daneben betreibt Quidor, wie man sich erzählt, noch einige Häuser, in denen ein Mann auch seinen fleischlichen Gelüsten nachgehen kann. Offiziell sind die Häuser in anderem Besitz, aber Quidor soll der Hintermann sein.«

»Das klingt nicht gerade angenehm«, meinte Martin und beschloß, recht bald nach seinen Freunden zu sehen.

*

Die Droschke ratterte die breite, belebte Avenue A in südlicher Richtung bis zu deren Ende entlang und bog dann nach rechts auf die Houston Street ab, bis es wieder nach links auf die Christie Street ging.

Noch immer war es auf der Straße belebt, aber hier verkehrte ein anderes Publikum als am Tomkins Square. Viele der Menschen waren abgerissen, und einige sahen vom Alkohol angeschlagen aus, obwohl die Sonne noch nicht ganz untergegangen war. In Hauseingängen standen Frauen, die manchmal nur ihre Leibwäsche trugen. Eine hatte sogar ihre mächtigen Hängebrüste ganz entblößt. Viele dieser Frauen sahen noch sehr jung aus, wie halbe Kinder.

Jacob nahm das mit wachsendem Unbehagen wahr, als die Kutsche plötzlich anhielt.

»Wir sind da«, verkündete Max Quidor mit einem strahlenden Lächeln.

Seine Leibwächter stiegen aus. Henry hielt den drei anderen Passagieren die Wagentür auf, während Tom mit dem vollbärtigen Kutscher sprach und ihn bezahlte. Nachdem alle ausgestiegen waren, ratterte die Droschke davon.

»Das ist also mein Reich«, sagte Quidor und zeigte auf das große, prächtige Gebäude, vor dem sie standen. Über dem breiten Eingang war ein großes Schild angebracht, das ein blaues Meer und darauf ein golden glänzendes Dampfschiff zeigte; darüber stand in ebenfalls goldener Farbe der Schriftzug mit dem Namen des Etablissements.

»Folgen Sie mir«, sagte Quidor und wollte vorangehen, als jemand Jacob Adler von der anderen Straßenseite beim Namen rief.

Der junge Deutsche fuhr zusammen und dachte sofort an seine Familie. Wer sonst sollte ihn hier in New York kennen?

Blitzschnell wirbelte er herum und hielt nach dem Rufer Ausschau. Er war enttäuscht, als er den Mann und die Frau erkannte, die jetzt die breite, schmutzige Fahrbahn in seine Richtung überquerten.

Es waren Anton Wickert und seine Frau, die auch auf der ALBANY nach Amerika gereist waren. Bei ihrem Anblick beschlich Jacob ein beklemmendes Gefühl.