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Als sie die Kutsche erreichten, drang das Wimmern des Säuglings leise aus dem geschlossenen Verschlag.

»Was ist das?« fragte Duncan irritiert.

»Ihr Geschenk«, antwortete Quidor und zog die Tür auf.

Im Verschlag saß Tom, hielt den Säugling hoch und schaute mißmutig auf die nasse Hose seines Anzugs.

Die Falte zwischen Duncans Augen vertiefte sich noch. »Was soll das?«

»Das ist ein kleiner Junge«, erklärte Quidor.

»Das sehe ich. Aber weshalb haben Sie ihn hergebracht?«

»Um ihn Ihnen zu schenken.«

Duncan sagte nichts, sah den anderen nur an wie einen Geisteskranken.

»Ich weiß von der Fehlgeburt Ihrer Frau vor zwei Jahren«, sagte Quidor. »Es ist schon ein Jammer. Da nimmt man sich so eine junge Frau, damit sie einem einen Erben schenkt, und was passiert? Sie erleidet eine Totgeburt, und der Arzt stellt fest, daß sie keine Kinder mehr bekommen kann. Wie man sich erzählt, ist Ihre früher so lebenslustige Gattin seitdem sehr depressiv geworden. Das Verhältnis zwischen Ihnen beiden soll auch nicht mehr so gut sein wie zu Beginn Ihrer Ehe. Vielleicht liegt das...«

»Ich habe genug von Ihrem geschmacklosen Geschwätz!« fuhr Duncan dazwischen. »Meine Ehe geht Sie überhaupt nichts an!«

Er wollte sich zum Gehen umdrehen, aber Quidor hielt ihn zurück.

»Nicht so schnell, Mr. Duncan! Ich will Ihnen doch helfen. Mit diesem Kind hier könnte alles anders werden. Ihre Frau hätte eine Aufgabe und Sie einen Erben.«

Duncan betrachtete den Säugling zweifelnd und schüttelte dann leicht den Kopf. »Ich werde mich doch nicht mit dem Kind von einer Ihrer Huren abgeben, Quidor!«

Der Mann aus Dutchtown grinste. »Wenn es der Sohn einer meiner Huren wäre, könnte es sehr gut Ihr eigen Fleisch und Blut sein, Mr. Duncan.«

Der Großindustrielle erbleichte. Diese Vorstellung erzeugte in ihm sichtliches Unbehagen.

»Keine Angst. Der Kleine ist weder Ihr Kind noch das einer Hure. Eine junge Deutsche, die heute mit dem Schiff in New York ankam, hat es auf See zur Welt gebracht. Es hat keinen Vater, und das arme Ding kann nicht für das Kind sorgen. Deshalb habe ich es übernommen, eine gute Familie für den Kleinen zu finden.«

»Ihre Fürsorglichkeit bricht mir noch das Herz, Quidor. Der Herr im Himmel und Satan in der Hölle wissen, daß Mitgefühl noch niemals die Triebfeder Ihres Handelns war.«

»Sie kennen mich gut«, sagte Quidor und nahm seinem Leibwächter das Kind ab, um es Duncan hinzuhalten. »Was ist jetzt, Mr. Duncan? Nehmen Sie das Geschenk an?«

»Es gibt Waisenhäuser genug in New York, in denen Kinder zur Adoption angeboten werden.«

»Adoption? Überlegen Sie sich einmal, welche Schwierigkeiten Ihr Sohn später haben wird, sein Erbe anzutreten. Jeder, der mit Ihnen auch nur um zehn Ecken herum verwandt ist, wird versuchen, die Erbschaft eines adoptierten Kindes anzufechten, um an Ihr Vermögen zu kommen.« Quidor hielt den Säugling hoch. »Aber das hier wird Ihr Kind sein, Mr. Duncan. Ihre Frau und Sie müssen sich nur einig sein, daß es Ihr leibliches Kind ist.«

»Aber der Arzt hat gesagt, meine Frau kann keine Kinder mehr bekommen.«

»Was gilt schon das Wort eines Arztes? Jeder weiß, daß Ärzte sich fast so häufig irren wie Wetterpropheten. Außerdem wird es niemand wagen, das Wort von James Frederick Duncan anzuzweifeln. Fahren Sie mit Ihrer Frau für ein paar Wochen aufs Land, und kehren Sie dann mit dem Kleinen zurück. Ein strammer Bursche, werden alle sagen, dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.«

In Duncans Kopf arbeitete es fieberhaft. Je länger er sich mit dieser Vorstellung beschäftigte, desto mehr gefiel sie ihm. Zögernd streckte er die Hände nach dem Kind aus, nahm sie dann aber zurück.

»Was haben Sie, Mr. Duncan? Es ist ein einmaliges Angebot. Weshalb greifen Sie nicht zu?«

Der Großindustrielle sah den Mann mit dem Kind mißtrauisch an. »Sie machen keine Geschenke, Quidor. Was verlangen Sie im Gegenzug von mir?«

»Nur das, über das wir schon mehrfach gesprochen haben. Sie müssen im Stadtrat ein wenig Ihre schützende Hand über Dutchtown und besonders über das Vergnügungsviertel halten.

Mehr will ich nicht von Ihnen. Das dürfte Sie keine großen Mühen kosten.«

»Damit sind wir quitt, und Sie behelligen mich nicht mehr?«

Quidor nickte. »So soll es sein.«

Wieder streckte Duncan die Hände nach dem noch immer weinenden Kind aus, und diesmal nahm er es in seine Arme.

»Wie heißt es denn?«

»Geben Sie ihm einen Namen«, sagte Quidor. »Wie wäre es mit James Frederick Duncan II?«

Er lachte und stieg zu Tom in den Wagen.

»Alles Gute zur Vaterschaft, Mr. Duncan«, sagte er, noch immer lachend, und zog die Tür zu.

Henry ließ die Kutsche anfahren, wendete auf dem Hamilton Square und lenkte das Gespann die Fifth Avenue hinunter, downtown.

James Duncan stand vor der Einfahrt seines Anwesens, das Kind in den Armen, und sah dem Gefährt hinterher, bis es zwischen den vielen anderen Fuhrwerken verschwunden war.

Max Quidor freute sich über den abgeschlossenen Handel, von dem er sich noch viele Vorteile versprach. Ab jetzt hatte er den mächtigen Mr. Duncan in der Hand. Und das für einen so lächerlich geringen Preis wie dieses Balg, das ihn keinen Cent gekostet hatte.

*

Irene lag auf dem kalten Fußboden des dunklen Kellerraumes und weinte. Sie wußte nicht, wie lange schon. Schlaf konnte sie nicht finden. Ein Gedanke hielt sie wach. Der Gedanke, von dem sie ganz und gar beherrscht wurde: Was war mit JacobMartin geschehen?

Sie hörte nicht einmal, daß die Tür aufgeschlossen wurde und jemand in den finsteren Raum trat. Erst der Schein der Kerze, der das Zimmer erhellte, riß sie aus ihrem Weinkrampf.

Im Licht der Kerze erschien ihr die weiße Gestalt, die vor ihr stand, erst wie ein Engel. Aber es war eine Frau in einem weißen, tiefausgeschnittenen Kleid. Sie war nicht mehr ganz jung, aber schön. Mit dunklem, lockigem Haar, das in einer kunstvollen Frisur über ihre Schultern fiel. Hohe Wangenknochen und eine leicht gebogene Nase über vollen, sinnlichen Lippen dominierten das schmale Gesicht.

Die Frau sagte kein Wort, stand einfach nur da und betrachtete Irene. Fast wirkte sie wie ein Geist.

»Wer sind Sie?« fragte Irene, als sie ihre Tränen wieder unter Kontrolle hatte. »Was wollen Sie von mir?«

»Ich bin gekommen, um dich anzusehen«, sagte die Frau auf englisch mit einem starken Akzent, den Irene für französisch hielt.

»Um mich anzusehen? Wozu?«

»Weil ich wissen will, ob du wirklich so schön bist, wie man sagt.«

»Ich bin nicht schön«, erwiderte Irene und wischte mit einem Ärmel die Tränen aus ihrem Gesicht. »Nicht so schön wie Sie.«

»O doch, das bist du, auf deine Art. Nicht jetzt, wo du verheult bist. Aber wenn du ein schickes Kleid trägst und eine hübsche Frisur hast, dann bist du sehr schön. Max hat ein Auge für so etwas. Er hat eine gute Wahl getroffen - leider.«

Die unheimliche Besucherin seufzte und fuhr mit der freien Hand über ihr Gesicht. »Aber ich werde um ihn kämpfen! Max ist schnell für eine Frau entflammt, aber ebenso schnell ist dieses Feuer auch wieder erloschen. Dann kehrt er zu mir zurück, bestimmt! Wenn es nur nicht so schmerzen würde!«

»Was?«

»Die Zeit, wenn er bei einer anderen ist. Aber zum Schluß werde ich ihn wiederhaben. Und du wirst oben in einem Zimmer liegen, die Beine spreizen und das Geld für uns verdienen, für Max und für mich!«

»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Irene und wiederholte dann Ihre Frage: »Wer sind Sie?«

»Ich heiße Jeanette, und ich führe dieses Haus. Ich tu' es für Max, weil er mich dafür bezahlt - und weil ich ihn liebe.«

»Ich will nichts von Max Quidor. Er hält mich hier gegen meinen Willen gefangen. Lassen Sie mich doch einfach gehen. Dann werde ich nicht zwischen Ihnen und Quidor stehen.«