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Jacob schwieg betreten und dachte an seine Familie. Er wollte seinen Vater und die Geschwister möglichst bald wiedersehen und nicht ein paar Wochen auf der künstlichen Insel verbringen. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß seine Familie Onkel Nathans Plantage aufsuchen und dort auf ihn warten würde, auch wenn er einige Wochen länger benötigte, zu ihnen zu kommen. Sie mußten einfach eine lange Wartezeit einplanen, hatten sie doch keine Ahnung, wann er nach Elbstedt heimkommen und sich nach Amerika einschiffen würde.

»Seit mehr als einem Monat hatten wir keinen Fall von Cholera mehr«, versuchte Jacob dem Seemann und auch sich selbst Mut zu machen. »Das wird die Amerikaner sicher davon überzeugen, daß die Krankheit nicht mehr bei uns umgeht.«

»Hoffen wir es«, seufzte Hansen, zog eine Schachtel

Schwedenhölzer aus einer Jackentasche und setzte seine Pfeife in Gang.

»Gleich werden wir wissen, woran wir sind«, meinte er kurz darauf und deutete mit dem Pfeifenstiel auf das Ruderboot, das sich von der Quarantänestation löste und auf die AL-BANY zuhielt. »Der Quarantänearzt kommt.«

Der Arzt war ein dürrer, ziegengesichtiger Mann mit einem Zwicker und einer dünnen, hohen Stimme. In Hansens Begleitung inspizierte er das Schiff und besonders die Passagiere. Sie ließen es voller Anspannung über sich ergehen, hatte sich inzwischen doch herumgesprochen, was vom Urteil des Mediziners für sie abhing.

Nach der Inspektion verschwanden Hansen und der Arzt in der Kapitänskajüte, aus der sie erst nach einer Stunde wieder hervorkamen. Voller Spannung und staunend zugleich verfolgten die Menschen an Bord, wie sich die beiden höchst freundschaftlich voneinander verabschiedeten. Hansen half dem Arzt noch, einen großen Beutel, den er bei seiner Ankunft nicht bei sich gehabt hatte, ins Boot zu laden. Dann legte das Ruderboot ab und fuhr zu der Schwimmplattform zurück.

Hansen wandte sich den Passagieren zu und sagte laut: »Die Inspektion ist zur vollen Zufriedenheit des Arztes ausgefallen. Die ALBANY hat die Erlaubnis, vor Castle Garden zu ankern.«

Seine letzten Worte gingen im lauten Hurrageschrei der Menschen unter, die sich glücklich in die Arme fielen und auf Deck einen Freudentanz aufführten.

Jacob und Martin gingen zu Hansen und fragten ihn, was er und der Arzt so lange in der Kapitänskajüte getan hatten.

»Käpten Haskin kannte den Arzt zum Glück recht gut und wußte von seiner Leidenschaft für guten Kentucky-Whiskey. Wir drei haben einige Gläser geleert. Als ihm der Käpten dann noch den größten Teil seines Vorrats schenkte, meinte der Doc, die Menschen an Bord der ALBANY seien die gesündesten Lebewesen, die er in seiner langen Medizinerlaufbahn gesehen hat.«

»Nennt man so etwas nicht Beamtenbestechung?« fragte Jacob.

»Daheim in Deutschland vielleicht. Hierzulande nennt man so etwas ein praktisches Gastgeschenk.«

Der Anker wurde gelichtet und die Segel gesetzt. Die ALBANY legte das kurze Stück bis zum Einwanderungsdepot zurück und warf dort erneut Anker.

Die Passagiere versammelten sich an Deck, und Hansen hielt eine kurze Ansprache. Er bereitete die Menschen auf das vor, was sie erwartete.

»Im Depot kümmern sich die Beamten um euch, als wären sie eure Eltern. Wer gleich Weiterreisen will, kann sich dort mit Fahrkarten und Verpflegung versorgen und braucht gar nicht erst nach New York hinein. Das wird für viele das Beste sein, denn manch einer ist in dieser Riesenstadt schon versumpft. Sie ist wie ein Krake, der alles gierig festhält, was er einmal in seinen Fängen hat. Und wer doch nach New York will, sollte sich vor den Ratten hüten!«

»Mit den Viechern kennen wir uns aus!« rief einer der Auswanderer dazwischen. »Von denen gibt es hier an Bord mehr als an jedem anderen Ort in der Welt!«

Zustimmendes Gejohle und allgemeines Gelächter begleiteten diese Worte.

»Ich rede nicht von Tieren, sondern von zweibeinigen Ratten. Hier in New York nennt man sie auch Runner. Es sind üble Burschen, die euch die schönsten Versprechungen machen, aber nichts anderes wollen als euer Geld. Nehmt euch bloß vor ihnen in acht, auch wenn sie eure Sprache sprechen. Das sind manchmal die Schlimmsten!«

Jacob bezweifelte, daß sich viele seiner Reisegefährten die mahnenden Worte zu Herzen nahmen. Sie waren zu aufgeregt und neugierig und hatten zuviel Gutes über die Neue Welt gehört, um Schlechtes in ihr zu vermuten. Des Schlechten genug gab es in ihrer alten Heimat, der sie deshalb den Rücken gekehrt hatten.

Der rege Bootsverkehr, den sie am Vortag zwischen der jetzt ein Stück entfernt im Hafen liegenden STAR OF INDIA und dem Depot beobachtet hatten, setzte bald ein. Die AL-BANY leerte sich zusehends von Reisenden und Fracht.

Jacob, Martin und Irene, die ihren kleinen Sohn auf dem Arm hielt, verabschiedeten sich herzlich von Hansen und stiegen dann in eines der Ruderboote.

An Land identifizierten sie ihr karges Gepäck und tauschten es bei einem jungen Beamten gegen Blechmarken ein. Der sommersprossige Bursche schärfte ihnen ein, ja gut auf die Marken aufzupassen, denn nur gegen ihre Aushändigung würden sie am Depotausgang ihr Gepäck zurückerhalten.

Anschließend reihten sich die drei Freunde in die lange Menschen-Schlange ein, die sich langsam durch das große Tor schob, über dem in englischer Schrift und in großen Buchstaben stand: »EINGANG - NUR FÜR AUSWANDERER«.

Zwei große Flaggen an langen Masten überragten die gewaltige Kuppel, auf die sich die Menschen Schritt für Schritt zubewegten. Das rotweiße Banner mit den weißen Sternen auf blauem Feld war die Nationalflagge des jungen Landes. Die zweite Flagge zeigte auf blauem Feld einen Adler, das Wappentier der Nordamerikaner. Jacob überlegte, ob das ein gutes Omen für ihn und seine Familie war.

Als die Freunde das Eingangstor fast erreicht hatten, frischte der anlandige Wind auf und ließ die Fahnentücher lustig flattern. Es wirkte, als spreize der große Adler die Flügel, um sich kühn in die Lüfte zu erheben. Eine fiebrige Unruhe ergriff von Jacob Besitz.

*

Noch einmal wurden die Auswanderer von einem Arzt beäugt, ehe sie das große Tor durchschritten und, zu Einwanderern werdend, in den gigantischen Kuppelbau eintauchten, der nach Jacobs Schätzung mindestens zweitausend Menschen Platz bot, vielleicht auch der doppelten Zahl. Die Männer, Frauen und Kinder von der ALBANY konnten sich glücklich schätzen, daß ihr Schiff als erstes an diesem Tag abgefertigt wurde, so daß alles zügig voranging.

Hier drinnen erschien es den Menschen im ersten Augenblick recht düster, strahlte draußen doch die Sonne. Aber ihnen blieb nicht viel Zeit zum Verweilen. Beamte der Einwanderungskommission teilten sie in Gruppen auf und schickten sie zur Abfertigung an die verschiedenen Schalter. Jacob, Martin und Irene achteten darauf, daß sie zusammenblieben.

Zunächst mußte jeder Einwanderer an einem Stand in der Nähe des Eingangs ein Kopfgeld von einem Dollar und ein Hospitalgeld von fünfzig Cents bezahlen. Ein großes, mehrsprachiges Schild an diesem Stand wies darauf hin, daß von diesem Geld das Einwanderungsdepot betrieben wurde.

Die Deutschen mußten sich nach rechts wenden, weil die Gänge linker Hand für die englischsprechenden Einwanderer bestimmt waren, von denen vor allem die von Hungersnöten geplagten Iren in großer Zahl ins Land strömten. Auf der rechten Seite dagegen sprachen alle Beamten deutsch, was dem Großteil der Menschen von der ALBANY eine Verständigung erst ermöglichte.

Nur wenige hatten sich bemüht, das Englische zu erlernen, darunter Jacob, Martin und Irene, die allabendlich Piet Hansens Sprachunterricht in der Segelkammer besucht hatten. Natürlich beherrschten sie die fremde Sprache noch längst nicht perfekt, aber sie hätten jederzeit ohne Verständigungsschwierigkeiten auf einem englischen oder amerikanischen Schiff anheuern können; naturgemäß hatte der Sprachunterricht des Seemannes einen starken nautischen Bezug gehabt, und Hansen hatte im Sprachkurs auch die meisten seiner deftigen Flüche nicht vergessen.