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Am ersten Schalter wurden den Deutschen alle möglichen und unmöglichen Fragen gestellt, nach dem Heimatort, ihrer Konfession, der Größe ihrer Familie, ihrem Beruf und so weiter und so fort. Als es dem ungeduldigen Jacob, der am Postschalter eine Nachricht von seiner Familie zu erhalten hoffte, schließlich zu bunt wurde, unterbrach er den eifrig fragenden und mitschreibenden Beamten und fragte ihn seinerseits, wozu er das alles wissen wolle.

Irritiert blickte der schmächtige Mann von seinen Papierbögen auf, ließ den Bleistift sinken und sagte im tadelnden Tonfalclass="underline" »Ich glaube kaum, daß Sie die Wichtigkeit meiner Tätigkeit ermessen können, mein Herr!«

»Vielleicht könnte ich das. Aber dazu müßten Sie mir sagen, wozu Sie das alles wissen wollen.«

»Für die Statistik, mein Herr. Schließlich vermittelt es wertvolle Aufschlüsse, wenn wir genau sagen können, wer woher und aus welchem Grund ins Land kommt.«

Jacob vermochte den Wert dieser Aufschlüsse zwar nicht zu erkennen, aber er beantwortete weiterhin die Fragen wie eine Maschine, um die Prozedur möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Am nächsten Schalter wurden Fahrkarten für Boote und Eisenbahn verkauft. Von den drei Freunden war Jacob der einzige, der ein konkretes Ziel vor Augen hatte. Irene mußte noch herausfinden, wohin sich Carl Dilger gewandt hatte. Martin wollte sich erst schlau darüber machen, wo er möglichst günstig möglichst gutes Land erwerben konnte. Aber auch Jacob nahm davon Abstand, sich mit Fahrkarten zu versorgen, als er die Preise hörte. Er mußte die wenigen Dollars, die ihm verblieben waren, erst gehörig aufstocken, bevor er sich auf eine so weite Reise wagen konnte. Martin und Irene ging es ebenso.

Deshalb gingen sie unverrichteter Dinge weiter zum nächsten Schalter, wo man Geld einwechseln und nach Post fragen konnte. Da alle drei ihr weniges Geld schon in Hamburg wegen des dort günstigeren Wechselkurses eingetauscht hatten, fragten sie gleich nach Briefen.

Über Irenes Gesicht glitt ein Strahlen, als der Beamte ihr nach kurzem Suchen gleich zwei Schreiben ihres Geliebten überreichte. Martin nahm seinen Patensohn auf den Arm, während Irene mit zitternden Fingern den ersten Brief öffnete und, Carl Dilgers Zeilen lesend, alles um sich herum vergaß.

Währenddessen suchte der Beamte nach einem Brief für Jacob, der felsenfest davon überzeugt war, für ihn müsse hier eine Nachricht lagern.

»Tut mir leid«, meinte der Beamte. »Ich habe den Buchstaben A zweimal durchgesehen, aber nichts für einen Herrn Adler gefunden.«

»Aber es muß etwas da sein!« beharrte Jacob. »Vielleicht ist der Brief in ein anderes Fach gerutscht.«

Der Blick des Postbeamten wurde ähnlich tadelnd wie zuvor der des Statistikers. »Junger Mann, seit dieses Depot vor nunmehr acht Jahren errichtet wurde, um unerfahrene Grünschnäbel wie Sie vor den Runnern zu schützen, versehe ich hier meinen Dienst. Noch nie in all der Zeit ist mir ein Brief in ein falsches Fach gerutscht!«

»Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß meine Familie vor mir nach Amerika gefahren ist!«

»Wenn sie in New York an Land gegangen ist, muß sie hier in Castle Garden auch registriert sein. Fragen Sie im Archiv der Registratur nach.«

»Wo finde ich das?«

Der Beamte erklärte ihm den Weg.

Irene ließ die Briefe sinken und blickte ihre Freunde glücklich an. Ihre Hand glitt zärtlich über die Wange ihres in Martins Armen schlafenden Sohnes. »Bald wirst du deinen Vater sehen, kleiner Jacob-Martin«, flüsterte sie.

»Was schreibt dein Carl?« fragte Martin neugierig.

»Er ist wohlbehalten in New York angekommen, vor knapp vier Monaten. Nur wenige Tage später wollte er die Stadt wieder verlassen, um im Landesinneren sein Glück zu machen. Kurz vor der Abreise hat er den ersten Brief geschrieben, in zweifacher Ausfertigung, nach Hamburg und hierher, falls ich Deutschland eher verlassen mußte. Irgendwie scheint er geahnt zu haben, daß sein Vater mir Schwierigkeiten bereiten würde. Der zweite Brief ist vor zwei Monaten in Kansas City aufgegeben worden. Von dort wollte sich Carl einem OregonTreck anschließen.«

»Ein Oregon-Treck, was ist das?«

»Carl schreibt, Oregon ist ein großes, noch weithin unbesiedeltes Land jenseits der riesigen Berge, die man hier Rocky Mountains nennt. Dorthin wollte er ziehen, um für uns eine neue Heimat zu suchen. Kansas City scheint eine der Städte zu sein, von denen aus Wagenzüge nach Oregon abfahren. Ich soll in New York auf Nachricht von Carl warten, die er schicken will, sobald er sich ein Haus gebaut hat.«

Jetzt erst bemerkte Irene Jacobs düsteres Gesicht. »Hast du keine Nachricht von deiner Familie erhalten, Jacob?«

Er berichtete ihr, was der Schalterbeamte gesagt hatte.

»Dann sollten wir jetzt zum Archiv der Registratur gehen!« sagte die junge Frau.

Aber sie kamen nicht weit, weil sie mitten in einen Menschenauflauf gerieten. Ein paar Männer in blauen Uniformen sorgten ein wenig für Ordnung.

Einer der Uniformierten, der eine Feder am Hut und einen dunklen Spitzbart trug, blieb vor Jacob und Martin stehen und betrachtete die beiden Männer mit offensichtlichem Wohlgefallen.

»Ich bin Hauptmann Gerber, und ihr zwei kräftigen Burschen seid genau die Richtigen für unser Regiment«, stellte er, in deutscher Sprache, befriedigt fest.

»Was für ein Regiment?« fragten die Angesprochenen wie aus einem Munde.

»Wir stellen gerade ein Regiment für die Unions-Armee auf, das nur aus Deutschen besteht, die German Rifle Volunteers.«

Gerber zeigte auf ein im Freien stehendes Podest, neben dem das Sternenbanner aufgezogen war. Darauf stand eine fünfköpfige Kapelle, die einen flotten Marsch spielte. Die beiden Trommler zur Linken, die zwei Querflötisten zur Rechten und der Mann mit der großen Pauke in der Mitte legten sich mächtig ins Zeug, um die schwache Besetzung der Kapelle auszugleichen. Hinter dem Mann mit der Pauke war ein Wachhäuschen auf das Podest gesetzt, in dem mit unbewegter Miene und in strammer Haltung ein bewaffneter Soldat stand.

An der Vorderseite des Podestes war ein großes Schild in deutscher Sprache angebracht: »Tritt in die glorreiche Armee der Vereinigten Staaten ein! 100 Dollar Handgeld für jeden Freiwilligen - 20 Dollar im Monat für den Unteroffizier - 10 Dollar im Monat für den Gemeinen.«

Vor dem Podest hatten die Blauuniformierten eine Menge deutscher Männer zusammengetrieben und bemühten sich, ihnen einen Eintritt in die Armee schmackhaft zu machen. Aus einem großen Faß wurde unentgeltlich Bier ausgeschenkt, zu dem es Brezeln aus mehreren Körben gab. Tatsächlich unterschrieben viele auf der Rekrutierungsliste und wurden von einem Unteroffizier in eine besondere Ecke gedrängt.

»Tretet in die Armee ein und macht euer Glück!« sagte Gerber euphorisch. »Ihr bekommt freie Verpflegung, euren Sold und das Handgeld. Ihr habt Arbeit und seid auf einen Schlag alle finanziellen Sorgen los.«

»Und was müssen wir in der Armee tun?« fragte Martin.

»Gegen diese verdammten Rebellen aus dem Süden kämpfen.«

»Warum?« fragte Martin weiter. »Mir haben die nichts getan.«

»Jeder rechtschaffene Mann, der nur einen Funken Ehre im Leib hat, muß mithelfen, diesen grauberockten Wölfen das Handwerk zu legen. In den Südstaaten werden immer noch Menschen versklavt.«

»Und dagegen kämpfen Sie?« wollte Martin wissen.

»Genau.«

»Seit wann werden denn dort Menschen versklavt?« fragte Jacob.

»Seit vielen Jahrzehnten.«

»Soweit ich gehört habe, ist dieser Krieg erst vor zwei Jahren ausgebrochen. Weshalb haben Sie nicht schon eher gegen die Sklaverei gekämpft?«

Der Offizier sah ihn entgeistert an. »Wie meinen Sie das?«

»Na, wenn die Menschen im Süden schon so lange versklavt werden, weshalb ziehen Sie erst jetzt gegen die Sklavenhalter ins Feld? Das hätten Sie doch schon vor vielen Jahren tun können.«