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Dannyl hörte ihm nicht mehr zu. »Jetzt ergibt alles einen Sinn! Warum bin ich nicht eher darauf gekommen?« Er drückte die Hände an die Schläfen.

»Nun, ich würde dir ernsthaft nahe legen, den Tunneln fernzubleiben. Es gibt gute Gründe für das Verbot, sie zu benutzen. Sie sind alt und baufällig.«

Dannyl zog die Augenbrauen in die Höhe. »Was ist dann mit den Gerüchten, dass ein gewisses Mitglied der Gilde sie regelmäßig benutzt?«

Rothen verschränkte die Arme vor der Brust. »Er kann tun, was ihm gefällt, und ich bin davon überzeugt, dass er in der Lage wäre zu überleben, falls ein Tunnel einstürzen sollte. Außerdem bin ich mir sicher, dass es ihm nicht gefallen würde, wenn du dort herumschnüffelst. Was wird er sagen, wenn er dich in den Tunneln vorfindet?«

Bei diesem Gedanken erlosch das Leuchten in Dannyls Augen. »Ich müsste den Zeitpunkt sorgfältig wählen. Wenn ich genau wüsste, dass er sich woanders aufhält –«

»Du solltest nicht einmal im Traum daran denken«, warnte Rothen seinen Freund. »Du würdest dich dort nur verirren.«

Dannyl schnaubte. »Schlimmer als die Gänge der Diebe können die Tunnel unter der Universität auch nicht sein, oder?«

»Du wirst es nicht tun, Dannyl!«

Aber wenn Dannyls Neugier erst einmal geweckt war, das wusste Rothen, dann konnte ihn höchstens die Drohung, aus der Gilde ausgeschlossen zu werden, von seinen Plänen abbringen. Und wegen eines so geringfügigen Verstoßes würde man nicht zu einer derart drastischen Strafe greifen. »Überleg es dir genau, Dannyl. Du möchtest dir doch nicht die Chance verderben, Botschafter zu werden, oder?«

Dannyl zuckte die Achseln. »Sie haben mir meine Verhandlungen mit den Dieben durchgehen lassen, da werden sie es nicht allzu sehr missbilligen, wenn ich ein wenig unter der Universität herumschnüffle.«

Rothen wandte sich resigniert ab und machte sich auf den Rückweg zum Abendsaal. »Das mag sein. Aber manchmal kommt es darauf an, wessen Missbilligung man sich zuzieht.«

28

Die Anhörung beginnt

»Macht Euch keine Sorgen, Sonea«, flüsterte Tania, als sie das Universitätsgebäude erreichten. »Es wird schon alles gut gehen. Die Magier sind einfach nur eine Bande alter Männer, die lieber behaglich an ihrem Wein nippen, als in einer zugigen Halle zu sitzen. Bevor Ihr recht wisst, wie Euch geschieht, wird alles vorbei sein.«

Tanias Beschreibung der Gilde entlockte Sonea ein Lächeln. Dann folgte sie der Dienerin über die Treppe und durch die riesigen Türen. Sie hielt den Atem an, als sie in einen Raum voller Treppen gelangten. Jede dieser Treppen bestand aus miteinander verschmolzenem Stein und Glas und wirkte zu zerbrechlich, um das Gewicht eines Menschen zu tragen. Die Treppen zogen sich in gewundenen Spiralen durch den Raum und umschlangen einander wie ein kunstvolles Schmuckstück.

»Der andere Teil der Universität sieht ganz anders aus!«, entfuhr es ihr.

Tania schüttelte den Kopf. »Der Hintereingang ist für die Novizen und Magier gedacht. Aber durch diese Türen kommen die Besucher, deshalb muss es beeindruckend sein.«

Die Dienerin durchquerte die Vorhalle und ging einen kurzen Korridor hinunter. Sonea konnte vor sich die untere Hälfte einer weiteren gewaltigen Doppeltür erkennen. Am Ende des Korridors angelangt, blieb Sonea stehen und sah sich voller Ehrfurcht um.

Sie standen an der Schwelle zu einem großen, hohen Raum. Weiße Wände erstreckten sich bis zu einer Decke aus Glaspaneelen, durch die das strahlende, goldene Licht der Nachmittagssonne fiel. Auf der Höhe des dritten Stockwerks durchzog ein Netz von Balkons den Raum – so zart, dass man den Eindruck gewann, als schwebten sie in der Luft.

Vor ihr ragte ein Gebäude auf. Ein Gebäude innerhalb eines Gebäudes. Die groben, grauen Mauern stellten einen dramatischen Kontrast zu dem hellen Weiß der Halle dar. Über die gesamte Länge des Bauwerks zog sich eine Reihe schmaler Fenster.

»Das ist die Große Halle«, erklärte Tania. »Und das«, sie zeigte auf das Gebäude, »ist die Gildehalle. Sie ist mehr als sieben Jahrhunderte alt.«

»Das ist die Gildehalle?« Sonea schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich dachte, man hätte sie durch ein anderes Gebäude ersetzt.«

»Nein.« Tania lächelte. »Sie war solide gebaut und hat außerdem historischen Wert, deshalb wäre es eine Schande gewesen, sie abzureißen.«

Beeindruckt folgte Sonea der Dienerin. Tania machte sie auf eine Doppeltür an der Seite der Gildehalle aufmerksam. »Dort werdet Ihr hineingehen. Im Augenblick findet die Versammlung der Magier statt. Gleich danach wird die Anhörung beginnen.«

Sonea verspürte einmal mehr ein unangenehmes Kribbeln im Magen. Hundert Magier saßen in diesem Raum und warteten darauf, über ihr Schicksal zu befinden. Und sie würde vor all diese Menschen hintreten… und sie täuschen.

Übelkeit erregende Angst befiel sie. Was würde geschehen, wenn Fergun nicht als Sieger aus der Anhörung hervorging – obwohl sie getan hatte, was er von ihr verlangte? Würde er Cery dann trotzdem freilassen?

Cery…

Bei der Erinnerung an sein stockendes Geständnis in der dunklen Zelle schüttelte Sonea den Kopf.

Er liebte sie. Die Überraschung hatte sie zuerst sprachlos gemacht, aber wenn sie jetzt zurückdachte, ergaben manche Dinge plötzlich einen Sinn. Wie oft hatte sie ihn dabei ertappt, dass er sie beobachtete; wie oft war er so seltsam scheu geworden, wenn sie miteinander sprachen… Und jetzt fiel ihr auch wieder ein, dass Faren sich häufig so benommen hatte, als sei Cery mehr als nur ein treuer Freund für sie.

Empfand sie genauso wie er? Seit ihrer Begegnung im Kerker hatte sie sich diese Frage ungezählte Male gestellt, aber sie konnte sie nicht mit Sicherheit beantworten. Sie hatte nicht das Gefühl, verliebt zu sein, andererseits legte sich jedes Mal eisige Furcht um ihr Herz, wenn sie an die Gefahr dachte, in der er schwebte. Bedeutete das vielleicht, dass sie am Ende doch in ihn verliebt war? Oder hätte sie die gleiche Angst um jeden anderen gehabt, der ihr teuer war, ob nun als Freund oder als Geliebter?

Wenn sie ihn liebte, hätte ihr Herz bei seinem Eingeständnis dann nicht jubeln müssen? Wäre sie nicht glücklich darüber gewesen, dass er sie zu retten versucht hatte, statt sich schuldig zu fühlen, weil seine Zuneigung zu ihr zu seiner Gefangenschaft geführt hatte?

Und wenn sie ihn liebte, müsste sie sich doch gewiss nicht all diese Fragen stellen.

Entschlossen schob sie den Gedanken beiseite und atmete tief durch.

Tania klopfte ihr auf die Schulter. »Wahrscheinlich dauert die Versammlung nicht allzu lange, aber man kann nie wissen…«

Ein lautes Klicken wehte durch die Halle, dann öffneten sich die Türen, auf die Tania Sonea kurz zuvor aufmerksam gemacht hatte. Der erste Magier kam aus dem Gebäude, und weitere folgten ihm. Sonea fragte sich unwillkürlich, warum so viele von ihnen fortgingen. Hatte man die Anhörung abgesagt?

»Wohin gehen sie?«

»Es werden nur diejenigen bleiben, die sich für die Anhörung interessieren«, erklärte Tania.

Während einige der Magier die Große Halle verließen, bildeten andere kleine Gruppen. Einige der Männer und Frauen sahen Sonea mit unverhohlener Neugier an. Sonea wich ihrem Blick aus.

— Sonea?

Sie zuckte zusammen, dann wandte sie sich zu der Gildehalle um.

— Rothen?

— Es war eine kurze Versammlung. Man wird dich bald hereinrufen.

Sonea schaute zu den Türen der Gildehalle hinüber und sah eine dunkle Gestalt hindurchtreten. Als sie den Mann erkannte, stockte ihr der Atem.

Der Assassine!

Sie war davon überzeugt, dass dies der Mann war, den sie in jener Nacht während ihres Erkundungszugs in der Gilde gesehen hatte. Sein Gesicht hatte denselben grimmigen, grüblerischen Ausdruck, den sie in Erinnerung hatte. Während er mit langen Schritten den Raum durchmaß, schlugen ihm seine schwarzen Roben um die Beine.