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Cery seufzte und sah sich in dem Raum um. »Ich habe nichts außer den Dingen, die er mir gegeben hat, aber er hat mein Messer und meine Werkzeuge. Wäre es genug, wenn Ihr diese Dinge bei ihm finden würdet?«

Der Mann schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Was ich brauche, liegt in deiner Erinnerung. Wirst du mir gestatten, in deinen Gedanken zu lesen?«

Cery starrte den Magier an. In seinen Gedanken lesen?

Er hatte Geheimnisse. Dinge, die sein Vater ihm erzählt hatte. Dinge, die Faren ihm erzählt hatte. Dinge, die selbst Faren nicht wusste. Was, wenn der Magier all das sah?

Aber wenn ich ihn nicht in meinen Gedanken lesen lasse, kann ich Sonea nicht retten.

Eine Hand voll schäbiger kleiner Geheimnisse durfte ihn nicht daran hindern, ihr beizustehen – außerdem würde der Magier diese Dinge vielleicht gar nicht finden. Also schluckte Cery seine Angst herunter und sah den Mann an.

»Sicher. Tut es.«

Der Magier warf Cery einen ernsten Blick zu. »Es wird dir weder Schaden zufügen noch dich verletzen. Schließ die Augen.«

Cery holte tief Luft und gehorchte. Sogleich konnte er die Berührung von Fingern an seinen Schläfen spüren. Und dann wurde er sich eines anderen Geistes bewusst, der hinter seine eigenen Gedanken zu schlüpfen schien. Einen Moment später erklang eine Stimme von… von irgendwoher.

— Denk an den Tag zurück, an dem wir deine Freundin gefangen haben.

Eine Erinnerung blitzte vor Cerys Augen auf. Der andere Geist schien sie aufzufangen und festzuhalten. Mit einem Mal stand Cery in einer verschneiten Gasse. Es war wie eine Vision, klar, aber nicht allzu detailliert. Er sah Sonea weglaufen und spürte ein Echo der Furcht und der Verzweiflung, die ihn übermannt hatten, als er gegen die unsichtbare Barriere hämmerte, die sie beide trennte. Dann drehte er sich um und sah einen Mann in einem wallenden Umhang hinter sich stehen.

— Ist das der Mann, der dich gefangen hat?

— Ja.

— Zeig mir, wie.

Wieder zuckte eine Erinnerung durch seine Gedanken, und wieder wurde diese Erinnerung festgehalten und noch einmal abgespult. Er stand vor dem Magierquartier und blickte zu Sonea auf. Fergun erschien. Er jagte ihn. Fing ihn ein. Der blaugewandete Magier und sein Begleiter erschienen und brachten Cery zu Sonea. Seine Erinnerung eilte weiter. Er verabschiedete sich von Sonea und ging durch das Magierquartier. Fergun schlug ihm vor, den Weg durch die Universität zu nehmen. Sie betraten das Gebäude und wanderten durch die Korridore.

Dann öffnete Fergun die Geheimtür und stieß ihn hindurch. Er spürte die Augenbinde auf seinem Gesicht und hörte seine eigenen Schritte, als er durch den unterirdischen Tunnel ging. Er sah die Zelle, trat hinein, hörte die Tür ins Schloss fallen…

— Wann hast du ihn das nächste Mal gesehen?

Erinnerungen an die Besuche des Magiers folgten. Cery beobachtete, wie Fergun ihn durchsuchte und beraubte, dann durchlebte er noch einmal seinen gescheiterten Angriff auf den Mann und die anschließende Heilung. Er sah Sonea in den Raum treten und hörte noch einmal das Gespräch, das sie miteinander geführt hatten.

Danach strich der andere Geist sanft über den seinen, bevor er zu verblassen schien. Cery spürte, dass der Magier die Finger von seinen Schläfen nahm. Er schlug die Augen auf.

Der Magier nickte. »Das ist mehr als genug«, sagte er. »Komm mit mir. Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch an der Anhörung teilnehmen wollen.«

Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Cery folgte ihm, und eine Woge der Erleichterung schlug über ihm zusammen, als er aus der Zelle trat. Er drehte sich noch einmal kurz um, dann eilte er hinter seinem Retter her.

Der Mann bewegte sich so schnell, dass Cery Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Sie bogen in einen anderen Gang ein und wechselten noch mehrmals die Richtung. Keiner der Tunnel kam Cery bekannt vor.

Nach einer Weile erreichten sie eine Treppe. Der Magier stieg die Stufen hinauf und bückte sich dann, um die Mauer zu betrachten. Als Cery einen kleinen Lichtkreis um das Auge des Magiers herum sah, vermutete er, dass in der Wand ein Guckloch eingelassen sein musste.

»Ich möchte mich für Eure Hilfe bedanken«, sagte er leise. »Ein kleiner Dieb wie ich kann Euch wahrscheinlich keine Gegenleistung anbieten, aber solltet Ihr jemals irgendetwas benötigen, braucht Ihr nur zu fragen.«

Der Magier richtete sich auf und sah ihn gelassen an. »Weißt du, wer ich bin?«

Cery errötete. »Natürlich. Es gibt nichts, was ich einem wie Euch zu bieten hätte. Trotzdem erschien es mir richtig, es Euch anzubieten.«

Ein geisterhaftes Lächeln spielte um die Lippen des Magiers. »Hast du wirklich ernst gemeint, was du gesagt hast?«

Cery, dem plötzlich beklommen zumute war, trat von einem Fuß auf den anderen. »Natürlich«, antwortete er widerstrebend.

Das Lächeln des Mannes wurde ein wenig deutlicher. »Ich werde dich nicht zwingen, einen Handel mit mir zu schließen. Ganz gleich, was du sagst, Ferguns Taten müssen offenbart und bestraft werden. Deine Freundin wird frei sein, zu gehen, wenn es das ist, was sie will.« Er hielt inne, und seine Augen wurden eine Spur schmaler. »Aber es ist möglich, dass ich irgendwann einmal Kontakt zu dir aufnehmen werde. Ich werde dich um nichts bitten, was deine Möglichkeiten übersteigt, und ich werde auch nichts verlangen, was deinen Platz bei den Dieben gefährdet. Du wirst selbst entscheiden können, ob das, worum ich bitte, annehmbar ist.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Klingt das vernünftig?«

Cery senkte den Blick. Was der Mann vorschlug, war mehr als vernünftig. Unwillkürlich nickte er. »Ich bin einverstanden.«

Der Magier hielt ihm die Hand hin, und Cery schlug ein. Er sah den Mann an, der seinen Blick ohne einen Wimpernschlag erwiderte.

»Abgemacht«, sagte Cery.

»Abgemacht«, wiederholte der Magier. Dann wandte er sich wieder der Mauer zu. Nachdem er noch einmal durch das Guckloch gespäht hatte, griff er nach einem Hebel und zog daran. Das Paneel glitt zur Seite. Der Magier trat hindurch, und sein Licht folgte ihm.

Cery eilte ihm hinterher und fand sich in einem großen Raum wieder. An einem Ende des Raums standen ein Schreibpult und mehrere Stühle.

»Wo bin ich?«

»In der Universität«, antwortete der Mann und ließ das Paneel wieder an seinen Platz zurückgleiten. »Folge mir.«

Der Magier durchquerte den Raum und öffnete eine Tür, durch die sie in einen breiten Korridor gelangten. Zwei grüngewandete Magier blieben stehen, um ihn anzustarren, bevor sie sich seinem Führer zuwandten. Mit einem überraschten Blinzeln neigten sie respektvoll den Kopf.

Der Magier beachtete sie nicht, sondern setzte seinen Weg bis zum Ende des Korridors fort. Cery ging dicht hinter ihm her. Als sie durch eine weitere Tür kamen, blickte Cery auf, und ihm stockte der Atem. Sie befanden sich in einem Raum voller fantastischer Wendeltreppen. Auf der einen Seite der Halle standen die Türen der Universität weit offen, und dahinter konnte man schneebedeckten Boden und einen Teil der Inneren Stadt erkennen. Cery drehte sich einmal im Kreis, bevor er feststellte, dass der Magier bereits weitergegangen war.

»Das wird Harrin mir niemals glauben«, murmelte er, während er seinem Führer hinterhereilte.

»So ist es nicht gewesen«, sagte Rothen zu Sonea.

Sonea wandte den Blick ab. »Ich weiß, was ich gesehen habe«, erwiderte sie. »Verlangt Ihr von mir zu lügen?« Die Worte hinterließen einen bitteren Nachgeschmack in ihrem Mund. Sie schluckte und versuchte, verwirrt dreinzuschauen.

Rothen starrte sie an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das verlange ich nicht. Sollte sich herausstellen, dass du heute gelogen hast, würden sich vermutlich viele gegen den Gedanken sperren, dich in die Gilde aufzunehmen.«