»Ich schätze, dann wissen wir jetzt wohl Bescheid, Sonea«, bemerkte Harrin, als Cery ihm einen Becher gab.
Sonea runzelte die Stirn. »Was wissen wir?«
»Was du getan hast, muss Magie gewesen sein.« Er grinste. »Wenn sie das nicht dächten, würden sie nicht nach dir suchen, nicht wahr?«
Mit einer ungeduldigen Geste verscheuchte Dannyl die Feuchtigkeit aus seinen Roben. Kleine Dampfwolken wogten aus dem Tuch auf. Die Wachen wichen zurück, als ein eisiger Windschwall den Nebel fortblies, dann kehrten die vier Männer an ihre Plätze zurück.
Sie gingen in einer strengen Formation – zwei neben ihm, zwei hinter ihm. Eine lächerliche Vorsichtsmaßnahme. Das Hüttenvolk war nicht dumm genug, um sie anzugreifen. Und wenn es zu einem Übergriff käme, würden die Soldaten sich wohl eher um Schutz an Dannyl wenden als umgekehrt.
Als er einen nachdenklichen Blick von einem der Männer auffing, durchzuckte Dannyl ein Anflug schlechten Gewissens. Am Morgen waren sie ängstlich und unterwürfig gewesen. Da er gewusst hatte, dass er den ganzen Tag mit ihnen würde verbringen müssen, hatte Dannyl sich alle Mühe gegeben, zugänglich und freundlich zu erscheinen.
Für die Soldaten war dies wie ein Festtag – unendlich unterhaltsamer als stundenlang an einem der Tore stehen oder durch die Straßen der Stadt patrouillieren zu müssen. Obwohl sie erpicht darauf waren, die Vorratslager der Schmuggler und die Hurenhäuser aufzuspüren, waren sie bei der Suche selbst keine große Hilfe gewesen. Er brauchte niemanden, der mit Gewalt Türen oder Transportkisten öffnete, und das Hüttenvolk hatte sich, wenn auch widerstrebend, hilfsbereit gezeigt.
Dannyl seufzte. Er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass viele dieser Menschen sich nur allzu gut darauf verstanden, versteckt zu halten, was sie verstecken wollten. Außerdem hatte er auf den Gesichtern, die ihn beobachteten, immer wieder ein unterdrücktes Lächeln gesehen. Welche Chance hatten hundert Magier, inmitten Tausender Hüttenbewohner ein einziges, vollkommen alltäglich aussehendes Mädchen zu finden?
Überhaupt keine. Dannyl biss die Zähne zusammen, als ihm Lord Balkans Worte vom Vorabend noch einmal durch den Kopf gingen.
Was würde passieren, wenn einer von uns in der Verkleidung eines greinenden Bettlers entdeckt würde? Wir würden uns überall in den Verbündeten Ländern zum Gespött machen.
Er schnaubte. Und jetzt machen wir uns nicht zum Narren?
Ein scharfer Gestank drang an Dannyls Nase. Angewidert betrachtete er eine überquellende Kloake. Die Menschen, die auf den Gehsteigen standen, wichen hastig vor ihm zurück. Es kostete ihn einige Anstrengung, tief durchzuatmen und seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten.
Es gefiel ihm nicht, Menschen zu erschrecken. Sie beeindrucken? Ja. Ihren Respekt gewinnen? Noch besser. Aber sie erschrecken – nein. Es verstörte ihn, dass diese Menschen davonhuschten, sobald er näher kam, und ihm dann nachstarrten, wenn er an ihnen vorbeigegangen war. Die Kinder waren mutiger und folgten ihm, aber auch sie rannten davon, wenn er sie ansah. Männer und Frauen, Alt und Jung, beobachteten ihn voller Argwohn. Alle sahen hart und gerissen aus. Er fragte sich, wie viele von ihnen für die Diebe arbeiteten.
Dannyl hielt jäh inne.
Die Diebe… Die Wachen blieben ebenfalls stehen und sahen ihn fragend an. Er beachtete sie nicht.
Wenn die Geschichten der Wahrheit entsprachen, wussten die Diebe mehr über die Hüttensiedlung als jeder andere. Wussten sie auch, wo sich dieses Mädchen befand? Und wenn nicht, konnten sie es finden? Wären sie bereit, der Gilde zu helfen? Vielleicht, wenn der Preis stimmte …
Wie würden die anderen Magier reagieren, wenn er ihnen vorschlug, einen Handel mit den Dieben zu machen?
Sie würden entsetzt sein. Entrüstet.
Dannyl betrachtete den flachen, stinkenden Graben, der als Gosse diente. Wenn die Magier erst einige Tage durch die Hüttenviertel gewandert waren, würden sie seiner Idee vielleicht nicht mehr ganz so ablehnend gegenüberstehen. Was bedeutete, dass er noch eine Weile warten sollte, bevor er ihnen diesen Vorschlag unterbreitete. Die Chancen, ihre Zustimmung zu gewinnen, würden sich von Tag zu Tag verbessern.
Andererseits gab jede Stunde, die verstrich, dem Mädchen mehr Zeit, sich zu verstecken. Dannyl schürzte die Lippen.
Es würde nicht schaden, festzustellen, ob die Diebe überhaupt zu einem Handel bereit waren, bevor er der Gilde seine Idee unterbreitete. Wenn er zuerst die Zustimmung der Gilde einholte und die Diebe ihr Angebot ablehnten, hätte er nur Zeit und Kraft verschwendet.
Er drehte sich zu dem ältesten der Wachsoldaten um. »Hauptmann Garrin. Wisst Ihr, wie man Kontakt zu den Dieben herstellen kann?«
Die Brauen des Kapitäns wanderten so hoch, dass sie unter seinem Helm verschwanden. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Herr.«
»Ich weiß es, Herr.«
Dannyl musterte den jüngsten der vier Soldaten, einen schlaksigen jungen Mann namens Ollin.
»Ich habe früher einmal hier gelebt, Herr«, gestand Ollin, »bevor ich der Wache beigetreten bin. Es gibt immer irgendwo Leute, die den Dieben eine Nachricht überbringen können, wenn man weiß, wo man nach ihnen suchen muss.«
»Verstehe.« Dannyl kaute auf seiner Unterlippe und dachte nach. »Finde einen dieser Leute für mich. Frag ihn, ob die Diebe bereit wären, mit uns zusammenzuarbeiten. Und komm mit ihrer Antwort direkt zu mir – zu niemandem sonst.«
Ollin nickte und sah dann den Hauptmann an. Die Lippen des älteren Mannes waren schmal vor Missbilligung, aber er nickte und deutete mit dem Kinn auf einen der anderen Soldaten. »Nimm Keran mit.«
Dannyl sah den beiden Männern nach, wie sie die Straße hinuntergingen. Dann drehte er sich um und setzte, in Gedanken bei den möglichen Konsequenzen seiner Entscheidung, seinen Weg fort. Ein wenig weiter unten an der Straße trat eine vertraute Gestalt aus einem Haus. Dannyl lächelte und beschleunigte seinen Schritt.
— Rothen!
Der Mann hielt inne, und der Wind fuhr ihm unter die Robe, so dass sie um seine Beine peitschte.
— Dannyl? Rothens gedankliche Erwiderung klang schwach und unsicher.
— Ich bin hier. Dannyl sandte dem anderen Magier ein schnelles Bild von der Straße und ein Gefühl der Nähe. Rothen wandte sich zu ihm um und richtete sich auf, als er Dannyl entdeckte. Als Dannyl näher kam, sah er, dass ein gehetzter Ausdruck in den blauen Augen Rothens lag.
»Irgendwelche Fortschritte?«
»Nein.« Rothen schüttelte den Kopf. Er betrachtete die provisorischen Bauten auf der einen Straßenseite. »Ich hatte ja keine Ahnung, wie es hier aussieht.«
»Es ist wie in einem Harrel-Bau, nicht wahr?«, kicherte Dannyl. »Ein echtes Chaos.«
»Oh ja, aber ich meinte eigentlich die Menschen.« Rothen deutete auf eine kleine Gruppe von Männern und Frauen. »Die Lebensbedingungen sind so schlecht… Ich hätte das nie für möglich gehalten…«
Dannyl zuckte die Achseln. »Wir haben keine Chance, das Mädchen zu finden, Rothen. Wir sind einfach zu wenige.«
Rothen nickte. »Meinst du, den anderen ist es besser ergangen?«
»Wenn dem so wäre, hätte man sich bereits mit uns in Verbindung gesetzt.«
»Du hast Recht.« Rothen runzelte die Stirn. »Mir ist heute eine Frage in den Sinn gekommen, die wir uns noch gar nicht gestellt haben: Woher wissen wir, dass sie überhaupt noch in der Stadt ist? Sie hätte aufs Land fliehen können.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, du hast Recht. Ich mache hier jetzt Schluss. Lass uns in die Gilde zurückkehren.«
4
Die Suche geht weiter
Frühes Morgenlicht überzog die frostüberhauchten Fenster mit Gold. Die Luft im Raum war herrlich warm, beheizt von einer leuchtenden Kugel, die hinter einer in die Wand eingelassenen Milchglasscheibe schwebte. Rothen gürtete die Schärpe seiner Robe, dann trat er in den Gästeraum, um seine Freunde zu begrüßen.