Zwischen einem Atemzug und dem nächsten hörte er plötzlich Schritte in der Ferne. Als sie lauter wurden, verebbte sein Zorn, und sein Herz begann zu rasen.
Vor der Tür hielten die Schritte inne. Er hörte ein stumpfes, metallischen Klicken, gefolgt von dem leiseren Klappern, mit dem seine Dietriche zu Boden fielen. Im nächsten Moment fiel ein schmaler Streifen gelben Lichts durch den Türspalt.
»Nun schau sich das einer an«, murmelte Fergun. Er drehte sich zur Seite und ließ den Teller und die Flasche los, die er mitgebracht hatte. Statt jedoch zu Boden zu fallen, schwebten beide Dinge langsam herab. Fergun breitete die Finger aus, und die Drähte sprangen ihm gehorsam in die Hand.
Er unterzog sie einer genauen Musterung, dann hob er die Brauen. Lächelnd sah er Cery an.
»Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass diese Dinger funktionieren würden, oder? Ich hatte mir schon gedacht, dass du ein wenig Erfahrung mit solchen Dingen besitzt, deshalb habe ich gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.« Er betrachtete Cerys Kleidung. »Hast du irgendwo noch mehr von diesen Dingern versteckt?«
Cery schluckte die verneinende Antwort, die ihm auf der Zunge lag, hastig herunter. Fergun würde ihm niemals glauben. Der Magier lächelte und streckte die Hand aus.
»Gib sie mir.«
Cery zögerte. Wenn er einige der Gegenstände, die er in seiner Kleidung versteckt hielt, herausgab, würde er vielleicht andere, noch wichtigere Werkzeuge behalten können.
Fergun trat einen Schritt auf ihn zu. »Na komm, welchen Nutzen haben diese Sachen hier unten für dich?« Er machte eine knappe Bewegung mit dem Zeigefinger. »Gib sie mir.«
Langsam griff Cery in seinen Mantel und zog eine Hand voll weniger wichtiger Werkzeuge heraus. Dann funkelte er den Magier wütend an und legte sie ihm auf die ausgestreckte Hand.
Fergun besah sich die Drähte, dann blickte er wieder auf. Ein boshaftes Lächeln spielte um seine Lippen. »Erwartest du wirklich von mir, dass ich dir glaube, das hier wäre schon alles?«
Er bog die Finger durch. Cery spürte, wie eine unsichtbare Kraft gegen seine Brust drückte, und er taumelte bis zur Mauer zurück.
Fergun kam näher und durchsuchte Cerys Mantel. Mit einem Ruck hatte er das Futter aufgerissen, um mehrere versteckte Taschen darin zu entblößen. Er pflückte den Inhalt heraus, dann wandte er sich Cerys übrigen Kleidungsstücken zu.
Während er die Messer aus Cerys Stiefeln zog, stieß Fergun einen leisen Laut der Befriedigung aus, dann folgte ein noch zufriedeneres »Ah«, als er Cerys Dolche fand. Schließlich richtete er sich auf und zog eine der Waffen aus der Scheide. Er untersuchte den breitesten Teil der Klinge, auf dem ein grobes Bild des kleinen Nagetiers eingeritzt war: Cerys Namensvetter.
»Ceryni«, sagte der Magier und sah zu Cery hinüber.
Cery erwiderte seinen Blick voller Trotz. Fergun kicherte und wandte sich ab. Er nahm ein großes Stück Tuch aus seinen Roben, wickelte die Werkzeuge und Waffen darin ein und trat zur Tür hinüber.
Als ihm klar wurde, dass der Magier gehen würde, ohne ihm irgendwelche Erklärungen zu geben, setzte Cerys Herz einen Schlag aus.
»Wartet! Was wollt Ihr von mir? Warum bin ich hier?« Fergun beachtete ihn jedoch nicht. Als die Tür hinter ihm zufiel, löste sich die Umklammerung, mit der der Magier ihn belegt hatte, und Cery sackte auf die Knie. Keuchend vor Zorn tastete er nach seinem Mantel und fluchte dann, als er feststellte, dass tatsächlich die meisten seiner Werkzeuge verschwunden waren. Am meisten bedauerte er den Verlust der Dolche, aber es war schwierig, Waffen von dieser Größe verborgen zu halten.
Er hockte sich auf die Fersen und stieß einen langen Seufzer aus. Einige seiner Sachen waren ihm verblieben und würden ihm vielleicht von Nutzen sein. Er brauchte sich lediglich einen Plan zurechtzulegen.
22
Ein unerwartetes Angebot
»Muss ich das wirklich tun?«
»Ja.« Dannyl legte beide Hände auf Rothens Schultern, drehte ihn um und schob ihn aus dem Raum. »Wenn du dich versteckst, unterstützt du damit nur die Argumente von Ferguns Anhängern.«
Rothen seufzte und folgte Dannyl in den Korridor hinaus. »Du hast natürlich Recht. Während der vergangenen Wochen habe ich praktisch mit niemandem gesprochen – und ich sollte Lorlen bitten, seinen Besuch noch um einige Tage hinauszuzögern. Warte …« Rothen blickte auf und zog die Brauen zusammen. »Was sagen Ferguns Anhänger eigentlich?«
Dannyl lächelte grimmig. »Dass sie binnen weniger Tage die Kontrolle ihrer Kräfte erlernt hat und dass du sie unter Verschluss hältst, damit Fergun sie nicht sehen kann.«
Rothen schnalzte wütend mit der Zunge. »Was für ein Unsinn. Ich wünschte, einige von denen müssten die Kopfschmerzen ertragen, die ich während der vergangenen Woche gehabt habe.« Er schnitt eine Grimasse. »Das bedeutet wahrscheinlich, dass ich Lorlens Besuch nicht allzu lange werde hinauszögern können.«
»Richtig«, stimmte Dannyl ihm zu.
Sie erreichten den Ausgang des Wohngebäudes der Magier und traten ins Freie. Obwohl Novizen jeden Morgen und jeden Abend den Schnee auf den Gehsteigen und den Fußwegen schmolzen, war der Innenhof bereits wieder mit einer dünnen, weißen Pulverschicht bedeckt. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, als sie zu den Sieben Bögen hinübergingen.
Kaum dass sie den gut geheizten Abendsaal betreten hatten, drehten sich auch schon etliche Köpfe in ihre Richtung. Dannyl hörte ein leises Stöhnen von seinem Begleiter; mehrere Magier kamen bereits auf sie zu. Sarrin, das Oberhaupt der Alchemisten, war der Erste, der sie ansprach.
»Guten Abend, Lord Rothen, Lord Dannyl. Wie geht es Euch beiden?«
»Gut, Lord Sarrin«, antwortete Rothen.
»Habt Ihr schon irgendwelche Fortschritte bei dem Mädchen erzielen können?«
Inzwischen standen mehrere Magier um ihn herum, um sich seine Antwort nicht entgehen zu lassen. »Sonea kommt gut voran«, erklärte er ihnen. »Es hat ein wenig gedauert, bis sie in der Lage war, mich nicht bei jedem meiner Versuche unweigerlich aus ihrem Geist zu vertreiben. Wie Ihr Euch denken könnt, war sie uns gegenüber ziemlich argwöhnisch.«
»Sie kommt gut voran?«, murmelte einer der Magier. »Kaum ein Novize braucht jemals zwei Wochen dafür.«
Als sich Rothens Miene verdüsterte, konnte Dannyl sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Sein Freund wandte sich dem Sprecher zu. »Ihr dürft nicht vergessen, dass sie keine widerstrebende Novizin ist, die von ihren Eltern maßlos verwöhnt wurde, bevor sie sie zu uns schickten. Bis vor zwei Wochen glaubte sie, wir wollten sie töten. Ich habe einige Zeit gebraucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen.«
»Wann habt Ihr mit den Kontrollübungen begonnen?«, wollte ein anderer Magier wissen.
Rothen zögerte. »Vor zwei Tagen.«
Ein Raunen lief durch die Reihen der Magier. Mehrere von ihnen runzelten kopfschüttelnd die Stirn.
»In diesem Fall möchte ich bemerken, dass Ihr beeindruckende Fortschritte gemacht habt«, erklang jetzt eine neue Stimme.
Dannyl drehte sich um und sah Lady Vinara näher kommen. Die Magier machten dem Oberhaupt der Heiler respektvoll Platz.
»Was habt Ihr bisher von ihrer Kraft zu sehen bekommen?«
Rothen lächelte. »Als mir zum ersten Mal klar wurde, über welch ein Potenzial sie verfügt, konnte ich es nicht glauben. Ihre Kräfte sind einfach erstaunlich!«
Das Getuschel der anderen Magier wurde lauter. Dannyl nickte vor sich hin. Gut, dachte er. Wenn sie sehr stark ist, werden die Leute sich für Rothen als ihren Mentor aussprechen.
Ein älterer Magier, der ziemlich weit vorn in der Gruppe stand, zuckte die Achseln. »Aber wir wussten vorher schon, dass sie stark sein musste, sonst hätten ihre Kräfte sich nicht aus sich heraus entwickelt.«