Cerys Versuch, vor dem Magier zurückzuweichen, trug ihm lediglich eine neuerliche Welle von Schmerz ein. Als Fergun nach seinem verletzten Arm griff, musste Cery einen Aufschrei unterdrücken. Er versuchte sich loszureißen, was seine Qualen wiederum nur verschlimmerte.
»Gebrochen«, murmelte der Magier. Sein Blick schien auf etwas gerichtet zu sein, das weit unter dem staubbedeckten Fußboden lag. Plötzlich wurde der Schmerz erträglicher, dann breitete sich langsam ein Gefühl der Wärme in Cerys Arm aus.
Als ihm bewusst wurde, dass sein Arm soeben geheilt worden war, zwang sich Cery, Ruhe zu bewahren. Er starrte Fergun an, das scharfgeschnittene Kinn und die dünnen Lippen. Das blonde Haar des Mannes, das er normalerweise zurückgekämmt trug, fiel ihm jetzt in die Stirn.
Cery wusste, dass er sich für den Rest seines Lebens an dieses Gesicht erinnern würde. Eines Tages werde ich meine Rache bekommen, dachte er. Und wenn du Sonea etwas angetan hast, dann darfst du davon ausgehen, dass dein Tod langsam und qualvoll sein wird.
Der Magier blinzelte und ließ Cerys Arm los. Dann stand er auf, schnitt eine Grimasse und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Der Bruch ist nicht vollkommen geheilt. Ich kann schließlich nicht all meine Kräfte für dich verschwenden. Sei vorsichtig mit dem Arm, sonst wird der Knochen abermals brechen.« Seine Augen wurden schmal. »Wenn du noch einmal etwas in der Art versuchst, werde ich dich fesseln müssen – um dich daran zu hindern, dich selbst zu verletzen.«
Er senkte den Blick. Der Teller, den er mitgebracht hatte, wer zersplittert, und das Essen hatte sich auf dem Fußboden verteilt. In der Nähe lag eine Flasche, aus der langsam das Wasser heraussickerte.
»Ich an deiner Stelle würde die Sachen nicht verschwenden«, bemerkte Fergun. Dann bückte er sich, hob Cerys Dorn auf und verließ den Raum.
Als die Tür hinter ihm zufiel, stöhnte Cery laut auf. Hatte er wirklich geglaubt, er könnte einen Magier mit einem Dorn ermorden? Vorsichtig untersuchte er mit den Fingerspitzen seinen Arm. Die Haut reagierte ein wenig empfindlich auf Berührung, aber mehr war von seiner Verletzung nicht übrig geblieben.
In der Dunkelheit wurde der Geruch von frischem Brot jetzt immer stärker, und Cerys Magen begann zu knurren. Er seufzte bei dem Gedanken an das verschüttete Essen. Der Hunger war sein einziger Fingerzeig für das Verstreichen der Zeit, und er schätzte, dass zwischen den einzelnen Besuchen des Magiers jeweils zwei Tage oder mehr gelegen hatten. Wenn er nicht aß, würden seine Kräfte bald erlahmen. Schlimmer noch war der Gedanke an all die kriechenden Geschöpfe, die das Essen aus den Ecken locken würde – den Ecken, die er normalerweise benutzte, um sich zu erleichtern.
Mühsam zog er sich auf die Knie hoch und kroch durch den Raum, während er mit den Händen den staubigen Fußboden absuchte.
Sonea schnappte nach Luft, als der blaugewandete Magier hereinkam. Hochgewachsen, schlank, das dunkle Haar im Nacken zusammengebunden, hätte er durchaus der Meuchelmörder sein können, den sie unter dem Haus des Hohen Lords gesehen hatte. Dann drehte der Mann sich zu ihr um, und sie sah, dass seine Züge nicht so schroff waren wie die des Mannes, an den sie sich erinnerte.
»Das ist Administrator Lorlen«, erklärte Rothen.
Sie nickte dem Magier zu. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen.«
»Die Ehre ist ganz meinerseits, Sonea«, erwiderte der Mann.
»Bitte, setzt Euch«, sagte Rothen und deutete auf die Sessel.
Als sie Platz genommen hatten, brachte Tania das bittere Getränk herbei, das die Magier anscheinend besonders gern mochten. Sonea ließ sich ein Glas Wasser geben und beobachtete den Administrator, während dieser an seiner Tasse nippte. Er lächelte anerkennend, aber als er sich wieder ihr zuwandte, wurde seine Miene schlagartig ernst.
»Als man dich hierher brachte, befürchtete Rothen, du könntest dich ängstigen, wenn ich dich aufsuche«, sagte er. »Deshalb musst du mir verzeihen, dass ich mit meinem Besuch so lange gewartet habe. Als Administrator der Gilde möchte ich mich in aller Form für das Ungemach entschuldigen, das wir dir bereitet haben. Begreifst du, warum wir dich finden mussten?«
Soneas Wangen wurden heiß. »Ja.«
»Das erleichtert mich sehr«, erwiderte er lächelnd. »Ich habe einige Fragen an dich, und wenn du mich deinerseits etwas fragen möchtest, zögere bitte nicht, das zu tun. Kommst du mit deinen Kontrollübungen gut voran?«
Sonea sah zu Rothen hinüber, der ihr aufmunternd zunickte.
»Ich glaube, ich mache Fortschritte«, antwortete sie. »Die Tests werden immer einfacher.«
Der Administrator dachte über ihre Worte nach, dann nickte er langsam. »Es ist ein wenig wie laufen lernen«, sagte er. »Zuerst musst du darüber nachdenken, aber wenn du es erst mal ein Weilchen getan hast, wird das Nachdenken ganz von allein aufhören.«
»Nun, so ausgedrückt klingt es kinderleicht«, erwiderte sie.
Der Administrator lachte, dann trat ein Flackern in seine Augen. »Rothen hat mir erzählt, dass du nicht bei uns bleiben möchtest. Ist das wahr?«
Sonea nickte.
»Darf ich fragen, warum nicht?«
»Ich möchte zurück nach Hause«, antwortete sie.
Er beugte sich vor. »Wir werden dich nicht daran hindern, deine Freunde und Verwandten zu besuchen. Du könntest an Freitagen zu ihnen gehen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das weiß ich, aber ich möchte trotzdem nicht hier bleiben.«
Er nickte und ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. »Es wird uns Leid tun, jemanden mit einem solchen magischen Potenzial zu verlieren«, bemerkte er. »Bist du dir sicher, dass du deine Magie aufgeben willst?«
Sonea erinnerte sich an Ferguns Worte, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. »Meine Magie aufgeben?«, wiederholte sie langsam und blickte zu Rothen hinüber. »So hat Rothen es nicht bezeichnet.«
Der Administrator zog die Augenbrauen in die Höhe. »Was hat er dir denn erzählt?«
»Dass ich meine Magie nicht werde benutzen können, weil ich nicht wüsste, wie.«
»Glaubst du, dass du es dir selbst beibringen könntest?«
Sie zögerte. »Wäre das möglich?«
»Nein.« Der Administrator lächelte. »Was Rothen dir erzählt hat, ist die Wahrheit«, sagte er. »Aber der Erfolg deines Unterrichts hängt davon ab, dass du ihm weiterhin vertraust. Deshalb hat er mich gebeten, dir die Gesetze bezüglich der Entlassung von Magiern aus der Gilde zu erläutern.«
Sonea begriff, dass Lorlen ihr nun bestätigen würde, ob Fergun die Wahrheit gesagt hatte oder nicht, und ihr Herzschlag beschleunigte sich.
»Das Gesetz verfügt, dass jeder Mann und jede Frau, deren Kräfte aktiv sind, entweder der Gilde beitreten oder zulassen muss, dass man seine oder ihre Kräfte blockiert«, fuhr er fort. »Man kann die Kräfte eines Magiers erst dann blockieren, wenn er die volle Kontrolle darüber gewonnen hat. Danach jedoch wird eine solche Blockade ihn zuverlässig daran hindern, Magie in irgendeiner Form zu benutzen.«
In der Stille, die nun folgte, beobachteten die beiden Magier sie eindringlich. Sonea wich ihrem Blick aus.
Also hatte Rothen ihr tatsächlich etwas vorenthalten.
Allerdings verstand sie, warum er das getan hatte. Das Wissen, dass Magier sich an ihrem Geist zu schaffen machen würden, hätte es ihr sehr erschwert, Rothen zu vertrauen.
Aber Fergun hatte Recht gehabt…
»Hast du irgendwelche Fragen, Sonea?«, erkundigte sich Lorlen.
Sie zögerte, denn ihr war inzwischen etwas anderes wieder eingefallen, das Fergun gesagt hatte. »Diese Blockade ist nicht… unangenehm?«
Er schüttelte den Kopf. »Du wirst nichts spüren. Wenn du später versuchst, Magie zu wirken, wirst du einen inneren Widerstand wahrnehmen, der jedoch nicht schmerzhaft ist. Da du nicht daran gewöhnt bist, Magie zu benutzen, bezweifle ich, dass dir die Blockade überhaupt auffallen wird.«
Sonea nickte. Der Administrator musterte sie schweigend, dann lächelte er. »Ich werde nicht versuchen, dich zum Bleiben zu überreden«, fuhr er fort. »Du sollst nur wissen, dass hier ein Platz für dich ist, wenn du willst. Hast du sonst noch Fragen?«