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Rothen, den ihre unverrückbare Entschlossenheit, fortzugehen, ehrlich überraschte, hatte in den vergangenen Tagen häufig über sein eigenes Leben nachgedacht. Wie alle Kinder der Häuser hatte man ihn, als er etwa zehn Jahre alt gewesen war, auf magische Fähigkeiten getestet. Man hatte ihm gesagt, er sei etwas Besonderes und könne sich glücklich schätzen. Von jenem Tag an hatte er sich darauf gefreut, der Gilde beizutreten.

Für Sonea war es niemals denkbar gewesen, Magierin zu werden. Man hatte sie gelehrt, die Magier als Feinde zu betrachten, denen man die Schuld an allem Unheil gab. Angesichts ihrer Erziehung war es klar, warum sie sich nicht der Gilde anschließen wollte: Für sie wäre es ein Verrat an den Menschen, mit denen sie aufgewachsen war.

Aber so musste es nicht sein. Wenn es ihm gelang, sie davon zu überzeugen, dass sie am Ende ihre Kräfte würde nutzen können, um den Hüttenleuten zu helfen, würde sie sich vielleicht doch zum Bleiben bewegen lassen.

Hinter dem Universitätsgebäude bog Rothen nach rechts ab. Als der Gong erklang, der das Ende der Unterrichtsstunden anzeigte, hatten sie bereits die Gärten erreicht. Rothen wusste natürlich, dass die Novizen gleich darauf aus der Universität stürzen und in ihre Quartiere zurückeilen würden, und hatte daher einen längeren, aber stilleren Weg zum Heilerquartier gewählt.

Er freute sich auf diesen Ausflug. Das Heilen war die nobelste der Magierkünste und die einzige Art von Magie, die Sonea anzuerkennen schien. Die Kriegerkünste würden sie wohl kaum beeindrucken, deshalb hatte Rothen ihr diesen Teil der Ausbildung zuerst gezeigt. Die Demonstration hatte sie jedoch mehr beunruhigt, als er erwartet hatte. Obwohl der Lehrer die Regeln erklärt und verdeutlicht hatte, auf welche Weise man sich in der Arena schützen konnte, war Sonea sichtlich zurückgeprallt, als die Novizen mit ihrem Schaukampf begonnen hatten.

Dannyls Experiment hatte dem Mädchen zwar eine mögliche Verwendungsweise der Alchemie verdeutlicht, aber im Grunde war das nur ein Hobby. Wenn Rothen sie beeindrucken wollte, musste er ihr etwas zeigen, das für die Stadt von größerem Nutzen wäre. Er hatte sich nur noch nicht entschieden, was das sein würde.

Als sie sich jetzt dem Rundbau des Heilerquartiers näherten, sah Rothen noch einmal verstohlen zu Sonea hinüber. Obwohl ihre Miene verschlossen war, leuchteten aus ihren Augen Neugier und Interesse. Vor dem Eingang des Gebäudes blieb er stehen.

»Dies ist das zweite Heilerquartier, das die Gilde errichtet hat«, erklärte er Sonea. »Das erste war ziemlich luxuriös. Unglücklicherweise haben unsere Vorgänger Schwierigkeiten mit einigen wohlhabenden Patienten gehabt, die glaubten, sich dauerhaft bei ihnen niederlassen zu können. Zu der Zeit, als die Universität und die anderen Gebäude der Gilde errichtet wurden, hat man das alte Heilerquartier abgerissen und dieses hier an seine Stelle gesetzt.«

Trotz des ansprechenden äußeren Erscheinungsbildes war das Gebäude der Heiler bei weitem nicht so beeindruckend wie die Universität. Rothen trat durch die offenen Türen und führte Sonea in eine kleine, schmucklose Halle. Ein frischer, medizinischer Geruch hing in der Luft.

Zwei Heiler, ein Mann von etwa fünfzig Jahren und eine jüngere Frau, blickten auf. Der Mann musterte Sonea zweifelnd und wandte sich ab, aber die junge Frau kam ihnen mit einem Lächeln entgegen.

»Seid mir gegrüßt, Lord Rothen«, sagte sie.

»Seid mir gegrüßt, Lady Indria«, erwiderte er. »Das ist Sonea.«

Sonea nickte. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen.«

Indria neigte den Kopf. »Auch ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen, Sonea.«

»Indria wird uns durch das Heilerquartier führen«, erklärte Rothen.

Die Heilerin lächelte Sonea zu. »Ich hoffe, du findest meine Führung interessant.« Sie sah Rothen an. »Wollen wir anfangen?«

Rothen bejahte.

»Hier entlang, bitte.«

Indria durchquerte die Halle, gab einer hohen Doppeltür den Befehl, sich zu öffnen, und führte Rothen und Sonea in einen breiten, gewölbten Korridor. Sie kamen an mehreren offenen Türen vorbei, und Sonea nutzte die Gelegenheit, einen Blick in die Räume dahinter zu werfen.

»Im unteren Stockwerk des Gebäudes werden Patienten behandelt und untergebracht«, erklärte Indria ihnen. »Schließlich können wir den Kranken nicht zumuten, Treppen zu steigen, nicht wahr?« Sie hatte sich mit freundlicher Miene zu Sonea umgedreht, die zur Antwort nur ein verwundertes Achselzucken zustande brachte.

»Im oberen Stockwerk findet der Unterricht statt, und dort haben auch die Heiler ihre Wohnungen. Die meisten von uns ziehen es vor, in diesem Gebäude zu leben, statt im Magierquartier. Das ermöglicht es uns, in Notfällen schnell zu reagieren.« Sie deutete nach links. »Die Patientenzimmer liegen auf der Seite, von der aus man einen schönen Blick auf die Gärten oder den Wald hat.« Dann wandte sie sich nach rechts. »Die Räume im inneren Teil des Gebäudes sind unsere Behandlungszimmer. Komm, ich werde dir einen dieser Räume zeigen.«

Rothen folgte der Heilerin durch eine der geöffneten Türen und beobachtete Sonea, während sie sich in dem Raum umsah. Er war klein und nur mit einem Bett, einem Schrank und mehreren Holzstühlen eingerichtet.

»Hier nehmen wir die weniger anspruchsvollen Heilungen und Behandlungen vor«, fuhr Indria fort. Sie öffnete den Schrank, in dem, säuberlich nebeneinander aufgereiht, Flaschen und Schachteln standen. »Alle Medikamente, die wir schnell zubereiten oder schon im Voraus zusammenbrauen können, werden hier aufbewahrt, wo wir jederzeit Zugriff darauf haben. Im oberen Stockwerk haben wir noch weitere Räume, in denen kompliziertere Heilmittel hergestellt werden.«

Indria trat wieder auf den Korridor hinaus und zeigte auf eine Tür am Ende des Ganges. »In der Mitte des Gebäudes befinden sich die Räume, in denen wir die schwierigeren Fälle heilen«, sagte sie. »Ich möchte mich nur schnell davon überzeugen, dass dieser Raum leer ist.«

Sie eilte voraus und spähte durch ein Glaspaneel in der Tür. Dann drehte sie sich wieder zu ihnen um und nickte.

»Er ist frei«, erklärte sie. »Kommt mit.«

Der Raum, in den sie nun kamen, war größer als der erste. In der Mitte stand ein schmales Bett, und die Wände waren von Schränken gesäumt.

»Hier wirken wir größere Heilungen und führen Operationen durch«, sagte Indria. »Während der Behandlung darf niemand außer den Heilern – und dem Patienten natürlich – hier herein.«

Sonea ließ den Blick aufmerksam durch den Raum wandern. Als sie zu einer Öffnung in der gegenüberliegenden Wand trat, folgte Indria ihr.

»Direkt über uns befinden sich die Räume, in denen die Medikamente zubereitet werden«, erklärte die Heilerin und deutete auf die Nische. Sonea beugte sich vor und spähte in den Raum über ihr hinauf. »Wir haben Heiler, die eigens auf die Herstellung von Medikamenten spezialisiert sind. Wenn wir etwas brauchen, lassen sie die frisch zubereiteten Mixturen durch diese Schächte hinuntergleiten.«

Nachdem Sonea ihre Neugier befriedigt hatte, kehrte sie zu Rothen zurück. Indria öffnete einen Schrank und nahm eine der Flaschen heraus.

»Hier in der Gilde weiß man mehr über Medizin als irgendwo sonst auf der Welt«, sagte sie mit unverhohlenem Stolz. »Wir kurieren die Menschen nicht nur mit unseren Heilkräften. Wenn es so wäre, hätten wir keine Chance, alle Kranken zu versorgen, die unsere Hilfe brauchen.« Sie zuckte die Achseln. »Was wir natürlich ohnehin nicht tun können. Dafür gibt es einfach nicht genug Heiler.«

Sie zog eine Schublade auf und nahm eine kleine, weiße Flasche heraus. Dann wandte sie sich an Sonea, hielt jedoch plötzlich inne und sah Rothen fragend an. Rothen, der begriff, was sie vorhatte, schüttelte den Kopf. Indria biss sich auf die Unterlippe und blickte erst Sonea an, dann die Phiole in ihren Händen.

»Ah, vielleicht werden wir diesen Teil der Führung auslassen.«

Sonea betrachtete die Flasche, und ihre Augen funkelten vor Neugier. »Welchen Teil?«