»Ich liebe es, wenn du Tacheles redest«, sagte Hazel. Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Wie lautet eigentlich das Losungswort für den Stevie Blue? Ich kann mir so was nie merken.«
Owen blickte sie an und legte die Stirn in Falten. »Ich wußte es bis zu dem Augenblick, als Ihr danach gefragt habt. Wie, zur Hölle, lautet das verdammte Losungswort? Nun, es wird mir schon rechtzeitig wieder einfallen.«
Dann unterbrachen sich beide erneut und blickten wie auf ein geheimes Kommando hin gleichzeitig zu der verschlossenen Tür. Bis jetzt war noch nichts zu hören gewesen, aber sie spürten irgend etwas. Ein weiteres Geschenk aus dem Labyrinth des Wahnsinns. Owen huschte zur Tür hinüber, öffnete sie einen Spaltbreit und lauschte angestrengt nach draußen. Das Getrappel schwerer Stiefel auf nacktem Metall drang herauf. Es war nicht mehr allzuweit entfernt, und es näherte sich rasch.
Owen schloß die Tür leise und ging zu Hazel zurück.
»Wir bekommen Gesellschaft«, erklärte er tonlos, ohne Hazel anzusehen. »Eine ganze Menge Gesellschaft. Entweder sind sie schlampig und machen sich nicht die Mühe, jedes einzelne Stockwerk zu sichern, oder es gibt eine verdammte Menge mehr Sicherheitsleute, als man uns glauben gemacht hat.«
»Ich wußte, daß alles zu glatt lief«, sagte Hazel. »Also schön, laß sie nur kommen, Todtsteltzer. Ein wenig Training ist mir gerade recht.«
»Ihr überseht nicht zum ersten Mal das Wichtigste«, mahnte Owen. »Wenn die Sicherheitskräfte bereits so nah sind – wie soll dann dieser Stevie Blue mit uns in Kontakt treten?«
»Oh? Du hast recht«, pflichtete ihm Hazel bei. »Ich schätze, wir müssen einfach alle Sicherheitsleute erledigen, was?«
Owen blickte sie an. »Ihr seid wirklich ziemlich überheblich geworden, seit wir das Labyrinth überlebt haben. Wir sind zwar viel mehr als früher, aber unschlagbar gehört sicher nicht dazu.«
»Sprich du lieber nur für dich selbst, Todtsteltzer. Wir sind stärker, schneller und zielsicherer als jeder dieser verdammten Sicherheitsleute. Wir können es mit ihnen aufnehmen, ganz egal, wie viele es sind. Mach dir bloß nicht in die Hose, Owen.«
Owen schüttelte traurig den Kopf. »Leichtsinnig. Ganz definitiv bodenlos leichtsinnig. Unglücklicherweise haben wir keine andere Wahl, als sie kommen zu lassen. Wir können noch nicht von hier weg. Paßt auf Euch auf, Hazel, daß Ihr nicht erschossen werdet. Ich hasse den Gedanken, einen neuen Partner ausbilden zu müssen.«
Hazel funkelte ihn an. »Erstens sind wir keine Partner, Todtsteltzer. Und zweitens – wenn hier irgend jemand irgendwen ausbildet, dann bin ich das. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte man dich schon ein dutzendmal umgebracht. Ich kümmere mich um den Gegner, während du darauf wartest, daß die Disks wieder auftauchen. Sobald die Maschinen sie ausspucken, verschwinden wir von hier.«
»Und der Stevie Blue?«
»Soll sich um seinen eigenen Arsch kümmern. Geschieht ihm recht, wenn er nicht pünktlich sein kann.«
Das Geräusch trampelnder Stiefel war inzwischen ziemlich nah. Man konnte es bereits durch die geschlossene Tür hören.
Hazel hob ihre beiden Pistolen und postierte sich vor der verschlossenen Tür. Owen schleppte die toten Techniker beiseite, damit er und Hazel genug Bewegungsfreiheit hatten, falls es erforderlich werden sollte. Seine Hände und Arme wurden mit Blut besudelt. Er wischte es sorgfältig an seiner Jacke ab.
Owen wollte vermeiden, daß seine Hände rutschig oder klebrig waren, sollte er das Schwert benutzen müssen. Lautes Trampeln erklang vor der Tür. Kurz darauf flog sie krachend nach innen, als drei Wachleute sich mit der Schulter dagegen warfen. Sie hielten einen Augenblick lang inne und starrten auf Hazel und Owen und das Blut auf dem Boden.
Die Zeit reichte Owen zum Zielen und Feuern. Der Energiestrahl aus seinem Disruptor fuhr dem ersten Sicherheitsmann durch die Brust und erwischte auch noch den zweiten, der genau dahinter geständen hatte. Hazel schaltete den dritten aus.
Der Schuß aus ihrem Disruptor trennte den Kopf sauber vom Rumpf. Das war der Augenblick, in dem der Rest der Wachen im sicheren Glauben herbeistürzte, daß die Energiewaffen ihrer Gegner im Verlauf der nächsten zwei Minuten nutzlos wären.
Owen und Hazel duckten sich hinter ihren persönlichen Schilden, und Disruptorfeuer zuckte durch den Raum. Zahlreiche Apparate explodierten oder gingen in Flammen auf. Die Wachen steckten ihre abgefeuerten Waffen weg und drängten mit gezückten Schwertern heran. Das war das Zeichen für Hazel.
Sie senkte ihren Schild und eröffnete das Feuer mit der Projektilwaffe.
Explosivgeschosse fetzten durch die Männer, zerrissen sie und schmetterten ihre leblosen Körper zu Boden. Blut spritzte durch die Luft. Das Knallen der Salve war ohrenbetäubend in dem geschlossenen Raum. Die Wachen konnten nur zu fünft oder sechst gleichzeitig durch die Tür, und Hazels Projektilwaffe tötete sie, während sie sich noch durch den Eingang zwängten. Sie besaßen keine Schutzschilde wie Owen oder Hazeclass="underline" zu kostspielig. Die Sicherheitsleute verließen sich auf ihre Überzahl. Viel zu schnell ging Hazel die Munition aus, und ihre Waffe verstummte. Hazel fluchte unterdrückt und schob sie ins Halfter zurück. Die Wachen begannen einen neuen Ansturm, und Hazel und Owen machten sich bereit, ihnen mit blankem Stahl in der Faust zu begegnen.
Schwerter klirrten auf Schwerter, doch obwohl ein Dutzend Wachen auf jeden der beiden kam, stellten sie noch immer keine ernsthafte Bedrohung für Owen und Hazel dar. Die Sicherheitsleute waren bereits demoralisiert und verwirrt, weil so viele von ihnen tot am Boden lagen, und Hazel und Owen besaßen den Zorn. Das dünne Lächeln auf den Lippen des Todtsteltzers verbreiterte sich zu einem Totenkopfgrinsen, als das Blut durch seine Adern donnerte und in seinem Kopf rauschte.
Seine Feinde schienen sich nur noch in Zeitlupe zu bewegen, und er streckte sie mit Leichtigkeit nieder und berauschte sich an ihrem Sterben. Owen war schon immer schnell gewesen, wenn er sich im Zorn befunden hatte, aber das Labyrinth des Wahnsinns hatte ihn noch schneller gemacht. Die Wachen fielen wie Fliegen, dahingeschlachtet wie Vieh unter der Hand des Metzgers. Und dann waren mit einemmal keine Gegner mehr da, nur noch leblose Körper auf dem blutbeschmierten Boden.
Owen blickte sich um, doch der Raum war leer bis auf Hazel und ihn. Er ging zur Tür, spähte nach draußen auf den leeren Korridor und verließ schließlich den Zorn-Modus. Die Reaktion seines Körpers ließ ihn hilflos erschauern. Für ein paar vergängliche Augenblicke hatte Owen sich beinahe wie ein Gott gefühlt, und nun war er wieder Mensch, und das tat weh. Seine Muskeln schmerzten unter der Anstrengung, der sie ausgesetzt gewesen waren, und seine Bewegungen erschienen ihm unerträglich langsam und schwächlich. Owen atmete tief durch, konzentrierte sich auf die Art und Weise, die er gelehrt worden war, und seine Sinne erholten sich rasch. Die Todtsteltzer-Familie hatte Generationen damit verbracht, den Anfall von Kraft und Schnelligkeit zu perfektionieren, den Owen als Zorn kannte, aber selbst heute noch konnte der menschliche Körper ihn nur für eine begrenzte Zeit ertragen. Der Zorn verbrannte die Energiereserven mit einem unbändigen Appetit, und hinterher gab es immer einen Preis, den man zu zahlen hatte. Doch trotzdem: Über alledem lockte die schreckliche Verführung des Zorns, wild und überwältigend, verlockender und gefährlicher, als eine Droge je hätte sein können. Der Zorn: Stolz und Fluch des Todtsteltzer-Clans. Und Hazel war in ihm gefangen, und sie brannte so hell, so unglaublich hell.